"Whistleblower" sind Wachhunde: Sie schlagen Alarm, wenn in ihrem Unternehmen etwas schief läuft. Doch um ihre Sicherheit ist es nicht gut bestellt.

Berlin - Wenn jemand rechtzeitig Alarm geschlagen hätte, hätte sich die Katastrophe von Fukushima vielleicht verhindern lassen. Die japanische Atomaufsicht und der Kraftwerksbetreiber Tepco wussten nämlich bereits seit Jahren um das Risiko, informierten die Öffentlichkeit jedoch nicht. Auch wurden keine Sicherheitsmaßnahmen eingeleitet.

 

Die Finanzmarktkrise wäre womöglich ebenfalls weniger gravierend ausgefallen, hätte die US-Finanzmarktaufsichtsbehörde SEC nicht seit 1993 rund 18.000 Untersuchungsakten vernichtet, unter anderem über den Milliardenbetrüger Bernhard Madoff. Diese Akten über Betrug und Insiderhandel sollen auch die in Konkurs gegangene Lehmann Brothers Inc. sowie Goldman Sachs und die Deutsche Bank betreffen.

Bekannt wurde dies kürzlich durch einen Bericht des "Rolling Stone"-Magazins über SEC-Mitarbeiter Darcy Flynn, der in einem Kongressausschuss über die Aktenvernichtung ausgepackt hatte.

In Deutschland bisher kein rechtlicher Schutz für Whistleblower

Vielleicht hätte Flynn schon früher Alarm schlagen können, doch die SEC hatte erst im Mai ein Regelwerk zum Schutz von Hinweisgebern - den sogenannten Whistleblowern - eingerichtet. Es enthält ein Anreizsystem, das eine Prämie von 10 bis 30 Prozent der Summe beträgt, die von der SEC dank der Hinweise eingetrieben werden kann. Whistleblower müssen dabei ihren Verdacht nicht zunächst innerhalb ihres Unternehmens klären.

In Deutschland gibt es bis heute keine gesetzliche Regelung zum Schutz von Hinweisgebern, Regelungen wie die der SEC sind hier unbekannt. Bisher wird meist die Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers gegen seine Loyalitätspflichten gegenüber dem Arbeitgeber zu seinen Ungunsten abgewogen. Wer Missstände aufdeckt, riskiert die Kündigung.

Whistleblower in Zukunft besser geschützt

Doch das könnte sich in nächster Zeit ändern: Hat doch die Altenpflegerin Brigitte Heinisch nach einem langen Weg durch die Instanzen jetzt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erreicht, das die gängige Rechtsprechung in Deutschland grundlegend infrage stellt.

Die Frau hatte auf Missstände im Seniorenheim ihres Berliner Arbeitgeber Vivantes aufmerksam gemacht. Im Bundesrat hat nun der Berliner Senat auf Initiative der Linken einen Vorschlag für einen gesetzlichen Whistleblower-Schutz eingereicht. Für Guido Strack, den Vorsitzenden des Whistleblower-Netzwerks, ist dies jedoch "hanebüchen".

Das Whistleblowing werde regelrecht verhindert durch die Vorgabe, dass ein Arbeitnehmer vor einer externen Anzeige nicht nur nachweisen muss, dass er aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung war, dass eine Straftat vorlag; vielmehr muss er auch aufzeigen, dass "die innerbetriebliche Beschwerde deren Aufdeckung und Ahndung vereiteln kann".

Beweisanforderungen sind nicht zu erfüllen

Für Strack ist klar: "Diese völlig überhöhten Beweisanforderungen dürften Whistleblower kaum je erfüllen können." Die Vorgabe ignoriere die jüngste Rechtsprechung. Er meint: "Da kann man schon den Eindruck bekommen, dass der Berliner Senat mit dem aktuellen Vorschlag von Scheinrechten für Whistleblower vor allem Wahlkampf betreiben und von seiner Verantwortung als Inhaber von Vivantes im Fall Heinisch ablenken will."

Strack vermisst Sanktionen gegen Repressalien oder Untersuchungsmanipulationen durch die Arbeitgeber. Jüngst wurde etwa ein Arbeitgeber in Irland wegen Manipulationen zu zwei Jahren Haft verurteilt - hierzulande wäre das nicht möglich.

Anonyme oder vertrauliche Hinweise werden außerdem nicht geschützt. Dass dies notwendig ist, zeigen drei Fälle aus der Lebensmittelindustrie: In zwei von drei Fällen waren die Hinweisgeber durch Anonymität geschützt, im dritten Fall wurde der Whistleblower entlassen.

Wenn Unternehmen nun verstärkt Hinweisgebersysteme und Ombudsleute für anonymisiertes Whistleblowing einrichten, fehlt außerdem eine gesetzgeberische Klarstellung, da das Bundesarbeitsgericht bei Anonymität eine Berufung auf die in Artikel 5 Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit bis jetzt ausschließt.

Demoversion einer neuen Whistleblower-Plattform vorhanden

Im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung hatte das Whistleblower-Netzwerk kürzlich eine Auswertung von 32 betrieblichen Vereinbarungen und Unternehmensrichtlinien zum innerbetrieblichen Umgang mit Whistleblowing erstellt. Dabei wurde deutlich, dass immer geklärt werden muss, wer das System nutzen kann - und wie Whistleblower vor Repressalien geschützt und eine Aufklärung der angeblichen Missstände betrieben werden können.

Bislang gehen die Unternehmen dabei sehr unterschiedlich vor. Einige arbeiten rein intern, andere setzen Ombudsleute ein. Einige verwenden Whistleblowing-Systeme, die teils beschränkt, teils vielfältige Meldemöglichkeiten gewähren. Entscheidend ist, so Guido Strack, dass alle Beteiligten frühzeitig einbezogen und dass die Systeme "so transparent wie nur irgend möglich ausgestaltet" werden.

Das wäre bei der Software der neuen Whistleblower-Plattform Globaleaks der Fall, die es seit wenigen Tagen als Demoversion gibt. Würden Unternehmen und Behörden solche Systeme nutzen, würde das Whistleblowing weniger riskant. Wie wichtig dies ist, zeigt die prekäre Rechtslage, für die es vorerst keine Besserung geben wird.