Das Stuttgarter Linden-Museum zeigt „Die Welt des Schattentheaters“. Mit Pergament-Figuren aus Asien, Nordafrika und Europa präsentiert die große Schau eine Kunst, die mancherorts ausstirbt. Anderswo lebt sie aber umso mehr.

Stuttgart - In der Inselwelt Südostasiens kommt es auch heute noch manchmal vor, dass man von kehligen Schreien, hellem Metallklang und warmem Flackerlicht in einen Hinterhof gelockt wird. Dort sitzen dann Leute, die eben noch – wie auch überall sonst auf der Welt – in die Chat- oder Spielfunktionen ihrer Smartphones vertieft waren, die nun jedoch gebannt den Ritualen des traditionellen Schattenspiels folgen. Den Heldentaten Ramas im uralten Ramayana-Epos beispielsweise oder den Verwicklungen des ursprünglich ebenfalls aus Indien stammenden Mahabharata.

 

Zwischen Glühbirne und Leinwand vollführen feingliedrige Spielfiguren aus Wasserbüffelhaut actionreiche Begegnungen, und mitunter grätscht auch die Moderne prügelnd in die Tradition hinein: In einer Vitrine des Stuttgarter Linden-Museums steht ein dementsprechender Protagonist, der erst in diesem Jahr in Malaysia angefertigt wurde. Sangkala Veda heißt die furchterregend behelmte Kämpferfigur mit dem langen Draufhau-Schwert. Aber die zeitgenössische Darth-Vader-Adaption ist ein grobschlächtiger Bursche verglichen mit den fein verästelten Helden- und Schurkenfiguren, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts auf der indonesischen Insel Java und in Thailand zur Illustration der großen Epen entstanden und mit ihrem überschwänglichen Ornamentreichtum zum Teil bis heute im Einsatz sind.

Geschichten mit Silhouetten

In seiner großen kulturenübergreifenden Schau „Die Welt des Schattentheaters – Von Asien bis Europa“ spannt das Linden-Museum einen weiten Bogen vom ägyptischen Schattentheater des 17. Jahrhunderts, das noch ohne Stanzmaschinen auskommen musste und am Ort seiner Entstehung weitgehend in Vergessenheit geraten ist, bis zu den leuchten bunten Kunststofffolien-Kreationen zeitgenössischer italienischer Avantgardisten. Die vermögen unter Zuhilfenahme punktgenauen Halogenlichts Ferne und Nähe mit gestochen scharfen Konturen abzubilden und bauen dabei doch auf der jahrhundertealten Tradition von Licht und Schatten auf, die darin besteht, zwischen einer flackernden Funzel und einem hellen Tuch mit Silhouetten Geschichten zu erzählen.

Woher diese Tradition kommt – das vermögen die Kuratoren nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Aus China, sagen manche Forscher, aus Indien, meinen andere, während eine Minderheit die Ursprünge des Schattenspiels im Osmanischen Reich verortet. Wahrscheinlicher sei, so heißt es in Stuttgart, dass das Geschichtenerzählen mit Schattenunterstützung in mehreren Weltgegenden unabhängig voneinander entstanden sei und dass sich die unterschiedlichen Traditionen über die Jahrhunderte gegenseitig befruchtet haben: Der Lastenträger aus Ägypten, wiewohl eigentlich im Profil zu sehen, starrt den Betrachter dennoch mit seinen beiden großen Augen gleichzeitig an. Der Held Rama bringt das anatomisch anspruchsvolle Kunststück in einer reichhaltig verzierten Antilopen- oder Ziegenhaut-Darstellung aus dem südindischen Kerala ebenso mühelos zuwege. Und es würde einen nicht wundern, wenn der eine oder andere exotische Schattenschurke bei der Entstehung des Kubismus, den Picasso pflegte, Geburtshelfer gespielt hätte. Vielleicht hat ja der Maler mal Bilder einer Aufführung zu Gesicht bekommen, womöglich aus China, wo hochkomplexe detailreiche Figuren von ihren Spielern schreiend herumgescheucht werden, damit die Folgen der Schwerthieb-Szenen auch schön plastisch rüberkommen.

Die Fantasie als dritte Dimension

Das zumindest legt eine einminütige Filmsequenz nahe, die im Linden-Museum neben dem furchterregend aus Pergament gestanzten Geist eines Erhängten mit heraushängender Zunge in Endlosschleife auf einem Bildschirm läuft. Mit Filmen, mit einer kleinen Mitmach-Werkstatt und mit einem Kasten, der zum Selberbewegen der filigranen Figuren verführt, behilft sich das Linden-Museum ob einer recht ungewöhnlichen Eigenschaft seiner großen Sonderausstellung: Eine thematische Schau, die zu einer Entdeckungsreise über drei Kontinente einlädt, ist einerseits ein löbliches und überaus mutiges Unterfangen. Andererseits sind die 260 überwiegend aus dem eigenen Depot geborgenen Objekte eben eine nur zweidimensionale Angelegenheit. Das liegt bei Schattenspiel-Figuren – anders als bei Streitäxten der Inka oder einem Kayak der Grönland-Inuit – in der Natur der Sache.

Dennoch ist es dem Kuratoren-Team um Annette Krämer, der Leiterin der Orient-Abteilung, mit einer liebevollen Präsentation gelungen, Höhe und Breite um eine dritte Dimension der Fantasie zu erweitern: Die Figuren des osmanisch-türkischen Schattentheaters aus bunt bemaltem, dünnem und damit durchscheinendem Pergament etwa hat man so dicht hinter eine Leinwand montiert, dass man hingreifen möchte, um sich von einer Stofflichkeit zu überzeugen, die einem das Licht hinter der Leinwand nur vorgaukelt. So plastisch wirken da die Charaktere, dass man sich gut vorstellen kann, wie Hacivat und Karagöz fortwährend über Besserwisserei und Ignoranz streiten.

Das Ende der Schattenshows

Nebenan, in der griechisch-zypriotischen Vitrine, ist Karagöz übrigens zum Karagiozis mutiert, und beide hängen vor allem deshalb im Museum, weil sich für ihre Spieler die Schattenshows irgendwann nicht mehr ausgezahlt haben. Wenn man in Südostasien also heute noch manchmal dieses typische Flackern bemerkt: nichts wie hin!

Bis 10. April 2016, Di –Sa 10– 17 Uhr, Mi bis 20 Uhr, So bis 18 Uhr.