Die US-amerikanische Tanzkompanie Pilobolus hat im Stuttgarter Theaterhaus ihre Show „Shadowland“ gezeigt. So etwas hat man noch nicht gesehen.

Stuttgart - Wenn man "Shadowland" gesehen hat, ist man sprachlos. Weil man so was noch nie gesehen hat. Weil man eigentlich die Mitglieder der US-amerikanischen Tanz-und-viel-mehr-Kompanie Pilobolus alle umarmen möchte, dafür, dass sie einem so etwas Schönes, Anrührendes und völlig Unerwartetes beschert haben. Aber sagen? Sagen möchte man nichts. Außer vielleicht: "Toll!"

 

Die Gruppe Pilobolus macht hochambitioniertes, stellenweise avantgardistisch gewagtes Tanz- und Schattentheater, mit dem sie die Massen bannt. Der große Saal des Stuttgarter Theaterhauses war am Mittwochabend ausverkauft, und das ist er bis zum Sonntagabend noch fünf weitere Mal. Das ist - rein technisch betrachtet - vor allem auf einen Pilobolus-Kurzauftritt bei "Wetten, dass..?" vor ein paar Wochen zurückzuführen.

Etwas weniger technisch betrachtet, hängt der Run auf "Shadowland" damit zusammen, dass man sich in die poetischen Bilder dieser Show verliebt, sobald man sie sieht. Denn bei all ihrer Qualität, bei all ihrer Gewagtheit und bei all ihrer Präzision sind diese Bilder doch jederzeit mit dem Herzen zu erfassen. Man muss sich nicht in kulturbeflissenen Geheimzirkeln bewegen, um sich von "Shadowland" liebevoll verstören zu lassen - und um die Show gleichzeitig zu genießen.

Menschenkörper verschmelzen zu Figuren

Das Grundprinzip ist denkbar einfach: Hinter Leinwänden, aber vor Scheinwerfern verschmelzen Menschenkörper zu Monsterköpfen, zu Elefanten, zu hügeligen Stränden oder Fabelwesen. In dieser Scherenschnittwelt gibt es nur Schwarz und Weiß (oder Schwarz und Orange, Schwarz und Grün und so weiter). Und Gut und Böse gibt es natürlich: Eine ganze Horde wild geworderner, Messer rasselnder Köche versucht da zum Beispiel, ein Mädchen in einen Kochtopf zu bugsieren, der bereits einen Blumentopf, eine Glühbirne und ein Telefon geschluckt hat. Ein Albtraum.

Das Mädchen wird verkörpert von der Tänzerin Molly Gawler, die sich - wenn sie gerade nicht auf Tournee ist - in Marlboro, Vermont, USA, um ihren kleinen Gemüsegarten kümmert. Und weil Molly Gawler unglaublich gut darin ist, hinter der Leinwand ihren Kopf in ihre Ellenbeuge zu versenken, wird der Albtraum des Mädchens auf der Leinwand immer schlimmer. Ihm wachsen Hundeschnauze und Hundeohr, per Ellbogentrick wird es zum Hundemädchen, und so wird es von den anderen Schattenkreaturen erst verspottet, dann verstoßen und später brutal gejagt.

Mit berückend schönen Bildern erzählt die Kompanie Pilobolus eine beängstigende Geschichte von der Fremdheit und vom Ausgestoßensein, von der Suche nach Heimat und der Brutalität der scheinbar Normalen: Herrlich, wie das Hundemädchen einem Groteskcowboy in dessen Auto den Drink wegschlabbert. Wunderbar, wie dabei dahinrauschende Zweige Bewegung suggerieren. Effektvoll, aber nie effekthascherisch, virtuos aber nie eitel, detailverliebt aber nie langweilig erzählt Pilobolus unter Aufbietung so ziemlich aller möglichen Mitteilungsformen außer der Sprache von der Einsamkeit und deren Überwindung. Das Hundemädchen trifft zu guter Letzt einen Zentaur, ein Mischwesen aus Mann und Pferd.

"Shadowland" ist ein fabelhafte Melange

Ein fabelhaftes Mischwesen ist auch die Show "Shadowland" selbst, in der sich Albtraumsequenzen und opulente Tagträume zu einer hinreißenden Melange vereinen. Die Schatten auf den Leinwänden sind nur ein Teil dieser Inszenierung. Denn sie werden hin- und hergefahren, verrückt und versenkt. Und manchmal treten ein paar der neun Körperspieler auch vor die Leinwand und führen das auf, was man wohl Tanz nennen müsste, wenn es nicht so meilenweit entfernt wäre von allem, was man bisher gesehen hat. Da gleiten Frauen in Kleider hinein. Da werden Schritte zu Farbe. Und alles wirkt ganz natürlich, so natürlich, wie der mit Händen animierte Krebs auf der Leinwand in den Mund der Hundefrau plumpst. Aber Worte werden "Shadowland" nicht gerecht. "Shadowland" sollte man sehen.

Die Vorstellungen bis Sonntag sind ausverkauft. Vom 28. März bis zum 1. April 2012 gastiert "Shadowland" erneut im Theaterhaus.