Viren lauern dort, wo man häufig hinlangt: auf dem Tisch oder auf der Hand. Der Hygieneexperte Ernst Tabori aus Freiburg gibt Tipps und warnt zugleich vor übertriebenen Ängsten.

Stuttgart – Wie schützt man sich vor Schnupfenviren? Und wohin sollte man niesen, um seine Mitmenschen zu schützen? Darauf antwortet Ernst Tabori, der Ärztliche Direktor des Deutschen Beratungszentrums für Hygiene, einem Dienstleistungsunternehmen in Freiburg.
Viele Menschen sind im Moment erkältet – was hat die Erkältung mit Kälte zu tun?
Kälte ist nie die Ursache einer Infektion. Aber bei niedrigen Temperaturen konzentriert der Körper das Blut im Zentrum des Körpers, um möglichst wenig Wärme zu verlieren. Weniger Blut bedeutet zum Beispiel auch weniger Abwehrzellen und Antikörper. Eindringende Keime haben deshalb größere Chancen sich festzusetzen. Hinzu kommt, dass die Luft im Winter trockener ist. Dadurch werden die Nasenschleimhäute noch anfälliger für Infekte.

Tragen wir etwas dazu bei?
Ja, denn im Winter sind wir weniger draußen und wir lüften weniger. Mehr Menschen in geschlossenen Räumen bedeutet: eine höhere Konzentration von infizierten Menschen auf engem Raum. Und je mehr Menschen infiziert sind, desto größer auch die Wahrscheinlichkeit, dass man sich ansteckt.

Wie steckt man sich an?
Stellen Sie sich eine volle Straßenbahn vor: Viele Menschen husten und niesen. Es gibt erstens die Möglichkeit, dass Tröpfchen, die dadurch in die Luft geschleudert werden, auf den Schleimhäuten anderer Menschen landen. Diese Tröpfchen können eineinhalb bis höchstens zwei Meter weit fliegen. Ich schätze aber, dass neun von zehn Infektionen über die Hände weitergereicht werden. Die Infizierten husten oder niesen sich in die Hand, fassen einen Griff an, an dem sich kurz darauf der nächste Fahrgast festhält. Der fährt sich mit den Fingern an die Lippen, Augen oder die Nase – und schon kann er sich angesteckt haben.

Das heißt, der wichtigste Infektionsschutz ist die Handhygiene?
Absolut. Unsere Finger sind die zehn besten Gründe für konsequente Handhygiene. Wenn Sie nach der Straßenbahnfahrt nach Hause kommen, sollten Sie sich als erstes die Hände waschen. Wenn Sie erst das Brot auspacken, das Sie gekauft haben, bringen Sie die Keime natürlich auch darauf. Immer, wenn man etwas angefasst hat, was infektiös sein könnte, sollte man sich die Hände waschen. Wenn man mit Leuten zu tun hat, die eine Erkältung haben, sollte man Abstand halten und nach dem Kontakt die Hände waschen.

Man wird ein bisschen seltsam angeschaut, wenn man zum Beispiel eine Klotür mit der Schulter aufdrückt . . .
Die Leute können gerne komisch gucken – solange das, was man tut, um eine Infektion zu vermeiden, vernünftig ist. Keime am Ellbogen sind viel weniger gefährlich als an den Händen. Wir berühren mit der Armbeuge selten das Gesicht, und wir essen auch nicht mit ihr. Es ist also sehr vernünftig, sie zum Öffnen von Türklinken im öffentlichen Raum zu benutzen. Man sollte es aber nicht so weit treiben, dass man sich nicht mehr mit Freude durch die Welt bewegt, weil man Angst vor Keimen hat.

Welche Ängste sind übertrieben?
Viele fürchten sich davor, sich auf eine Klobrille zu setzen. Das ist im Gegensatz zum Händewaschen nach dem Toilettengang völlig unbedeutend. Untersuchungen haben gezeigt, dass nicht extrem viele Keime auf Klobrillen zu finden sind. Aber selbst, wenn man eine kontaminierte erwischt hätte: Man hat nur mit den Oberschenkeln Kontakt – und die berühren normalerweise nicht unsere Nahrung oder die Schleimhäute des Mund-Nasen-Rachenraumes.

Würden Sie raten, während einer Erkältung auf Küsse für den Partner zu verzichten?
Wenn der Partner eine Atemwegsinfektion hat, muss man sich dessen bewusst sein, dass mit einem Kuss Viren und Bakterien übertragen werden.

Hilft es die Luft anzuhalten, wenn jemand niest, um sich vor einer Tröpfcheninfektion zu schützen?
Man atmet die Tröpfchen gewöhnlich nicht ein, sondern sie treffen auf unsere Schleimhäute oder auf eine Fläche, die wir anschließend berühren. Den Mund kann man noch fest verschließen, aber die Nase kann man nicht aktiv verschließen.

Schadet man seinem Immunsystem, wenn man jeder Infektion aus dem Weg geht?
Die Gefahr besteht nicht. Selbst bei der besten Hygiene werden Sie es nicht schaffen, Keime völlig aus Ihrem Leben zu verbannen. Ihr Immunsystem hat also in jedem Fall genug zu tun. Nur in der Erziehung kann das ein Problem sein: Wenn man Kinder zu stark abschirmt, mit ständigem Desinfizieren und übertriebener Sauberkeit etwa, kann ihr unfertiges Immunsystem nicht richtig geschult werden. Man geht heute davon aus, dass dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass diese Kinder Allergien und Asthma entwickeln.

Wie sollte man sich verhalten, wenn man selbst erkältet ist oder eine Grippe hat?
Dann kann man am meisten bewirken. Zum einen, wenn man in ein Papiertaschentuch niest – und das nach Gebrauch sofort wegwirft. Mit den Papiertaschentüchern, die man Tage und Wochen in der Hosentasche mitschleppt, bis nur noch ein großes Loch, weiß umrahmt, übrig ist, schmiert man sich ja permanent irgendwelche Keime an Hände, Gesicht und Nase. Und wenn man kein Taschentuch hat, dann niest man in die Ellenbeuge. Man braucht sich das nur auszumalen: Jemand niest sich in die Hand und zwei Minuten später reicht er sie jemandem zur Begrüßung – eine hoch konzentrierte Dosis an Keimen, das ist quasi ein biologischer Anschlag. Ganz wichtig ist auch: wenn man krank ist, nicht den Held der Arbeit spielen.

Was meinen Sie damit?
Den Kollegen, der mit einer Erkältung zur Arbeit fährt, damit jeder sieht, dass er eine rote Nase hat – und der so die Infektionserreger unterwegs und an seinem Arbeitsplatz verteilt. Wenn man einen grippalen Infekt hat, sollte man zu Hause bleiben und sich auskurieren. Wir würden eine Menge Infektionen vermeiden, wenn diejenigen, die Keime ausscheiden, diesbezüglich etwas mehr Verantwortung zeigen würden.