Die Fans des Aufsteigers SC Paderborn genießen die Fußball-Bundesliga. Auch wenn die Eintrittspreise steigen, das Rennen um die Tickets so manchen nervt und es in der kleinen Benteler-Arena eng wird.

Paderborn - Für Michael Dreier wird dieser Samstag eine Gesinnungsprobe. „Ich bin seit über 40 Jahren Gladbachfan“, sagt der 53-Jährige. „Aber am Samstag schlägt mein Herz ganz klar für den SC Paderborn.“ Michael Dreier ist der frisch gewählte CDU-Bürgermeister von Paderborn, seit Juni im Amt. Spricht man ihn auf den Erfolg des Clubs an, strahlt er: „Ich hätte im Leben nicht geträumt, dass ich mal Bürgermeister einer Bundesligastadt werde.“ Die Image-Aufwertung hat die Stadt gleich genutzt und eine neue Werbekampagne gestartet: „Paderborn ist erstklassig!“, heißt es in der Broschüre. Der kleine Flughafen Paderborn/Lippstadt wird beispielsweise mit dem Slogan beworben: „Aufsteigen, ohne abzuheben.“ Auch das Ortsschild hat die Stadt überklebt. Jetzt steht dort: „Paderborn – Bundesligastadt“.

 

Zu Hause, in seinem Tischkickerkeller, hat Dreier ein Foto mit dem Tabellenstand vom vierten Spieltag hängen: Der Sportclub Paderborn (SCP) steht dort an oberster Stelle, noch vor dem Rekordmeister Bayern München. Das war allerdings vor der 0:4-Niederlage in München. Für das Spiel gegen Gladbach ist Dreier vorbereitet: In seinem Büro liegen Fanschals, eine Hälfte blau-weiß-schwarz für den SCP, die andere Hälfte grün-weiß für Gladbach. Für seine Erwartungen an das Spiel bemüht er einen Wortwitz, den er schon im Wahlkampf verwendet hat: „Am Samstag braucht Paderborn wieder einen Dreier.“

Der krasseste Außenseiter der Bundesliga

Was wurde seit Mai, seit dem überraschenden Aufstieg des SC Paderborn in die erste Bundesliga, über diesen Club geschrieben. „11 Freunde“ nannte ihn den „underdoggigsten Underdog in der Geschichte der Underdogs“, die „Süddeutsche Zeitung“ beschrieb ihn als „Verein aus der Fußballprovinz“, und selbst der SC-Trainer André Breitenreiter nennt seine Truppe den „krassesten Außenseiter der Bundesliga“.

Seine Strategie ist effizient: hinten kompakt stehen und vorne „Nadelstiche“ setzen. Während die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb, dass der SCP schon als Absteiger ausgemacht war, ehe irgendein Ball gekickt war, wagte Breitenreiter Anfang August eine Prognose: Er wolle mit sieben Punkten zum Spitzenspiel nach München fahren. Er meinte das ernst.

Doch er irrte sich: Aus den sieben Punkten wurden acht und wegen eines gnädigen Spielplans konnte der SCP als Spitzenreiter zum FC Bayern anreisen, einem Verein, bei dem viele Spieler einen höheren Marktwert haben als der komplette SCP-Kader, der es auf 22,5 Millionen Euro bringt.

Bis auf den verletzten Franck Ribéry ging der Rekordmeister mit all seinen Spitzenspielern an den Start. „Die haben gegen uns die volle Kapelle aufgeboten. Und auch das ist ein tolles Kompliment für meine Mannschaft“, sagt Breitenreiter. Zur Belohnung ging’s mit ihr tags darauf auf die Wiesn, Maß trinken und Grillhendl essen. Die 0:4-Niederlage war nebensächlich, Hauptsache erste Liga.

So sahen es auch die Fans in der Allianz-Arena. „Eine 0:3-Niederlage wäre okay“, sagte Markus Thiel vor Spielbeginn. Der 34-Jährige ist seit 1999 SC-Fan. Er kennt noch die Zeiten, als er zusammen mit 80 Fans zu einem Auswärtsspiel der Regionalliga fuhr. An diesem Dienstagabend waren über 4000 Paderborner in der Allianz-Arena, mehr als in der vergangenen Saison bei Heimspielen da waren. Diese Saison will Thiel 34 Spiele besuchen. „Das mache ich auch nur, weil wir jetzt in der ersten Liga sind“, gab er zu. Und er verriet noch ein Geheimnis: Thiel ist auch Bayern-Fan. „Deswegen bin ich heute auch undercover unterwegs“, sagte er und zeigte grinsend auf seinen schwarzen Pulli. Auch seine Freunde haben neben dem SC noch einen Erstligaclub, mit dem sie mitfiebern. Dass beide Vereine jetzt in derselben Klasse spielen, hätten sie nie gedacht. Am 11. Mai hatten sie zusammen mit etwa 20 000 anderen Paderbornern den Aufstieg vor dem Rathaus gefeiert. Ein anderer Fan ergänzte: Seitdem sei in Paderborn permanent Party. „Die Weltmeisterschaft haben wir eigentlich gar nicht richtig mitbekommen“, meinte er.

Der Boom stört die Gemütlichkeit

Mit dem Erfolg kommen die Erfolgsfans. Hatte der Club in der vergangenen Saison noch etwa 1700 Mitglieder, sind es nach dem Aufstieg über 10 000. Das gefällt nicht allen. Plötzlich sind die Heimspiele immer ausverkauft. Ins Stadion passen 15 000 Zuschauer. Wer früher gemütlich an der Benteler-Arena sein Ticket für den Abend lösen konnte, muss jetzt zwei Wochen vor dem Spiel per Onlinekauf Glück haben: Binnen drei Minuten sind in der Regel die Resttickets weg.

Willi Brüggemann, 63 Jahre, langjähriger Fan und zum Bayern-Spiel mit dem Motorrad nach München gefahren, gab sich enttäuscht vom Vereinsmanagement. Die Preispolitik zeuge schlicht von Arroganz. Binnen eines Jahres haben sich die Preise für Dauerkarten verdoppelt. 255 Euro kostet die günstigste beim SCP im Stehbereich. Beim FC Bayern sind es nur 140 Euro. „Wir sind also auch bei den Ticketpreisen Spitzenreiter“, scherzte Brüggemann. Besonders unfair sei in seinen Augen, dass nun auch Schüler und Studenten den vollen Preis zahlen müssen. Nicht wenige Fans würden sich daher wieder den Abstieg wünschen. Häme und Unverständnis zog der Verein auf sich, als er die Dauerkarten für Behinderte teurer machte. Zur Gleichberechtigung gehöre eben auch der Preis, hieß es als Begründung. Mancher Fan glaubt jedoch, dass der Verein in dieser Saison einmal richtig Reibach machen möchte. Könnte ja sein, dass es so läuft wie bei Greuther Fürth oder Eintracht Braunschweig und man gleich wieder absteigt. Der Fanbeauftragte Christian Just, selbst Rollstuhlfahrer, kann den Unmut verstehen, sagt aber auch: „Alles wird teurer, weil auch alles größer geworden ist.“

Eine Mannschaft ohne Superstars

Das sieht auch Peter Hobday ein. Er warnt den Verein davor abzuheben. „Das Wichtigste ist jetzt: bodenständig bleiben.“ Der 53-jährige Brite weiß, wovon er spricht: Er spielte lange im Mittelfeld bei den Vorgängervereinen des SC Paderborn, beim TuS Schloß Neuhaus und TuS Paderborn. Bei den Stuttgarter Kickers spielte er mit dem jungen Jürgen Klinsmann, dann stieg er mit Hannover 96 1987 in die erste Bundesliga auf. Ein schwerer Autounfall mit dreifachem Schädelbruch unterbrach seine Karriere. „Da kann ich heute noch Leute erschrecken“, sagt er und klopft mit der Faust gegen seine rechte Schädelhälfte. Er hat eine Titanplatte darunter. Trotz des Unfalls schaffte er später mit Arminia Bielefeld den Doppelaufstieg aus der damaligen Regionalliga in die erste Liga. „Das war ein richtiger Durchmarsch.“ Heute ist er zusammen mit Ehemaligen wie Roger Schmidt, jetzt Trainer bei Bayer Leverkusen, in der „Jahrhundertelf“ des SCP, führt einen Sportbekleidungsladen in der Paderborner Peripherie und hat eine Fußballschule. Die Erfolge seines deutschen Heimatvereins verfolgt er mit Freude: „Das ist ein bisschen wie Deutschland bei der WM. Wir haben keine Superstars, aber wir haben eine Mannschaft.“

Dass die SC-Spieler noch keine Starallüren entwickelt haben, zeigt sich beim öffentlichen Training in Paderborn. Die Spieler klackern mit ihren Stollenschuhen aus dem Vereinsheim auf den Rasen und werden von den Fans mit Handschlag begrüßt. Andreas Brock ist besonders hartnäckig. Der 45-Jährige in Fanpulli, kurzer Hose und Flipflops will Trainer Breitenreiter unbedingt das Foto zeigen, das er mit seinem Fanclub auf der Wiesn gemacht hat: Knapp 40 Fans im Bierzelt, die ein Banner halten, auf dem steht: „Heute kein Schützenfest“. „Das hat mir der Ordner im Stadion aber abgenommen“, sagt er mit seiner Reibeisenstimme. Zu schade, er hatte Plätze ganz vorne rechts am Paderborner Tor. Jetzt sieht er zu, wie die Spieler sich aufwärmen und sich locker die Bälle zupassen. Am Rand des Platzes stehen unter anderem ein 7er-BMW, Mercedes S-Klassen und ein großer Audi – die neuen Autos der Spieler – mit freundlicher Unterstützung der Autofirmen.