Der Aufsichtsrat der Calwer Kreiskliniken schließt die Geburtshilfe im Nagolder Krankenhaus endgültig. Ein 24-Stunden-Betrieb war wegen fehlender Hebammen und mangelnder Kooperation der Belegärzte nicht mehr möglich.

Nagold/Calw - Es hatte sich abgezeichnet: Vor gut zwei Wochen war die geburtshilfliche Belegabteilung im Nagolder Krankenhaus „bis auf Weiteres“ eingestellt worden. Akuter Personalmangel hatte die Geschäftsleitung des Klinikverbunds Südwest, zu dem die Kreiskliniken Calw-Nagold gehören, zu diesem Schritt veranlasst. Ein 24-Stunden-Betrieb sei aus arbeitsrechtlichen Gründen, insbesondere aber auch aus Verantwortung gegenüber den schwangeren Patientinnen und den Neugeborenen nicht mehr möglich. Am Dienstag Abend hat nun der Aufsichtsrat der Kreiskliniken Calw gGmbH die Konsequenz gezogen und die dauerhafte Schließung mit sofortiger Wirkung beschlossen.

 

Laut einer Mitteilung seien zu wenig Belegärzte bereit gewesen, die geburtshilfliche Abteilung aufrecht zu erhalten, zudem seien zu wenig Hebammen verfügbar. Bei einer Weiterführung mit einer dünnen Personaldecke hätte man ein „Organisationsverschulden“ riskiert, begründet die Geschäftsführerin des Klinikverbunds Südwest, Elke Frank, den Schritt. Der Aufsichtsrat habe sich die Entscheidung bei diesem „emotionalen und wichtigen Thema“ nicht leicht gemacht, sagt dessen Vorsitzender, der Calwer Landrat Helmut Riegger und führt fort: „Ich bedauere die Schließung der Geburtshilfe in Nagold.“ Den schwangeren Patientinnen stünden innerhalb des Klinikverbunds die Krankenhäuser in Herrenberg sowie in Böblingen zur Verfügung. Betriebsbedingte Kündigungen für die fünf betroffenen Mitarbeiter werde es nicht geben.

Gutachten empfiehlt Kooperation mit Klinik in Herrenberg

Mit dieser Schließung nimmt der Aufsichtsrat vorweg, was ein vor kurzem vorgestelltes Gutachten zur strategischen Weiterentwicklung der defizitären Krankenhäuser in Calw und Nagold unter anderem empfohlen hatte. „Die Geburtshilfe sollte bei allen drei Szenarien in Kooperation mit dem Krankenhaus Herrenberg erbracht werden“, heißt es in der Zusammenfassung. „Das schmerzt“, sagt der Nagolder Oberbürgermeister Jürgen Großmann. Die Geburtshilfe sei wichtig, sagt er, wohl wissend, dass diese zur Sicherheit von Mutter und Kind „niemals auf Schmalspur“ gefahren werden könne. Aber er kennt auch die Anforderungen, 1000 Geburten werden aus fachlicher und wirtschaftlicher Sicht für eine Klinik gefordert. 2012 wurden gerade einmal 430 Neugeborene im Nagolder und 356 im Calwer Krankenhaus gezählt. Dennoch sieht Großmann „das letzte Wort noch nicht gesprochen“. Der Fortbestand für die Calwer Geburtshilfe ist für den Aufsichtsratsvorsitzenden Riegger jedoch gesichert. Diese sei „völlig anders“ aufgestellt und mit fünf Ärzten in einer gemeinsamen Praxis besser organisiert.

Der Kreistag hatte aufgrund der stetig wachsenden Defizite der Kreiskliniken das Gutachten in Auftrag gegeben. 2012 blieb der Kreis auf einem Minus von 6,3 Millionen Euro sitzen, für 2013 ist ein Minus von 7, 8 Millionen prognostiziert, das bis 2020 auf zehn Millionen Euro anwachsen soll, sollten die Strukturen bleiben wie sie sind. Zur großen Überraschung nicht nur des Landrats empfahlen die Gutachter nicht etwa den Neubau eines zentralen Krankenhauses – Wildberg war im Gespräch – und die Aufgabe der Kliniken in Calw und Nagold. Aufgrund des veränderten Einzugsgebiets und den längeren Fahrtwegen sei dies keine wirtschaftliche Lösung für den ländlichen Flächenlandkreis, sagt Riegger.

Gutachten: Spezialgebiete in Nagold, Grundversorung in Calw

Statt dessen sollen für eine wohnortnahe stationäre Grundversorgung der Bevölkerung beide Standorte erhalten und unterschiedlich ausgerichtet werden. Nagold solle aufgewertet werden mit den Schwerpunkten Neurologie und Orthopädie. Rund 40 Millionen müssten bis 2020 dafür investiert werden. Das 100 Jahre alte Krankenhaus in Calw hingegen, mit seinen zahlreichen Anbauten und zudem am Hang gegelegen, könne nicht wirtschaftlich betrieben werden. Die Gutachter empfehlen einen Neubau mit 100 Betten, den sie auf rund 30 Millionen Euro beziffern. Dort soll die Grund- und Regelversorgung stattfinden, etwa bei Unfällen und Herzinfarkten.

Trotz dieser Investitionen ist dies für die Gutachter die wirtschaftlichste Lösung. Sie rechnen mit einer „schwarzen Null“ – insgesamt für beide Standorte. Tatsächlich wird deutlich, dass im Jahr 2020 das Nagolder Haus ein Plus von rund 5,3 Millionen Euro erzielen wird, das neue Calwer Haus hingegen weiterhin Miese machen wird, rund 4,3 Millionen Euro. „Man muss unter dem Strich rechnen“, erläutert der Landrat. Organisatorisch seien die Kreiskliniken ein Krankenhaus mit einer Bilanz.

Eine beispielhafte Bürgerbeteiligung

Währen der Nagolder OB Großmann das Gutachten als „schlüssig und überzeugend“ bewertet, hegt der Calwer OB Ralf Eggert erhebliche Zweifel. „Das Gutachten enthält so viele Fehler, die aufgearbeitet werden müssen“, sagt er. Eggert will mehr Zeit für die Prüfung, der Kreistag könne keinesfalls bereits Mitte Dezember die Weichen für die Klinikneuausrichtung stellen. So hätten die Gutachter etwa just die „Ausnahmejahre“ 2011 und 2012 zur Berechnung herangezogen, als wegen des Weggangs von Chefärzten auch viele Patienten ausgeblieben seien. Eine Bürgerinitiative macht sich jetzt für die Calwer Belange stark.


Im Landkreis Calw sind erstmals Bürger in die strategische Ausrichtung der Krankenhausplanung einbezogen worden. „Wir brauchen die Akzeptanz der Bevölkerung“, begründet der Landrat Helmut Riegger das landesweit einmalige Verfahren. In einem ersten Forum im April hatten Bürger Fragen an den Gutachter formuliert. Der Kreistag hatte dann das „Gutachten zur medizinischen Entwicklung und wirtschaftlichen Sanierung 2020 für die Kreiskliniken Calw gGmbH“ an die Berliner GÖK Consulting AG vergeben.

Drei Szenarien wurden untersucht: Grundversorgung in Calw und Nagold; die Aufgabe der beiden Standorte, Bau einer Zentralklinik in Wildberg; Spezialisierung in Nagold, Grundversorgung in einem Neubau in Calw. In einem zweiten Forum befassten sich jüngst 120 Bürger mit dem Ergebnis. Sie modifizierten die Empfehlung der Gutachter, Calw müsse auch eine Neurologie anbieten. Der Kreistag berät Mitte Dezember.