Das Bayerische Staatsballett München zeigt im Stuttgarter Kammertheater die Rekonstruktion von Oskar Schlemmers „Triadischem Ballett“. Es ist ein imposantes Erlebnis.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Das Chaos scheint groß gewesen zu sein. Die Profis brachten die Uraufführung des „Triadischen Balletts“ souverän über die Bühne. Oskar Schlemmer aber war unzufrieden. Der berühmte Maler, der sich nicht leicht zufriedenstellen ließ, tanzte bei der Uraufführung persönlich mit – unter Pseudonym. Nach der Vorstellung räumte er aber zerknirscht ein: „Tänzerisch, kann ich heute selbst sagen (gegen vereinzelte Stimmen), versagte ich.“ Dabei war Schlemmer sportlich, sogar athletisch. Aber die Kostüme, die er selber entworfen hatte, hinderten ihn derart an der Bewegung, dass er kurzfristig die Abläufe umstellen musste. Die Tänzer verloren bei der Aufführung ganze Kostümteile – auf der Bühne flogen die Reste umher.

 

Trotzdem hat Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“ Weltgeschichte geschrieben. „Es war – man kann sagen – ein Erfolg“, konstatierte Schlemmer. Das Publikum sei nachsichtig gewesen und habe die viel zu langen Pausen geduldig hingenommen. Und dass auch sonst nicht alles klappte, habe nicht einmal „die gehässigste Zeitung erwähnt oder ausgenutzt“ – „seltsamerweise“.

Knapp hundert Jahre nach der Uraufführung 1922 ist das „Triadische Ballett“ wieder in Stuttgart zu sehen. Das Bayrische Staatsballett gastiert im Kammertheater mit der Rekonstruktion dieses Meilensteins des Theaters, aber auch der bildenden Kunst. Denn das war es, was Schlemmer wollte: Theater und bildende Kunst zusammenführen. Andere Reformer wie Isadora Duncan oder Rudolf Laban wollten den Tanz befreien, den Körper entfesseln. Schlemmer dagegen arbeitete an einer geometrisch-mathematischen Organisation des Tanzes, bei dem der Körper zur Marionette wird.

Schlemmers radikal neue Theaterkonzeption

Die Staatsgalerie Stuttgart besitzt noch einige der Originalkostüme, die Schlemmer in seinem Atelier in Cannstatt für das „Triadische Ballett“ fertigte. Sie sind denkbar unpraktisch zum Tanzen, weil Schlemmer Holz und Metall verwendete, starre, tellerförmige Röcke entwarf oder die Körper in senkrechte Scheiben verwandelte. „Es musste dabei allerhand Lehrgeld bezahlt werden und es galt auch, Riesenschwierigkeiten zu überwinden“, berichtete seine Frau Tut Schlemmer später. „Damals gab es leider auch noch keine Reißverschlüsse, und alle Nähte mussten mühselig zugehakt werden. Die Kostüme wurden gelötet, genietet, gehämmert.“

In der aktuellen Ausstellung „Visionen einer neuen Welt“ in der Staatsgalerie Stuttgart sind die Kostüme ausgestellt – aber es ist ein ganz besonderes Erlebnis, sie nun auf der Bühne zu erleben. Erst in der Aktion begreift man, was Schlemmer wollte und wie radikal neu seine Theaterkonzeption war – und bis heute ist. Wie eine flache Schale, die mit farbigen Ringen bemalt wurde, trippelt Anna-Lena Uth über die Bühne, wischt sich anmutig Staub vom starren Rock, verbeugt sich, kreiselt, tänzelt und beginnt ein tänzerisch-pantomimisches Zwiegespräch mit dem „Taucher“ (Simon Jones), dessen Kopf in einer Art Kugel steckt, die an eine Tauchermaske erinnert. Der Taucher hüpft, drippelt, rutscht hin und her, streckt die dick wattierten Beine und schreitet die Bühne im Kreuzschritt ab.

Die Kostüme der Nummernfolge werden immer raffinierter. Hier ein Rock, der an einen zusammengeschobenen Lampion erinnert, dort führt eine um den Körper geschlungene Metallspirale federnd ihr Eigenleben. Der Hampelmann, für den dem Tänzer Elvis Abazi farbige Scheiben vorne auf den Körper aufgesetzt wurden, lässt den Körper zweidimensional wirken. Einige Figuren erinnern an Spieldosenfiguren – und die Körper werden zunehmend negiert, bis letztlich eine fast völlige Entmaterialisierung des Körpers stattfindet. Die Tänzer tragen nun schwarze Trikots, stecken fast unsichtbar in den Kostümteilen und werden zu Scheiben oder Skulpturen.

Abweichungen im Detail

Es ist beeindruckend, wie leicht die jungen Tänzerinnen und Tänzer aus München sich mit diesen störrischen und sperrigen Kostümen bewegen. Beim Goldkugelkostüm stecken die Arme sogar komplett in einer Kugel, können also nicht mehr zur Stabilisierung des Körpers genutzt werden. Inhaltlich ist das Ballett allerdings etwas dünn, mal wird gesteppt, mal pantomimisch an eine unsichtbare Tür geklopft – und vor allem die koketten Spielchen zwischen den Geschlechtern sind recht betulich und altbacken.

Ob Schlemmer das so wollte? Man weiß es nicht. Denn die Aufführung des Bayerischen Staatsballett ist keine Rekonstruktion des Originals, sondern wieder einer Rekonstruktion. Der Choreograf Gerhard Bohner hat das Ballett 1977 aufgeführt – und eben diese Fassung ist im Kammertheater zu sehen, in den Kostümen, die damals neu angefertigt wurden – mit Abweichungen im Detail. Die Musik der Rekonstruktion stammt von dem 1938 geborenen Komponisten Hans-Joachim Hespos und arbeitet mit Rauschen, Quietschen, Grummeln und Fiepsen oder Schlägen auf Flügelsaiten. Auch auf die Dekoration der Uraufführung, ein „kubisches, nach rückwärts verjüngtes Zelt“, wurde verzichtet.

Vor allem ist bei der Aufführung im Kammertheater nicht mehr das Prinzip der Trinität ablesbar. Schlemmer konzipierte Dreiheit auf vielerlei Weise: Das Ballett in drei Akten wollte Tanz, bildende Kunst und Musik zusammenführen und dabei Höhe, Breite und Tiefe des Raums spiegeln. Die Kostüme basieren auf den drei geometrischen Grundformen Kreis, Quadrat, Dreieck, und die Tänze unterteilte er in „Eintanz, Zweitanz und Dreitanz“.

Dieses Projekt hätte ins Stuttgarter Ballet gehört

Die Resonanz auf das „Triadische Ballett“ war groß, vor allem Schlemmers Kollegen vom Bauhaus waren begeistert. Er selber dagegen geriet in Streit mit den Tänzern Albert Burger und Elsa Hötzel, weil sie sich um ihre Anteile an dem Ereignis betrogen fühlten. Nach einer juristischen Auseinandersetzung wurden die Kostüme aufgeteilt. Schlemmer ergänzte die ihm fehlenden Kostüme und führte das „Triadische Ballett“ in den folgenden Jahren noch einige Male auf. Denn beim „Triadischen Ballett“ konnte er, der sich stets zwischen Theater und bildender Kunst hin und her gerissen fühlte, am ehesten seine Vision vom harmonischen Zusammenspiel von Figur und Raum realisieren.

Deshalb ist diese Rekonstruktion auch ein historisches Ereignis. Es mag triftige Gründe gegeben haben, aber es ist doch ärgerlich, dass diese Rekonstruktion nicht in der Schlemmer-Stadt Stuttgart und nicht im Kontext der Ausstellung in der Staatsgalerie herausgekommen ist, sondern in München. Dieses bedeutsame Projekt hätte ins Stuttgarter Ballett gehört und vor allem häufiger aufgeführt werden müssen. Denn die wenigen Gastspiele im Kammertheater sind längst ausverkauft.