Ob bei Porsche oder der LBBW – die Stuttgarter Wirtschaftsstaatsanwälte müssen gerade manche Schlappe einstecken. Nun hat ein ehemaliger Bankmanager auch noch einen Roman über den aus seiner Sicht fehlgeleiteten Jagdeifer der Ermittler geschrieben.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Viel Zeit zum Bücherlesen dürfte der Oberstaatsanwalt Hans Richter (66) nicht haben. Mit Pflichtlektüre in Form von Akten ist der Leiter der Schwerpunktabteilung für Wirtschaftskriminalität bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart immer reichlich eingedeckt. Bei seinen großen Fällen kommen meist Dutzende, zuweilen Hunderte von Ordnern zusammen. Und der Chefermittler – ein freundlicher grauhaariger Herr mit schwäbischem Zungenschlag und vollendeten Umgangsformen – ist dafür bekannt, dass er die Unterlagen penibel durchforstet.

 

In diesen Tagen aber erscheint ein Roman, der auch Richter interessieren dürfte. „Der Banker und der Staatsanwalt“, heißt das bei Südwestbuch verlegte Buch, das auch vom Leiter einer Schwerpunktabteilung für Wirtschaftskriminalität handelt. Manches unterscheidet den fiktiven Oberstaatsanwalt Hannes Jaeger von seinem realen Stuttgarter Kollegen: Er arbeitet in Frankfurt am Main, ist gut zehn Jahre jünger, hat dunkles Haar und eine Affäre mit einer Fernsehjournalistin. Doch in vielerlei Hinsicht ist die Romanfigur erkennbar an Hans Richter angelehnt – oder zumindest an das Bild, das Kritiker von ihm zeichnen.

„Die Personen sind frei erfunden“

Jaeger – der Name ist mit Bedacht gewählt – knöpft sich gerne Manager und Banker vor, schreckt vor Razzien in Vorstandsetagen nicht zurück und ermittelt auch wegen Geschäften, in denen die Akteure partout keine Straftat erkennen können. Mit seinem Verfolgungseifer schießt er schon mal übers Ziel hinaus, am Ende bleibt von manchen Vorwürfen wenig oder nichts übrig. Dass Beschuldigte und ihre Familien während der überlangen Ermittlungen öffentlich am Pranger stehen, nimmt er ungerührt in Kauf.

Offiziell hat Jaeger natürlich nichts mit Richter zu tun. „Die Personen sind frei erfunden“, versichert der Autor im Vorwort, „jede Ähnlichkeit mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen ist zufällig.“ Kein Zufall ist es indes, dass der Roman von einem Ex-Manager jener Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) stammt, die der Stuttgarter Chefermittler jahrelang im Visier hatte und teilweise noch hat. Geschrieben hat ihn der in Stuttgart lebende Jurist Hubert Sühr (68), der zuletzt Vorstandschef der LBBW-Tochter Rheinland-Pfalz-Bank in Mainz war; davor diente er der Landesbank im Rang eines Generalbevollmächtigten als Bereichsleiter Recht sowie Personal und Organisation.

Werden Management-Entscheidungen kriminalisiert?

Schon lange hegte Sühr den Wunsch, einen Roman zu schreiben; im Ruhestand erfüllte er ihn sich nun. Als Sujet wählte er jene Sphären, die er am besten kennt: die des Geldes und des Rechts. Aus nächster Nähe erlebte er, wie erst die Finanzkrise die Banken durchschüttelte – und dann die Aufarbeitung der Krise durch die Justiz. Beides erzählt er am Beispiel eines steil aufgestiegenen Wertpapierhändlers einer fiktiven Privatbank, der eines Morgens unsanft von der Staatsmacht geweckt wird: Hausdurchsuchung. Gegen ihn wird wegen Untreue ermittelt, weil er seinen Arbeitgeber durch den Erwerb spekulativer amerikanischer Wertpapiere geschädigt haben soll. Wie die Banker unter dem Druck des eigenen Ehrgeizes, der Ermittlungen und der Medien agieren, das schildert Sühr auf knapp 300 Seiten lebensnah, aufschlussreich und unterhaltsam.

Zugleich geriet sein Buch zu einer Art Anklage gegen die Ankläger. Management-Entscheidungen werden durch Staatsanwälte kriminalisiert, denen es an Verständnis für wirtschaftliche Abläufe fehlt und deren Paragrafen dafür auch nicht taugen – so ließe sich die Botschaft zwischen den Zeilen zusammenfassen. Was real Betroffene oft nur hinter vorgehaltener Hand sagen, weil sie die Ermittler nicht reizen wollen, können Sührs Figuren offen aussprechen. Da schimmert dann auch durch, dass er manches Verfahren für einen Tribut an den bankenkritischen Zeitgeist hält. Es könne doch nicht sein, dass die enormen Verluste der Institute „für die Verantwortlichen ohne strafrechtliche Folgen bleiben“, lässt er einen jüngeren Staatsanwalt sich empören. Ein älterer Kollege hält dagegen: „Nicht jede fehlgeschlagene Spekulation eines Managers ist schon Untreue.“ Konkurs und Ruin seien die gesetzlich vorgesehenen „Strafen“ für falsche Vermögensdispositionen. Die Staatsanwälte hätten aber „auch eine sozialhygienische Verantwortung“, doziert an anderer Stelle der Chefermittler Jaeger. „Es kann nicht sein, dass man die Kleinen hängt und die Großen laufen lässt.“

Schlappen bei Porsche- und LBBW-Verfahren

Mit anderen Worten hat das auch Hans Richter wiederholt gesagt, als er noch persönlich mit Journalisten redete; derzeit lässt er Anfragen lieber von der Behördensprecherin beantworten. Denn Sührs Buch – besser könnte das Timing nicht sein – kommt just zu einem Zeitpunkt, da die Realität die Thesen des Verfassers zu bestätigen scheint: Gleich in drei großen Wirtschaftsverfahren hat die Staatsanwaltschaft jüngst empfindliche Schlappen einstecken müssen. Ob es um die LBBW, deren Immobilientochter oder Porsche ging – bei den aufwendigen Ermittlungen kam am Ende wenig oder sogar nichts heraus.

Beispiel LBBW: Gegen Geldauflagen in fünfstelliger Höhe wurde vorm Landgericht Stuttgart jüngst der Prozess gegen mehrere (Ex-)Vorstände der Landesbank und zwei Wirtschaftsprüfer eingestellt. Begonnen hatte das Verfahren Ende 2009 mit einer spektakulären Razzia. Der Verdacht der Untreue wegen riskanter Geschäfte mit Ramschpapieren wurde im Lauf der Ermittlungen fallen gelassen, übrig blieb der Vorwurf der Falschbilanzierung. Doch auch der schnurrte vor Gericht in sich zusammen, die Staatsanwaltschaft erlebte eine Niederlage auf Raten. „Vor dem Hintergrund der beruflichen und persönlichen Belastung“ stimme man der Einstellung zu, sagte der einstige LBBW-Chef Siegfried Jaschinski, der die Vorwürfe wie eine Kollegen stets zurückgewiesen hatte. Sie gelten nun weiter als unschuldig.

Kein Schaden, keine Strafbarkeit

Beispiel LBBW Immobilien: Angesprungen waren die Staatsanwälte auf einen Revisionsbericht, der die Verhältnisse bei der Banktochter als desolat schilderte. Nach der Razzia zu Beginn wurde vier Jahre lang ermittelt, dann folgte die Untreue-Anklage gegen vier Manager. Von ursprünglich neun geprüften Immobilienprojekten war darin nur noch eines thematisiert, in Rumänien. Angeblicher Schaden: 21 Millionen Euro. Lediglich in zwei Fällen eröffnete das Landgericht nach langer Prüfung das Hauptverfahren – gegen den einst für die Projektentwicklung zuständigen Geschäftsführer und einen Projektleiter. Der frühere Vorsitzende der Geschäftsführung, Hans Strudel, und sein Finanzkollege konnten aufatmen. Eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft wurde vom Oberlandesgericht (OLG) umgehend abgewiesen: Mit der Grundsatzentscheidung für das Projekt hätten die beiden „keinen Schaden verursacht“, daher scheide eine Strafbarkeit wegen Untreue aus.

Beispiel Porsche: Im Zusammenhang mit dem Übernahmekrimi um Volkswagen erwirkte die Staatsanwaltschaft immerhin eine Geldstrafe gegen den einstigen Finanzchef Holger Härter. Wegen Kreditbetrugs soll er 630 000 Euro zahlen, wehrt sich dagegen aber vor dem Bundesgerichtshof. Die Ermittlungen gegen Härter und den einstigen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking wegen Marktmanipulation könnten hingegen ins Leere laufen: Das Landgericht hält den Vorwurf, sie hätten den Finanzmarkt nicht ausreichend über Porsches VW-Einstieg informiert, für „nicht beweisbar“ und wies die Anklage komplett ab. Nun wollen die Ermittler per Beschwerde beim OLG doch noch einen Prozess erzwingen.

„Wie eine fünfjährige Geisterbahnfahrt“

Als unbescholtener Bürger jahrelang unter Verdacht zu stehen – was das für die Betroffenen bedeuten kann, malt Sühr in seinem Roman realitätsnah aus. Seit den Medienberichten über die Ermittlungen sehen sich seine Protagonisten „persönlichen Anfeindungen ausgesetzt“ – sogar deren Kinder. „Du hast doch einen Verbrecher als Vater“, muss sich ein Zehnjähriger beim Fußball anhören. Der Verweis auf die „Unschuldsvermutung“ dürfte da wenig beeindrucken. Der jetzt rehabilitierte LBBW-Mann Strudel erlebte die Zeit der Ermittlungen als „fünfjährige Geisterbahnfahrt mit immer neuen Gespenstern“.

Belastend sind die Verfahren aber auch für die Unternehmen. Bei der LBBW wurden wegen der Untreue-Ermittlungen Kundengelder abgezogen – was den baden-württembergischen Sparkassenpräsidenten Peter Schneider laut über eine Staatshaftungsklage nachdenken ließ. Die Frist dafür ist inzwischen verstrichen, Schneiders Unverständnis über die Ermittler aber hält an. Angesichts des vereinten Kraftaktes zur Stabilisierung der LBBW kam ihm die Anklage wie kleinkrämerische Nörgelei vor: Es sei etwa so, als würde man einem geschunden aus der Schlacht zurückgekehrten Kämpfer vorwerfen, sein oberster Knopf sei nicht geschlossen.

Ein Alt-68er mit politischer Mission?

Hinter vorgehaltener Hand wird zuweilen sogar geargwöhnt, der Chefermittler Richter verfolge eine „politische Agenda“, sein Jagdeifer sei auch ideologisch motiviert. Habe sich der Sohn einer Arbeiterfamilie nicht öffentlich als Altachtundsechziger bekannt? Jawohl, lässt der Oberstaatsanwalt ausrichten, ein 68er sei er, dazu stehe er. Deren Protest habe sich einst aber gegen Strukturen gerichtet, nicht gegen Personen. Ansonsten hält der promovierte Jurist und Diplomkaufmann die kursierenden Vorhaltungen allesamt für unbegründet. Er tue nur seine Pflicht, lässt sich die von der Behördensprecherin übermittelte Auskunft zusammenfassen.

Wenn es einen Anfangsverdacht gebe, müsse man ermitteln, sonst mache man sich der Strafvereitelung schuldig. Ob ein solcher vorliege, prüfe Richter besonders gründlich; bei der LBBW etwa habe er ein Jahr lang Vorermittlungen geführt. Von einer Fokussierung auf Prominente könne keine Rede sein: Bei jährlich mehreren hundert Verfahren in der Abteilung ließen sich die Fälle mit bekannten Beschuldigten an einer Hand abzählen; das Medienecho sei bei diesen freilich viel größer. Gleichwohl suche der Oberstaatsanwalt nicht die Öffentlichkeit, auch deshalb, weil das zusätzliche Arbeit und Erwartungsdruck bedeute. Dass er sich nicht „verrenne“, könne man schon daran sehen, dass er bei LBBW und Porsche die Ermittlungen in puncto Untreue eingestellt habe. Die lange Dauer der Verfahren erkläre sich aus den meist „hochkomplexen Sachverhalten“: bei Durchsuchungen fielen oft riesige Datenmengen an, deren Auswertung eben ihre Zeit brauche. Auch die Belastung für die Beschuldigten verkenne Richter nicht; aus Rücksicht darauf könne er aber nicht auf das Gebotene verzichten. Im Übrigen, so die Sprecherin, würde der Chefermittler gewiss nicht immer wieder zu Vorträgen bei Entscheidungsträgern eingeladen, wenn diese nicht von seiner Kompetenz und Objektivität überzeugt wären. „Management-Entscheidungen im Fokus des Staatsanwaltes“, lautet da etwa das Thema.

Bis zum 68. Geburtstag im Dienst

Anderthalb Jahre, bis zum Herbst 2015, will Richter noch weitermachen. Dann wird er 68 und kann nicht mehr verlängern. Bis dahin dürfte es sein Ehrgeiz sein, die noch laufenden, Aufsehen erregenden Fälle abzuschließen – etwa die Bankrott-Ermittlungen gegen den einstigen Drogeriekönig Anton Schlecker oder das Untreue-Verfahren wegen des EnBW-Deals von Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus und seines Bankerfreundes Dirk Notheis. Vielleicht findet Hans Richter ja danach noch Zeit zum Bücherlesen.