Ror Wolf erhält für sein Erzählwerk in diesem Jahr den Schiller-Gedächtnis-Preis. Er ist ein Meister des Abgründigen, dessen Sprache die vertraute Welt unheimlich zurichtet.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Das passt: Kaum sind die Fan-Gesänge und Experten-Fachsimpeleien der Europameisterschaft verklungen, flattert die Nachricht ins Haus, dass der Schriftsteller Ror Wolf die bedeutendste Literaturauszeichnung des Landes Baden-Württemberg erhält, den alle drei Jahre vergebenen Schiller-Gedächtnispreis. Wie kein zweiter hat der 1932 in Thüringen geborenen Autor den Fußball für die Literatur fruchtbar gemacht. „Die Welt ist zwar kein Fußball, aber im Fußball, das ist kein Geheimnis, findet sich ein ganz Menge Welt“, lautet ein Satz aus einer seiner Textmontagen, in denen er das Milieu der Eckkneipen und Stehplätze in all seiner Komik und Absurdität verschachtelt hat.

 

Mit kühnen Flankenschlägen spielt Ror Wolf den Ball aus dem gesicherten Raum des Alltags in die Zonen des Ungewissen, wo es ums Ganze geht. Und er bedient sich dabei einer Sprache, die wie ein genialer Mittelstürmer so viele Haken schlägt, dass seine literarischen Spielzüge immer unberechenbar und gefährlich bleiben.

„Ror Wolf ist ein Sprachvirtuose, der sich gleichermaßen scharfsinnig wie poetisch zwischen allen Genres bewegt“, heißt es dazu in der Begründung der Jury, die mit ihrer Wahl, wie man im Fußballjargon sagen könnte, abermals ein glückliches Händchen bewiesen hat – nach Rainald Goetz, der 2013 mit dem Preis bedacht wurde.

Monströse Einverleibungen

Fußball ist aber nur ein Feld, aus dem der auch als Collagist im Stile Max Ernsts hervortretende Künstler seine Anregungen bezieht. Mit Blick auf sein Debüt von 1964, „Fortsetzung des Berichts“, würde man auch das Essen dazuzählen, denn darin wird geschlachtet, gekocht und serviert, was die Hexenküchen des Surrealismus hergeben. Drei Jahre später erschien eine „Abenteuerserie“, so die Gattungsbezeichnung, mit den Titelhelden „Pilzer und Pelzer“, die über monströse Einverleibungen der Sprache eine Witwe trösten. Wolf entwirft eine Welt voller Visionen, Apokalypsen und Hintertüren. Das bisher letzte Kapitel seines lebenslang fortgesetzten Berichts ist der Horrorroman „Die Vorzüge der Dunkelheit“, der, wie der Untertitel verheißt, „Neunundzwanzig Versuche, die Welt zu verschlingen“ schildert.

Die Förderpreise von jeweils 7500 Euro gehen an den Theaterautor Stefan Hornbach und die Dramatikerin Miroslava Svolikova. Der Schiller-Gedächtnispreis ist mit 25 000 Euro dotiert. Die Verleihung findet am 8. November in Stuttgart statt.