Im Luxusrestaurant „Le Taillevent“ in Paris wurde einst der EnBW-Deal angebahnt. Doch Stefan Mappus’ Version des Abends mit den Proglio-Brüdern wackelt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart/Paris - Die Mail vom 11. November 2010 ist fast schon legendär. „Das war vielleicht das wichtigste Dinner Deiner Karriere“, schrieb Dirk Notheis, damals noch Deutschland-Chef der Investmentbank Morgan Stanley, morgens um 7.07 Uhr an seinen Freund Stefan Mappus, damals noch Ministerpräsident von Baden-Württemberg. „Und geschmeckt hat’s auch noch.“ Dahinter grinste ein Smiley.

 

Gemeint war ein Essen am Vorabend in Paris, das heute als Initialzündung für den EnBW-Deal gilt. Mappus und Notheis speisten von 21 Uhr an mit zwei Zwillingsbrüdern: Henri Proglio, dem Chef der Electricité de France (EdF), und René Proglio, dem Frankreich-Chef von Morgan Stanley. „Everything is on the table“, alles ist auf dem Tisch – mit diesem Satz, berichtete Mappus später, habe der Konzernchef die Runde eröffnet. „Da wurde mir schlagartig klar, dass die EdF ernst machen würde.“ Entweder sie erhalte bei der Energie Baden-Württemberg (EnBW) die Mehrheit, oder sie steige dort aus.

„Edelfraß“ verachtete der Pforzheimer angeblich

Wo genau das legendäre Treffen stattgefunden hat, blieb lange im Dunkeln. Offizielle Auskünfte dazu gibt es von keinem der Beteiligten, Reporter mussten sich mit Vermutungen behelfen. „Ein edles Restaurant in Paris, raffinierte Küche, hervorragende Weine“ – so wurde der Schauplatz etwa im Deutschlandradio beschrieben. Gut getippt: Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung, die sich mit Angaben des französischen Magazins „Le Nouvel Observateur“ decken, war es eines der edelsten und traditionsreichsten Lokale der Seine-Metropole: das „Le Taillevent“ in der Rue Lamennais 15 im 8. Arrondissement, nicht weit von den Champs Elysées und dem Arc de Triomphe entfernt. Benannt nach einem Koch aus dem 14. Jahrhundert, residiert es dort in einem alten Stadtpalais mit gediegenen, klassisch-eleganten Räumen.

Mehr als dreißig Jahre lang trug das 1946 gegründete „Taillevent“ drei Michelin-Sterne, seit einigen Jahren sind es nur noch zwei – angeblich, weil es der Küche am letzten Quäntchen Innovation fehlt. Ein Mittagsmenü gibt es dort „schon“ ab 80 Euro pro Person, abends kann man bis zu 300 Euro hinlegen, Wein inbegriffen. Gespeist wird in Sälen oder diskreten Salons; einen solchen – wohl im ersten Stock – dürften auch die Proglio-Brüder, Mappus und Notheis genutzt haben. Was es gab und wie es dem Pforzheimer in Paris gemundet hat, ist nicht überliefert. Aus Imagegründen äußerte er sich daheim gerne abfällig über „Edelfraß“, viel besser schmecke doch ein einfacher Wurstsalat – das sollte seine Bodenständigkeit unterstreichen.

Treffpunkt von Größen aus Politik und Wirtschaft

Das Essen alleine macht freilich nicht den Ruhm des „Taillevent“ aus. Mindestens ebenso schwärmen Gäste vom „Ambiente zum Wohlfühlen“ und dem aufmerksamen, aber nie aufdringlichen Service. Für ihn sei das Traditionslokal der „Inbegriff des Luxus und der Perfektion in der Pariser Gastronomie“, schrieb der Gourmetpapst Wolfram Siebeck einmal. „Distinguiert“ und „aristokratisch“ lauteten die Attribute, mit denen er das „Restaurant wie ein englischer Club“ bedachte; das „Ballett“ der Kellnerbrigade müsse man unbedingt einmal erlebt haben.

Schon bei seinen ersten Besuchen in den siebziger Jahren erspähte Siebeck „die prächtigsten Exemplare aus Frankreichs Finanz- und Regierungswelt“. Bis heute gehen Größen aus Politik und Wirtschaft im „Taillevent“ ein und aus. Es war wohl René Proglio, der das Nobellokal für das Treffen mit den Deutschen erkor. Sein Bruder habe „das Dinner organisiert“, sagte Henri Proglio jedenfalls jüngst dem „Nouvel Observateur“. Dort nahm er ihn zugleich gegen den Vorwurf eines Interessenkonfliktes in Schutz: der Investmentbanker sei „eine Art Botschafter“ gewesen, der den Kontakt zum Käufer herstellte, mehr nicht. René habe Mappus sogar von dem Deal abgeraten, aber der habe ihn „aus politischen Gründen“ unbedingt durchziehen wollen. „Was kann ich da machen“, fragt Henri Proglio unschuldig. Intern soll er dem Magazin zufolge über ein „Jahrhundertgeschäft“ für die EdF gejubelt haben.

Die Version des entscheidenden Abends wackelt

An Mappus’ Version des Abendessens in Paris kamen jüngst auch im EnBW-Ausschuss Zweifel auf. Warum, wurde gefragt, hätten eigentlich zwei Investmentbanker den Kontakt zwischen Käufer und Verkäufer vermitteln müssen? Der Ministerpräsident habe den EdF-Chef doch schon von einer Begegnung im Sommer persönlich gekannt. Das sei in der Tat „nicht nachvollziehbar“, bestätigte als Zeuge der frühere EnBW-Chef Gerhard Goll. Er will schon Ende Oktober, also vielleicht zwei Wochen vorher, aus Paris gehört haben, dass Mappus dort Interesse am Rückkauf der Aktien bekundet habe. Die Darstellung des Ex-Regierungschefs, erst das Dinner habe ihn aktiv werden lassen, wäre damit hinfällig.

Auch die erste Mail von Dirk Notheis am Morgen nach dem Abend im „Taillevent“ könnte darauf hin deuten, dass die Dinge schon weiter gediehen waren. In der Golfersprache schrieb der Banker da um 5.26 Uhr: „Ball auf dem Grün, aber noch nicht eingeputtet . . .“ Mappus’ Antwort um 5.50 Uhr: „Super und vielen Dank! LG sm.“