Schnecken sind nicht jedermanns Sache. Die Biologin Anette Rosenbauer aus Backnang aber faszinieren die Weichtiere. Sie sagt, die meisten Arten fressen gar kein Gemüse, sondern tote Pflanzen, Algen oder Pilze.

Backnang - Agathe, die Achatschnecke, hat schon vor einer Weile das Zeitliche gesegnet. Übrig geblieben ist ein etwa 15 Zentimeter großes, braun gestreiftes Schneckenhaus. Anette Rosenbauer verwahrt es in ihrem Arbeitszimmer in Backnang. Dort steht ein großer Schrank mit vielen Schubfächern, in denen sich noch viel mehr durchsichtige Plastiktütchen mit leeren Schneckenhäusern stapeln. Jedes Tütchen ist sorgfältig beschriftet – mit dem Namen der Schneckenart, des Finders, dem Fundort und dem Funddatum. Manche Häuser, etwa die der noch weitgehend unerforschten Quellschnecken, sind so klein wie Stecknadelköpfe. Andere haben die Größe einer Faust – so wie das Gehäuse der verstorbenen Agathe.

 

Die Grunzschnecke gibt Geräusche von sich

Auch eine lebende Schnecke gibt es derzeit in Anette Rosenbauers Haushalt. Das Exemplar ist ungefähr so groß wie eine Weinbergschnecke, sitzt in einer Insektenbox auf dem Wohnzimmertisch und bearbeitet ein Blatt Chicoree mit den scharfen Zähnchen seiner Raspelzunge. „Ganz klar, eine Grunzschnecke, Cantareus apertus“, sagt Anette Rosenbauer, die das Tier von einer Bekannten geschenkt bekommen hat. „Sie hat die junge Schnecke in ihrem italienischen Biosalat gefunden“, sagt Anette Rosenbauer. Und demonstriert dann, wieso das Tier so heißt, wie es heißt: Die Biologin stupst vorsichtig mit einem Finger gegen den Fuß der Schnecke, schon ertönt ein Grunzen. „Den Abwehrlaut erzeugt die Schnecke, indem sie aus ihrem Atemloch Luft presst“, erklärt Rosenbauer.

Von Kindesbeinen an hat die 49-jährige Biologin Schnecken gerne gemocht. Das hat sich auch später, während ihres Biologiestudiums, nicht geändert. So hat sich Anette Rosenbauer der Weichtiere angenommen, während die meisten ihrer Studienkollegen sich den Vögeln oder Insekten widmeten. Die Arbeit mit letzteren hat für die Biologin einen entscheidenden Nachteil: „Man muss sie fast immer töten, wenn man sie bestimmen will.“

Von Berufs wegen beschäftigt sich Anette Rosenbauer mit Pflanzen, denn sie arbeitet als Präparatorin für Botanik im Naturkundemuseum Stuttgart. In ihrer Freizeit aber widmet sie sich den Gehäuse- und Nacktschnecken, die zu ihrem Bedauern ein ziemlich schlechtes Image haben. „Eklig“, „schleimig“, „böse Mistviecher, die das Gemüse fressen“ – das sei die Meinung der meisten Zweibeiner über Schnecken. „Tatsächlich sind aber nur eine Handvoll Arten ein Problem für den Garten“, versichert Rosenbauer. „Die meisten Schnecken fressen tote Pflanzen, Algen oder Pilze.“ Insofern spielten sie wie Regenwürmer eine wichtige Rolle als Zersetzer. Manche Arten seien Räuber und vertilgten kleinere Schnecken oder auch Regenwürmer.

Schleim schützt vor Verletzungen

Schleim, ja, den erzeugten die Schnecken dank einer Menge von Drüsen tatsächlich reichlich – als Schutz gegen Austrocknung, Fressfeinde und Verletzungen: „Sie können sogar über Rasierklingen kriechen, ohne dass ihnen etwas passiert.“ Auch für den Schneckenhausbau gibt es eine Drüse, die Manteldrüse, die Kalk produziert. Kleinere Schäden am Gehäuse können Schnecken nach dem Do-it-Yourself-Prinzip reparieren. Anette Rosenbauer zieht als Beweis ein Häuschen aus ihrer rund 1000 Arten umfassenden Sammlung und deutet auf eine weiße Wulst, die wie eine Narbe auf dem sonst braunen Gehäuse leuchtet.

Manche Schnecken mögen es feucht, es gibt aber auch solche, die sich auf ein Leben in trockener Umgebung spezialisiert haben. So etwa die italienische Felsenschnecke mit ihrem hellen Gehäuse, welches das Sonnenlicht gut reflektiert. Die Art ist gemeinsam mit Steinen aus dem Süden nach Deutschland importiert worden und häufig auf dem Gelände von Steinmetzbetrieben zu finden. Anette Rosenbauer hat auf der Suche nach den Weichtieren eine ganze Reihe solcher Betriebe im Landkreis abgeklappert. In Erbstetten ist sie fündig geworden: „Dort sind die Schnecken sogar vom Steinmetzbetrieb über die Straße gewandert.“ Auf dem mit Kalkschottersteinen bestreuten Parkplatz eines Getränkehändlers sind die Einwanderer im Rems-Murr-Kreis heimisch geworden.

Die vom Aussterben bedrohte Dreizahn-Turmschnecke hat Anette Rosenbauer lange gesucht. Zu solchen Exkursionen zieht sie mit Gummistiefeln an den Füßen und Plastikdosen, Pinzette, Minirechen und diversen Küchensieben im Gepäck los. An einer Böschung in Aspach hat sie leere Gehäuse, aber auch lebende Exemplare entdeckt. Eine kleine Sensation: „Es gibt nur noch zwei oder drei Stellen in Baden-Württemberg, wo diese Art lebt.“

Die Zerstörung von Biotopen und Überdüngung mache den Schnecken zu schaffen, sagt Anette Rosenbauer. Überhaupt sei noch viel zu wenig über diese Tiere bekannt – anders als über Pflanzen oder Vögel. Das wollen die 49-Jährige und andere Schneckenforscher ändern: „Wir wollen erfassen, wo welche Arten vorkommen – als Grundlage für ihren Schutz.“

Wissenswertes über Weichtiere

Stamm
Weltweit gibt es rund 150 000 Schneckenarten. Sie gehören zum Stamm der Weichtiere, dem auch Muscheln und Tintenfische angehören. In Deutschland sind etwas mehr als 100 Arten von Süßwasserschnecken und 226 Landschnecken mit und ohne Gehäuse bekannt. Je nach Lebensraum atmen Schnecken mit einer Lunge oder einer Kieme.