Sie treiben die Tunnels für das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm in den Berg. Tag für Tag, Nacht für Nacht. Während ihrer Arbeitstage leben die Mineure in Containern, beispielsweise in Hohenstadt. Jetzt freuen sich alle aber erst mal auf die Weihnachtspause.
Hohenstadt - Weihnachtsdekoration? – Fehlanzeige. Sie sind zum Arbeiten in Hohenstadt, zehn Tage lang, in Zwölf-Stunden-Schichten, von sechs bis sechs. Zwischendurch wird geduscht, gekocht, gegessen, gewaschen und geschlafen. Das war’s. Dann geht es für fünf Tage zurück in die Heimat, hauptsächlich nach Österreich oder in den Osten Deutschlands. Rund 200 Leute sind zurzeit für den „Albaufstieg“ des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm tätig. Und auch wenn sie woanders daheim sind, für mehrere Jahre ist diese Baustelle doch so etwas wie ihr Zuhause.
Etwa 100 Bewohner zählt allein das Containerdorf in Hohenstadt – und bei allen Beschäftigten ist, auch ohne Glitzerglanz und Kerzenschein in den spartanisch eingerichteten Zimmern, die Vorfreude auf die Weihnachtszeit riesig. Von diesem Samstag an stehen die Bohrwagen und Transportmulden im Steinbühltunnel still. Bis zum 7. Januar macht die Baustelle Pause. „Ich werde meine Familie jetzt länger sehen, als sonst das ganze Jahr über“, sagt Franz Kröll, der über seinen Beruf aber nicht einen Moment klagt. „Als Mineur weißt du, dass du dahin musst, wo die Baustelle ist“, ergänzt der 48-Jährige aus Leibnitz in der Südsteiermark.
„Findelkind“ mit Familienanschluss
Zumal das mit dem Nicht-bei-der-Familie-Sein nur zum Teil stimmt. Die Ehefrau und zwei seiner erwachsenen Kinder leben zwar in der Tat in Österreich. Doch sein Sohn Herbert und sein Schwager Thomas Göttner arbeiten mit Franz Kröll nicht nur auf der Schwäbischen Alb, sondern auch in der gleichen Schicht. Mit Wolfgang Weingand – „unser Findelkind“, wie Franz Kröll sagt – kommt ein vierter Steirer hinzu. „Das ist praktisch, weil wir in einer Fahrgemeinschaft pendeln können“, erklärt Göttner, während die vier Männer den Tag im Umkleidecontainer ausklingen lassen.
Bei einer Flasche Bier und der einen oder anderen Zigarette wird herumgealbert, geflachst und gescherzt. „Ein bisschen Mobbing muss ich hier im Familienverbund eben aushalten, aber das passt schon“, sagt Weingand mit einem Augenzwinkern. Dem Beobachter wird schnell klar. Hier sitzen gute Kumpels beieinander. „Für mich ist es wichtig, dass es zwischenmenschlich stimmt“, betont Franz Kröll. Was im Berg getan werde, sei nicht ungefährlich. Da müsse die Kommunikation mit den Kollegen, bei all dem Lärm und Dreck, auch ohne Worte funktionieren, fügt sein Sohn Reinhard hinzu. „Meine Arbeit, deine Arbeit, das gibt es bei uns nicht.“
Um diese zu beschreiben, eignet sich das Wort Schufterei wohl am besten. Den halben Tag mit Gehör- und Mundschutz im Dunklen zu verbringen, ist dabei nur das eine. Körperlich müssen sich die
Mineure ebenfalls reinhauen. Zwei Mann bedienen den fast 40 Tonnen schweren Bohrwagen, während die anderen den Aushub beseitigen. Neun Meter pro Tag wird der Tunnel im besten Fall vorangetrieben. Massen an Gestein müssen per Förderband aus der Röhre transportiert werden. Dieses belädt sich allerdings nicht von alleine.
Einen Grund, angesichts dieser Bedingungen zu lamentieren, sieht Franz Kröll nicht: „Jeder weiß ja, worauf er sich einlässt und der Zahltag stimmt sowieso.“ Selbst an die Abfolge von zehn Tagschichten, fünf Tagen Pause und zehn Nachtschichten könne man sich gewöhnen. „Drinnen im Dunkeln ist es eh immer finster“, sagt er und grinst. Und wenn die Motivation, angesichts des monotonen Tuns, vielleicht doch mal ein wenig nachlasse, dann zähle man eben die Stunden rückwärts, bis es wieder nach Hause gehe, räumt Reinhard Kröll ein. „Oder wir telefonieren, mailen und skypen einmal mehr als üblich mit unseren Lieben.“
Kaum Kontakt zu den Menschen im Kreis
Die Kontakte zur näheren Außenwelt sind indes eher rar gesät. Vom Landkreis Göppingen, den Menschen und den Diskussionen, die dort angesichts der künftigen Schnellbahnstrecke geführt werden, bekommen die Tunnelbauer nicht viel mit. „Wir gehen hin und wieder mal zum Einkaufen, zu mehr reicht die Zeit aber nicht, weil wir unseren Schlaf brauchen, um zu regenerieren“, erklärt Thomas Göttner.
Dafür hätten die Mineure in den nächsten zwei Wochen genug Zeit, wäre da nicht die eine oder andere „Baustelle“ in den heimischen Gefilden. Frau und Kinder stellen berechtigte Ansprüche, und am eigenen Häuschen gibt es auch immer was zu werkeln. Erst einmal sei aber abschalten und Beine hochlegen angesagt, versichert Franz Kröll. Im Januar geht es schließlich wieder zurück in die andere Welt: nach Hohenstadt, auf die Tunnelbaustelle.
Es ist spät geworden. Die vier Männer ziehen sich in ihre Containerzimmer zurück. Zwei Schichten stehen noch an, drinnen im Dunkeln, wo es eh immer finster ist.
Die Mineure haben bereits mächtig gebuddelt
Für den 8806 Meter langen Boßlertunnel des Bahnprojekts Stuttgart–Ulm wurde die Vortriebsmaschine am Portal Aichelberg Anfang November angedreht. Die Startabschnitte der beiden Röhren weisen zurzeit eine Länge von jeweils 15 Metern auf. Im Januar beginnt das Bohren in der Oströhre.
Albaufwärts, am sogenannten Zwischenangriff für den Boßlertunnel im Gruibinger Umpfental erfolgt der Bau der Tunnelröhren in konventioneller Spritzbetonbauweise – einem zyklischen Vortrieb aus Sprengen, Ausbrechen und Betonieren. In Richtung Aichelberg sind die Mineure bereits 730 Meter weit vorangekommen, in Richtung Filstal knapp 50 Meter. Mit der Weströhre wurde noch nicht angefangen.
Mitte des nächsten Jahres soll der Bau der Filstalbrücke bei Mühlhausen beginnen. Die vorbereitenden Arbeiten am Baufeld sind in den vergangenen vier Wochen vorgenommen worden.
Die Arbeiten der beiden Röhren des 4847 Meter langen Steinbühltunnels von Hohenstadt aus sind am weitesten vorangeschritten. Der Südvortrieb mit 441 beziehungsweise 430 Metern, von der Baugrube Pfaffenäcker aus, ist abgeschlossen. In Richtung Filstal weisen beide Röhren bereits eine Länge von rund 2500 Metern auf. Anfang 2016 will die Bahn am Portal Todsburg ankommen.
Die Sohle des 962 Meter langen Widderstall-Tunnels, der in offener Bauweise hergestellt wird, ist auf eine Länge von 250 Metern fertig betoniert. 130 Meter des Tunnelgewölbes stehen ebenfalls schon.
Für den 5940 Meter langen Albabstiegstunnel zwischen Dornstadt und Ulm im Alb-Donau-Kreis wird an den beiden Röhren von drei Stellen aus gebuddelt. Insgesamt liegt der Vortriebsstand zurzeit bei etwas mehr als 2050 Metern.