Die Kosten für Instandhaltung und Bauprojekte wie Stuttgart 21 laufen aus dem Ruder. Dem Schienenkonzern drohen deshalb Gewinneinbußen.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Ein interner Brandbrief an die Mitarbeiter sorgt für Unruhe bei der Deutschen Bahn (DB). Konzernvorstand Volker Kefer, zuständig für Technik, Netz, Bahnhöfe und alle Bauprojekte wie Stuttgart 21, räumt darin erhebliche Fehlplanungen und Finanzierungslücken im eigenen Ressort ein. Man sei in einer „Abwärtsspirale“, das gegenwärtige Geschäftsmodell der Infrastruktur „nicht zukunftsfähig“, heißt es in der aktuellen Mitarbeiterinformation, die dieser Zeitung vorliegt.

 

Über die heikle Lage seines Geschäftsbereichs hat Kefer seine Führungskräfte Mitte der Woche bei einem Krisentreffen in Berlin informiert. Die Bestandsaufnahme sei „ernüchternd“. Das Ressort Infrastruktur, zu denen die DB Netze, die DB Dienstleistungen und die DB Projektbau gehören, sehe sich in der Mittelfristplanung 2012 bis 2016 „mit signifikanten Planungsabweichungen konfrontiert, die eine nachhaltige Geschäftsentwicklung verhindern“. Erstaunlich offen werden in dem Schreiben der Konzernkommunikation sechs Problembereiche und Fehlentwicklungen beschrieben, die in Kefers Verantwortungsbereich fallen:

1. Das Ressort Infrastruktur verfehlt die Ertragsziele des Konzerns. Der Geschäftsbereich benötigt aber gleichzeitig viel Kapital für Bauprojekte, das dort lange gebunden ist und sich nur unzureichend verzinst.

2. Das Bestandsnetz ist unterfinanziert. Allein für die Instandhaltung, die von der DB finanziert werden muss, fehlen demnach dreistellige Millionenbeträge. Es wird also weniger in den Erhalt von Gleisen, Weichen und Leittechnik investiert, als nötig .

3. Allein für die Instandhaltung der Brücken wären „jährlich zusätzlich 150 Millionen Euro erforderlich““, heißt es. Insgesamt schätzt Kefer den zusätzlichen Mittelbedarf für die Instandhaltung des Netzes auf „mindestens 190 Millionen Euro, die nicht planerisch hinterlegt sind“.

4. Die Bauvorhaben laufen aus dem Ruder. „Die Kosten- und Terminstabilität insbesondere bei Großprojekten ist unbefriedigend“, heißt es. Die Folge sei ein „höherer Eigenmittelbedarf“. Die Bahn muss also mehr aus eigener Kasse zuschießen und damit stärker ins Risiko gehen – zum Beispiel bei Stuttgart 21.

5. Im Güterverkehr auf der Schiene läuft konjunkturbedingt das Geschäft schlechter als geplant. Weniger Züge bedeuten weniger Trassen-Einnahmen für die DB Netz. Kefer rechnet daher mit „Gewinneinbußen von ca. 100 Millionen Euro bis 2016“.

6. Besonders bemerkenswert ist auch der abschließende Hinweis: „Das Wachstumstempo wird gebremst durch Defizite in der Unternehmenskultur. Hier ist vor allem die Zusammenarbeit innerhalb des Ressorts gemeint.“ In Kefers Verantwortungsbereich, den er seit mehr als drei Jahren leitet, scheint also vieles nicht zu stimmen. Als „Sofortmaßnahme“ sei nun das Projekt „Zukunft Infrastruktur“ aufgesetzt worden, heißt es weiter. Das Projektteam aus 30 Mitarbeitern soll bis Anfang Dezember stehen und bis Anfang März „belastbare Ergebnisse und Handlungsempfehlungen vorlegen“. Danach folge die Umsetzung.

Das Rundschreiben hat im größten deutschen Staatskonzern erhebliche Unruhe und einiges Erstaunen ausgelöst. Eigentlich gilt die Infrastruktursparte als zentrale Ertragssäule. Besonders die Einnahmen aus der Vermietung von Gleisen und Bahnhöfen sowie die hohen Zuschüsse des Staates für Bauprojekte und Modernisierungen füllen dem Ex-Monopolisten die Kassen. Zudem hatte DB-Chef Rüdiger Grube noch zur Halbjahresbilanz im Sommer stolz neue Umsatz- und Gewinnrekorde verkündet.

Sein Kollege Kefer gilt auch wegen seines umfangreichen Verantwortungsbereichs als heimlicher Kronprinz und Aspirant für Grubes Nachfolge. Durch das umstrittene Bauprojekt Stuttgart 21 steht er zudem seit Jahren häufig im Licht der Öffentlichkeit. Intern allerdings wächst dem Vernehmen nach die Kritik an seiner Person und seiner bisherigen Bilanz, nicht zuletzt, weil zahlreiche Bauprojekte immer teurer werden.

Als Technikvorstand ist Kefer zudem für die Zugbeschaffungen und die Qualität der DB-Flotte zuständig, wo es seit Jahren massive Probleme gibt. Erst in dieser Woche musste sein früherer Arbeitgeber Siemens einräumen, dass es zu weiteren Verspätungen bei der Lieferung von 16 ICE-Zügen kommt. Nach Ansicht von Beobachtern geht Kefer mit der Industrie viel zu nachsichtig um, auch im Hinblick auf Schadenersatzforderungen und neue Aufträge.