Die Experimente im Leipziger Zoo sollen die Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und Menschenaffen aufdecken.

Stuttgart - Die Schimpansen sind ungeduldig. Einer nach dem anderen klettert aus der Luke in den Versuchsraum und zeigt, sobald das Experiment beginnt, auf die Leckerei, eine Art Müsliriegel. Es ist die Art, in der die Affen gelernt haben zu sagen, dass sie das Stück haben wollen. Doch die Wahl ist voreilig, denn wenn sie bereit wären zu warten, würde ihnen die Versuchsleiterin bald ein zweites und dann ein drittes Stück anbieten. Auf der Tabelle, in der die Versuchsergebnisse eingetragen werden, stehen lauter Einsen - ein Zeichen dafür, dass die Schimpansen gleich zugreifen und nicht in der Lage sind, auf eine Belohnung zu warten. Dabei sind sie nicht einmal hungrig, denn sie haben gerade erst ihr Frühstück bekommen.

 

Im Zoo von Leipzig sind täglich Versuche zu beobachten. In diesem Experiment geht es um eine für Menschen wichtige Eigenschaft: Wenn Kinder auf eine Belohnung warten können, sind sie in der Schule erfolgreicher und im Leben ausgeglichener und selbstbewusster. Deutet der Versuch mit den Schimpansen auf einen Unterschied zwischen Mensch und Menschenaffe hin?

Das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, das im Leipziger Zoo laufend mit Menschenaffen experimentiert, hat sich dieser Suche nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten verschrieben. Doch der Forschungsassistent Johannes Großmann ist vorsichtig. Nicht nur weil das Experiment noch nicht abgeschlossen und ausgewertet ist. "Wenn Affen etwas nicht können, ist es schwer, daraus einen Schluss zu ziehen", sagt er. Erst ein Vergleich mit den anderen Menschenaffen - Orang-Utans, Gorillas und Bonobos - gebe die nötige wissenschaftliche Absicherung.

Schimpansen scheitern an einfachem Test

Und Orang-Utans, das deutet sich schon an, sind viel besser darin, auf eine Belohnung zu warten. Wie lässt sich dieser Unterschied zu den Schimpansen erklären? Es ist gut möglich, dass er nichts mit der Fähigkeit zur Selbstbeherrschung zu tun hat, sondern vielmehr auf das soziale Leben der Menschenaffen zurückgeht. Orang-Utans sind meist Einzelgänger, Schimpansen leben hingegen in Gruppen, in denen es oft turbulent zugeht. Wenn ein Schimpanse beim Essen nicht zugreift, dann tut es sein Artgenosse. Großmann will daher nicht ausschließen, dass es der Futterneid ist, der die Schimpansen gleich zugreifen lässt. Vielleicht ist er so tief verankert, dass er zum Tragen kommt, obwohl beim Experiment kein anderer Schimpanse zuschaut.

Video eines populären Versuchs, bei dem Schimpansen eine Erdnuss aus einer Plexiglasröhre fischen sollen. Sie kommen meist auf eine sehr kreative Lösung:

Dass man bei der Interpretation ihrer Experimente vorsichtig sein muss, haben die Psychologen und Primatenforscher schon oft zu spüren bekommen. Viele Jahre scheiterten die Schimpansen beispielsweise an einem einfachen Test, bis Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts mit einem veränderten Versuchsaufbau zeigen konnten, dass man die Schimpansen unterschätzt hatte. In diesem Test sollten die Affen eine Erdnuss mit einem Stab aus einer waagerechten Plexiglasröhre schieben. Die Röhre ist an beiden Enden offen, so dass die Affen die Erdnuss nach links und nach rechts schieben können. Auf einer Seite hat die Röhre jedoch unten ein Loch, durch das die Erdnuss fallen kann. Die Schimpansen müssen begreifen, dass sie nur an die Erdnuss kommen, wenn sie diese in die andere Richtung schieben. Doch nur wenigen Talenten gelingt das, die anderen scheitern selbst nach Dutzenden Versuchen.

Englisches Video eines Experiments in Japan, bei dem Schimpansen einen schweren Stein bewegen sollen, um an das Futter zu gelangen, das darunter verborgen ist. Sie schaffen es nicht allein, sondern müssen kooperieren:

Dieses Scheitern liegt vermutlich an der - aus Schimpansensicht - ungewöhnlichen Versuchsanordnung. Wenn die Versuchsleiter Löcher in die Plastikröhre sägen, die groß genug sind für einen Schimpansenfinger, tun sich die Affen leichter, die Erdnuss mit dem Finger in die richtige Richtung zu bugsieren. Den Stab benutzen zu müssen, macht die Aufgabe für Schimpansen unnötig kompliziert - und verschleiert dadurch ihre wahre Intelligenz.

Experimente zu sozialen Fähigkeiten

Wenn es um die sozialen Fähigkeiten der Schimpansen geht, können die Experimente sogar recht kompliziert sein. Eines davon ist das Affenschach, bei dem es um die Frage geht, ob Affen die Entscheidungen eines Artgenossen voraussagen können. In diesem Versuch werden unter zwei von drei Bechern Leckereien versteckt. Anschließend dürfen die beiden Affen - ohne dass es der Spielpartner sieht - auf einen Becher zeigen und erhalten die darunter verborgene Belohnung. Die Pointe ist, dass einer der beiden Affen nur eines der Verstecke kennt, der andere aber beide. Wie wird sich der Affe, der beide Verstecke kennt, entscheiden, wenn er als zweiter wählen darf?

Intelligent wäre es, das Versteck zu wählen, das nur er kennt, denn das andere hat vermutlich der Spielpartner schon geleert. Tatsächlich tun das Schimpansen in durchschnittlich 6,2 von 12 Durchgängen. Statistische Analysen belegen, dass es sich bei dieser Wahl nicht um Zufall handeln kann. Sie scheinen demnach zu ahnen, dass der Spielpartner versuchen wird, die Leckerei zu bekommen, die er gesehen hat.

Wie weit reicht das Verständnis?

Die große Frage ist aber, wie weit dieses Verständnis reicht. Es ist eine Sache, den Unterschied zwischen Wissen und Nichtwissen zu begreifen, wie es die Schimpansen beim Affenschach offenbar tun. Es ist aber etwas ganz anderes, zwischen echtem Wissen und falschen Überzeugungen zu differenzieren. Was, wenn der Versuchsleiter die Leckerei von einem Becher zum nächsten transferiert - und nur einer der Schimpansen bekommt das mit? Begreift er dann, dass sein Spielpartner immer noch glaubt, dass die Leckerei immer noch dort sei, wo sie vorher war?

Diese Fähigkeit, die auch Kinder erst im Alter von drei oder vier Jahren erwerben, gilt als Meilenstein in der geistigen Entwicklung. Denn zu verstehen, dass ein anderer nicht auf dem aktuellen Stand ist, erfordert ein recht komplexes Denken. Zudem scheint es die Grundlage für viele soziale Fähigkeiten zu sein. Denn Autisten haben gerade mit Aufgaben Schwierigkeiten, die dieses Verständnis testen.

Großmanns Chef Michael Tomasello, der vor zwei Jahren auch den Hegelpreis der Stadt Stuttgart erhielt, sieht bis jetzt keine Anhaltspunkte dafür, dass Menschenaffen begreifen, dass es mehr gibt als Wissen und Nichtwissen. Aber auch er formuliert vorsichtig und sagt, es habe den Anschein, als würden sie es nicht verstehen. Denn vielleicht haben er und seine Kollegen nur noch nicht den richtigen Versuchsaufbau gefunden, bei dem die Schimpansen ihre ganze Intelligenz zeigen können.

Videoclips mit Erläuterungen des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, wo vergleichende Studien mit Kleinkindern und Schimpansen durchgeführt werden.

 

Fähigkeiten von Schimpansen

Intelligenz: Menschenaffen nutzen Werkzeuge wie Steine, um Nüsse zu knacken, und sie geben ihr technisches Können weiter. Sie begreifen auch, was ein Versuchsleiter mit einer missglückten Bewegung beabsichtigte - und helfen ihm dabei, sein Ziel zu erreichen.

Grenzen: Menschenaffen scheinen ihr Verhaltensrepertoire nicht so anzureichern, wie es Menschen tun. Ihr psychologisches Verständnis von Artgenossen und Menschen scheint zudem begrenzt zu sein.