Der Theater- und Filmregisseur Christoph Schlingensief hat Burkina Faso einst eine Idee geschenkt: den Bau eines Festspielhauses mitten im Busch. Was ist fünf Jahre nach seinem Tod daraus geworden? Ein Besuch bei 45 Grad im Schatten.

Ziniaré - Es ist eine archaische Szene wie aus den Anfängen der christlichen Zeit. Neun Jungen stehen auf trockenen Ackerfurchen im Schatten eines Baumes und beten. Sie haben sich gen Osten gewandt, an der Spitze steht einer von ihnen wie ein Oberpriester. Um ihre Hälse hängen Kruzifixe. Eine leichte Brise macht die Hitze erträglich. Die Buben sind Schüler im Operndorf von Christoph Schlingensief, sie nutzen ihre Mittagspause zur inneren Einkehr draußen auf dem Feld. Burkina Faso in der Trockenzeit ist ein grau-braunes Land, die Bäume sind dürr, die Landschaft karg, steinig, staubig. Hier im Operndorf – einige Kilometer außerhalb der Kleinstadt Ziniaré, dem immer noch schön gepflegten und privilegierten Heimatort des mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagten Präsidenten Blaise Compaoré – erinnert vieles an eine Mondlandschaft. Gefängnisse, denkt der Reisende, baut man in abgelegene Regionen. Aber ein Operndorf?

 

Da thronen also die vom burkinischen Architekten Francis Kéré konzipierten Wohnhäuser auf einer Anhöhe über einem natürlichen Theaterrund. Sie sehen aus wie Mahnmale, sind alle bewohnt – und doch erinnert das Ensemble an ein Geisterdorf. Es gebe hier noch nichts , was ein Dorf ausmache, sagt der Schuldirektor Ouedraogo Abdoulaye: keinen Markt, kein Hotel, keinen Kiosk. Selbst den Tee bringe die Schulsekretärin am Morgen von daheim in der Thermoskanne mit.

Der Rektor sitzt am Schreibtisch in einem der im Inneren erstaunlich kühlen Lehmziegelhäuser, die Wellblechsegel als Sonnenschutz haben. Hinter Abdoulaye hängt ein Bild des 2010 an Lungenkrebs verstorbenen Universalkünstlers Christoph Schlingensief, der diese wahnwitzige Idee hatte: ein Opernhaus in Afrika bauen, einen kulturellen Ort, wo sich Einheimische und Nichtafrikaner auf Augenhöhe begegnen. Man müsse alle Vorstellungen von Kunst über Bord werfen und in den Reichtum eines solchen Ortes investieren, erklärte Schlingensief die Idee. Mit der Schule fange man an, sie solle Zentrum sein: „Was für eine Kunst, wenn uns Kinder und Jugendliche, die einen Unterricht besuchen, an ihrem Wissen teilnehmen lassen! Was für ein Fest, wenn sie ihre eigenen Bilder machen, Instrumente bauen, Geschichten schreiben, Bands gründen. Und was für eine Oper, wenn in der Krankenstation, die wir bauen wollen, ein neugeborenes Kind schreit.“ Schlingensief starb ein halbes Jahr nach der Grundsteinlegung.

Die Schule boomt

Und heute? Um es kurz zu machen: die Saat ist aufgegangen. 18 Kinder hat die im Operndorf wohnende Hebamme in den umliegenden Dörfern zur Welt gebracht. Die 2011 eröffnete Schule boomt, hat 250 Kinder von sechs bis elf Jahren. Schulen gehen in Afrika immer: So formuliert es auch Schlingensiefs Witwe Aino Laberenz, die sein Projekt fortführt. Bei der Regierung setzt sie sich für die Finanzierung der Lehrer durch den Staat ein. Den in Berlin und Ouagadougou residierenden Verein Festspielhaus Afrika, der auf Spenden angewiesen ist, würde das entlasten.

Nur das Opernhaus – die Festspielbühne – lässt auf sich warten. Ein Termin? Nicht in Sicht. Aino Laberenz sagt, dass sie das Operndorf auf keinen Fall nur als soziales Projekt verstehe, wofür die Schule und die verwaist wirkende Gesundheitsstation samt Zahnarztpraxis stehen. Aber auf welcher Plattform die kulturelle Arbeit stattfinden kann, ist offen. Laberenz möchte mit einem Residenzprogramm starten, afrikanische und internationale Künstler sollen auf Zeit im Dorf arbeiten und wohnen, sich austauschen. 2016 will sie damit anfangen. Ein Bühnenhaus, sagt Aino Laberenz, habe auch für Christoph Schlingensief nicht höchste Priorität gehabt: „Er sagte, es könne auch ein Marktplatz sein oder eine andere Bühnenfläche. Wir müssen nicht unbedingt rasch ein Haus bauen.“

Burkina Faso hat eine im Verhältnis zu seiner Armut muntere Kulturszene. Selbst nach der Machtübernahme 2014 durch das Militär konnte im Frühjahr das traditionelle Filmfestival FESPACO (das Panafrikanisches Kino- und Fernsehfestival von Ouagadougou) abgehalten werden. Auch das alle zwei Jahre terminierte Theaterfestival „Récréatrales“ im November war nicht gefährdet. Es fand statt mit zwei Dutzend Bühnenstücken und Lesungen – aber eben nicht im Operndorf, das eine Autostunde von der Hauptstadt entfernt liegt, sondern in Ouagadougou, in den quirligen Hinterhöfen des Szeneviertels Bougsemtenga .

Alle glauben an die Zukunft

Aber die Afrikaner glauben noch ans Operndorf – die Keimzelle sei gelegt mit der Schule, die Strom und fließend Wasser hat. 20 Prozent des Unterrichts entfallen auf Kunst und Musik, ein Novum in Burkina Faso. Auch der Filmemacher Motandi Ouoba – ein Mann Mitte 50 – unterrichtet Schüler, er hat fünf Videokameras für eine Klasse mit 50 Kindern. Er sagt, früher hätten sie als Kind natürlich gerne Fußball gespielt. Kein Mensch hätte damals geglaubt, dass auch afrikanische Fußballer einmal Weltklasse werden könnten. So ähnlich müsse man es sehen, wenn Kinder jetzt Kunst machten. Vielleicht entstehe daraus einmal etwas Großes?

Auch Sévérin Sogbo, ein junger Mann, einst Dolmetscher von Schlingensief, glaubt an die Zukunft: an Workshops mit Künstlern und an Kooperationen wie die mit der deutschen Fotografin Marie Köhler, die mit den Kindern im Operndorf gearbeitet hat. Köhler hat dort vier Monate gewohnt und fotografiert. Die Kinder, sagt sie, saugten die Kunstangebote auf wie ein Schwamm. Und die Dörfler liefen kilometerweit für ein Theaterstück oder eine Filmshow im Operndorf. Afrika hat Marie Köhler nicht losgelassen, ihr nächstes Projekt war in Ruanda, nun plant sie eine Kongo-Reise.

Abdoulaye, der Schuldirektor vom Operndorf, ist von der Profession her ein Theatermann. Er öffnet die Hintertür seines Büros wie den Vorhang einer Bühne: riesige Felskugeln lagern dort, ein Tafelberg ist in der Ferne im Dunst sichtbar. Wenn alles grün sei nach der Regenzeit, sei dies ein magischer Ort: „Hier können Künstler in Ruhe arbeiten. Hier können Opern und große Kulturereignisse stattfinden. Das Experiment kann gelingen.“ Als nächsten Schritt empfiehlt er aber den Bau eines Restaurants – damit die Bewirtung von Gästen einfacher wird.