Bekommt das Land 800 Millionen Euro von der Electricité de France zurück? Darüber wird diese Woche in Zürich verhandelt. Der Tagungsort wird jedoch geheim gehalten. Beide Seiten zeigen sich zuversichtlich.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart/Zürich - Der Verhandlungsort in Zürich wird streng geheim gehalten. Wo genau in der Schweizer Bankenmetropole von diesem Montag an das Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer (ICC) tagen wird, verrät keine der beiden Prozessparteien. Weder die baden-württembergische Landesregierung noch der Pariser Staatskonzern Électricité de France (EdF) wollen offenbar Zaungäste dabeihaben, wenn ihre Delegationen – vorneweg hochkarätige Wirtschaftsanwälte – zum vier- bis fünftägigen Showdown aufeinandertreffen. Absolute Vertraulichkeit war schließlich einer der Gründe, warum sie sich beim EnBW-Deal Ende 2010 für den Fall von Streitigkeiten vorsorglich auf ein ICC-Schiedsverfahren verständigt hatten; auch der Verhandlungsort und die Verhandlungssprache – Englisch – wurden im Vertrag festgelegt.

 

Deutsche und Franzosen prozessieren in der Schweiz auf Englisch, das erschien seinerzeit als sehr theoretische Möglichkeit. Ein Verfahren, wie es nun stattfindet, hätte sich der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) wohl ebenso wenig träumen lassen wie der amtierende EdF-Chef Henri Proglio. Bis heute sind sie sich schließlich einig: jene 4,7 Milliarden Euro, die das Land Baden-Württemberg für gut 45 Prozent am Energiekonzern EnBW bezahlte, seien die Anteile auch wert gewesen. Man habe einen fairen, angemessenen Preis vereinbart, beteuern beide unisono.

Ein Coup buchstäblich um jeden Preis?

Doch die neue grün-rote Regierung hegte schon früh den Verdacht, dass Mappus die Aktien zu teuer gekauft habe; kurz vor der Landtagswahl habe er buchstäblich um jeden Preis einen Coup landen wollen. Sie ließ den Wert der EnBW im Dezember 2010 rückwirkend von einem Wirtschaftsprüfer, Martin Jonas aus Düsseldorf, ermitteln. Dessen Ergebnis: das Land habe 834 Millionen Euro zu viel bezahlt.

Wie aber könnte man dieses Geld im Interesse der Steuerzahler zurückholen? Nachträglich den Kaufpreis senken zu wollen geht normalerweise gar nicht. Die Kölner Anwälte des Landes aber fanden einen Kniff, dank einer Klausel im Vertrag, wonach bei dem Geschäft alle nationalen und internationalen Gesetze und Regeln einzuhalten seien. Die zu viel bezahlten Millionen, so ihre Argumentation, stellten einen Verstoß gegen die Beihilferegeln der EU dar; ohne Brüsseler Genehmigung sei die EdF in dieser Höhe begünstigt worden.

Paris spricht von „Rechtsmissbrauch“

Kreativ erscheint dieser juristische Ansatz allemal, Vorbilder dafür gibt es kaum. Kritiker nennen ihn gewagt, manche sogar abenteuerlich. Vor dem Schiedsgericht dürfte es zunächst darum gehen, für wie tragfähig die Richter das Konstrukt beurteilen. Stuttgart hält es naturgemäß für legitim, Paris hingegen für „Rechtsmissbrauch“. Die EU-Kommission selbst ist bisher nicht wegen einer verbotenen Beihilfe tätig geworden, sie wartet den Ausgang des Verfahrens ab.

Nur wenn der Hebel akzeptiert wird, wäre der Kaufpreis wieder infrage gestellt. Aber auch dazu ist die Einschätzung des Gerichts völlig offen. Die Franzosen geben sich intern höchst zuversichtlich, wie auch die jüngst bekannt gewordenen Protokolle der Vernehmung von EdF-Managern zeigen. Die bezahlten 41,50 Euro je Aktie lagen zwar um 18 Prozent über dem Kurs des letzten Handelstages, aber sie seien allseits als angemessen bestätigt worden, heißt es in Paris: von einer Bank im Auftrag der EdF, in einer Überprüfung der EnBW, durch das Urteil zahlreicher Analysten. Nicht ins Bild passt indes eine Mail des Investmentbankers Dirk Notheis an den französischen Morgan-Stanley-Chef Rene Proglio, man wisse ja, der Preis sei „mehr als üppig“ („more than rich“). Zu dieser Formulierung, wand sich der Zwillingsbruder des Konzernchefs vor dem Ermittlungsrichter, gebe er „keinen Kommentar“ ab.

Justiz-Gutachter bestärkt das Land

Das Land wiederum sieht sich in seiner Forderung bestätigt, seit der Gutachter der wegen Untreue ermittelnden Staatsanwaltschaft zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kam wie der eigene Gutachter: 780 Millionen Euro, errechnete Professor Wolfgang Ballwieser aus München, habe Mappus zu viel bezahlt. Dabei bleibt er auch nach der Prüfung eines angeblichen Rechenfehlers, den ihm ein von Notheis beauftragter Experte vorgeworfen hatte. Ob das nach Ablauf der Beweisaufnahme eingegangene Gutachten im ICC-Verfahren noch berücksichtigt wird, ist offen; das Schiedsgericht könnte auch einen eigenen Sachverständigen beauftragen. Für den federführenden Finanzminister Nils Schmid (SPD) ist das Ballwieser-Papier in jedem Fall eine wichtige Bestätigung: Hätte die Landesregierung nicht kurz vor Fristablauf im Februar 2012 Klage erhoben, müsste sie sich heute den Vorwurf gefallen lassen, sie habe nicht alles versucht, um Hunderte von Millionen zu retten. Dass das Verfahren selbst einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag kosten dürfte, erscheint angesichts dieser Dimension nachrangig.

Ganz Baden-Württemberg, sollte man meinen, müsste Schmid von diesem Montag an die Daumen drücken. Doch dem ist nicht so. Die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) als zweiter Großaktionär der EnBW halten von der Schiedsklage wenig. Das Land schade damit dem eigenen Unternehmen, schimpft die CDU-dominierte Verbandsspitze um den Ulmer Landrat Heinz Seiffert. Sie ist freilich befangen: ohne ihr Mitwirken wäre das fragwürdige, bereits als Verfassungsbruch verurteilte Geschäft nie zustande gekommen. Auch CDU und FDP im Landtag torpedieren die Klage nach Kräften, schließlich hatten sie Mappus’ Alleingang einst nachträglich abgesegnet; lieber nehmen sie den Vorwurf in Kauf, gegen Landesinteressen zu handeln. Auch der Ex-Regierungschef selbst müsste seinen Nachfolgern eigentlich Erfolg wünschen: Wenn die ICC-Klage scheitere, haben diese angekündigt, müsse man die Akteure des EnBW-Deals in Anspruch nehmen – vorneweg Mappus und seinen gut betuchten Bankerfreund Notheis.

Entscheidung erst im Sommer?

Mit einer Entscheidung des Schiedsgerichts wird in dieser Woche nicht mehr gerechnet; dafür sei die Thematik zu komplex. Das nicht mehr anfechtbare Urteil ergehe wohl erst im Frühjahr oder im Sommer.