Unternehmen gewinnen auf zunehmend zweifelhafte Art Neukunden über Videoportale. Doch sie müssen mit Widerstand der Nutzer rechnen.

Stuttgart - Die Userin „makeupandmore84“ ist sauer. Stinksauer. „Die Leute entscheiden selbst, was sie sehen wollen“, schreibt sie und fragt sich, wie man denn darauf kommen könne „so einen Dreck hochzuladen“. „Erdmutchen“ pflichtet ihr bei: „Ich möchte selber entscheiden, ob ich Werbung sehen möchte oder nicht“. Und „RIDA4ever88“ fasst sich kurz: „Ihr seid scheiße!“ Die Community des Videoportals Youtube ist aufgebracht, wieder einmal. Was war passiert?

 

Rückblende: „Oh, da seid ihr ja!“ – mit gespieltem Erstaunen blickte Koko in die Webcam. Koko ist eines von vier weiblichen Mitgliedern der Youtube-Gemeinschaft „Frag die Gurus“, die auf ihrem Kanal regelmäßig Tipps und Tricks rund um das Thema Schminken verrät und es bis vor kurzem auf mehr als 110.000 Klicks pro Clip schaffte. Doch es war nicht die fragwürdige schauspielerische Leistung von Koko, die zum Zorn der Zuschauer führte. Als Auslöser fungierte ein schicker Flachbildfernseher im Hintergrund.

Begleitet von tönenden Botschaften räkelte sich darauf eine junge Frau, unverkennbar wurde dazu das Logo einer bekannten Parfüm-Marke eingeblendet. Und auch im weiteren Verkauf des Clips tauchte die Marke immer wieder sehr offensichtlich auf. Ein Fehler mit Folgen. Die Kommentare unter dem Video waren vernichtend, die „Gurus“ sahen sich letztendlich dazu gezwungen, einzugreifen.

Schleichwerbung im Internet ist fast selbstverständlich geworden

Der kurze Film ist mittlerweile nicht mehr öffentlich verfügbar, in mehreren Stellungnahmen wehren sich die Betroffenen gegen die Vorwürfe. Der Tenor: Anstelle der üblichen Youtube-Werbung durch kurze Spots vor den Videos – an denen die „Youtuber“ dank einer Umsatzbeteiligung ordentlich mitverdienen – wollte die Gruppe etwas Neues ausprobieren: „ihr wart doch so genervt“.

Ein Experiment, das gründlich misslang. Dabei ist Schleichwerbung über Videoportale wie Youtube mittlerweile fast selbstverständlich geworden. Viele Unternehmen haben hier eine Goldgrube entdeckt, die schamlos ausgehoben wird, wenn auch meistens viel subtiler als im Fall von „Frag die Gurus“. Der perfide Plan: zielgruppengenaue Ansprache mit beliebten Youtube-Stars als oft ahnungslosen Vermittlern.

„Die Empfehlungen von Freunden und Bekannten in Form von Mund-zu-Mund-Propaganda hatten schon immer einen hohen Stellenwert innerhalb der Gesellschaft“, stellen die Markenexperten Marc Mielau und Axel Schmiegelow in dem Buch „Youtube und seine Kinder“ fest. Youtube erweitere diesen Kreis „auf die gesamte Öffentlichkeit, sodass ein wesentlich größeres Netzwerk angesprochen wird“. Das, was im Wartezimmer beim Arzt passiert, wenn einer beginnt zu gähnen, lässt sich also indirekt auch auf Produktwerbung bei Youtube übertragen. Fängt einer an, müssen Viele es nachmachen.

Große Reichweite zum geringen Preis

Youtube-Videos von Privatpersonen eignen sich außerdem deshalb so gut zur Vermittlung von Botschaften, weil sie nicht sofort in Verdacht geraten, Werbung zu sein. Deshalb bringt zum Beispiel ein großer deutscher Produzent von Haushaltsgeräten den Stuttgarter Sami Slimani alias „HerrTutorial“ dazu, mit strahlendem Lächeln davon zu berichten, was für ein „supercooles Teil“ das neue Modell eines Rasierers doch sei.

Man nimmt ihm ab, dass er es ernst meint. Dabei ist es egal, ob ein Produkt offensiv beworben oder scheinbar neutral getestet und vorgestellt wird. Was zählt, ist die Authentizität. Eine fragwürdige Werbemethode, die gleich zwei Verlierer hat. Zum einen die Zuschauer, die oft unbewusst beeinflusst werden, ohne, dass sie es merken. Zum anderen die Youtube-Stars, die vor lauter Freude über kostenlose Produkte und sonstige Annehmlichkeiten gar nicht mitbekommen, dass sie zu Zugpferden der Industrie gemacht werden.

Gewinner sind die Unternehmen - Effektive Werbung, quasi aus der Portokasse bezahlt. Zum Vergleich: Ein überdurchschnittlich oft betrachtetes deutschsprachiges Video bei Youtube kommt auf eine Klickzahl von bis zu 200.000, was in etwa der täglichen Auflage der Stuttgarter Zeitung entspricht. Allerdings kostet eine komplette Seite Werbung hier mindestens 30.000 Euro - ungefähr das Tausendfache der Ausgaben für eine Produktplatzierung bei Youtube. Selbst dann, wenn die „Youtuber für ihre Dienste nicht nur materiell, sondern auch finanziell belohnt werden, was aber ohnehin kaum vorkommt.

Rein rechtlich gesehen ist das nicht so leicht angreifbar: „Wir bewegen uns hier in einer Grauzone“, stellt der Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht Dr. Jens Eckhardt fest. „Solange es sich um Privatpersonen handelt, die quasi in ihrer Freizeit Anderen ein Produkt empfehlen, greifen die – vereinfacht gesagt – ‚Wettbewerbsgesetze’ nicht, da diese auf geschäftliches Handeln abzielen.Ein Verstoß gegen das Gesetz liegt dann nicht vor.“ Der Stempel „Werbung“ müsse beispielsweise nur dann draufstehen, wenn es sich um eine so genannte redaktionelle Tätigkeit handelt, wie zum Beispiel bei Produkttests in Magazinen. Ob diese Voraussetzung bei Youtube-Videos gegeben ist, dazu bestünde laut Dr. Eckhardt „bisher keine gefestigte Rechtspraxis“.

Der Ärger der User muss die Unternehmen nicht beunruhigen

Auf Seite der Unternehmen will man unterdessen von unfairen Werbemethoden nichts wissen. Man gibt sich zugeknöpft, nur die deutsche Niederlassung von L’Oreal äußert sich in einer kurzen schriftlichen Stellungnahme: „L’Oreal stellt Bloggern, sowie Youtubern als auch Journalisten, je nach Thema und Verfügbarkeit Produkte und Pressematerial zur Verfügung, welches nach eigenem Ermessen für eine Berichterstattung genutzt werden kann“, heißt es aus der PR-Abteilung.

Dass entsprechend ausgebildete und professionell arbeitende Journalisten in der Regel mit den Tricks der PR vertraut sind, Hobby-Tester bei Youtube allerdings nicht, spielt offensichtlich keine Rolle. Es wird sogar bewusst mit der Unbedarftheit kalkuliert: Ein fröhliches „Leute, ich kann euch dieses Teil nur empfehlen“ von „HerrTutorial“ ist für die Unternehmen mittlerweile in bestimmten Zielgruppen mehr Wert als eine gute Bewertung bei „Stiftung Warentest“, geben Marketingstrategen hinter vorgehaltener Hand zu.

Die Scherben fegen unterdessen andere weg. Der Ärger über offensichtliche Produktplatzierung der Parfümmarke bei „Frag die Gurus“ zum Beispiel muss die Werbeleute des entsprechenden Unternehmens nicht weiter beunruhigen. Die Beschwerden der Kommentierenden richten sich fast ausschließlich gegen die Youtuber. Und die haben keine PR-Abteilung, die ihnen dabei wieder aus Patsche hilft. Höchstens einen „Off“-Button an ihrem PC.