Womöglich hätte Daimler den Rücktritt seines Chefs Jürgen Schrempp 2005 früher melden müssen. Das deutet EuGH-Generalanwalt Paolo Mengozzi an.

Stuttgart - Der Daimler-Konzern hätte im Jahr 2005 womöglich früher über den Rücktritt seines Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp informieren müssen. Diese spektakuläre Wende im Dauerstreit des Konzerns mit Aktionären, die auf Schadenersatz klagen, deutet sich durch die Schlussanträge von Paolo Mengozzi, Generalanwalt bei Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, an.

 

Zur Vorgeschichte: Schrempp hatte in einem Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hilmar Kopper am 17. Mai 2005 erklärt, dass er ausscheiden wolle. Hiervon erfuhren in den folgen Wochen immer mehr Personen aus dem Umfeld von Schrempp sowie Mitglieder des Aufsichtsrats. Vom Aufsichtsrat beschlossen und bekannt gemacht wurde der Schritt erst am 28. Juli. An diesem Tag eröffnete die Daimler-Aktie mit 36,50 Euro, stieg und schloss schließlich mit 42,95 Euro. Dieses Kursfeuerwerk verpassten Aktionäre, die zuvor verkauft hatten. Sie verklagten Daimler mit dem Argument, dass sie nicht verkauft hätten, sofern sie Kenntnis von dem – aus ihrer Sicht – bereits feststehenden Schrempp-Abgang gehabt hätten.

Mit dem Fall beschäftigt sich nach dem Oberlandesgericht Stuttgart mittlerweile der Bundesgerichtshof, der wiederum den EuGH zur Klärung einiger Rechtsfragen eingeschaltet hat. Die Stellungnahme von Mengozzi ist noch nicht die endgültige Antwort des EuGH; üblicherweise haben aber die Schlussanträge des Generalanwalts einen sehr hohen Stellenwert und werden meist befolgt.

Unstrittig zwischen allen Beteiligten ist, dass Unternehmen Informationen, die den Aktienkurs beeinflussen können, sofort veröffentlichen müssen. Damit soll verhindert werden, dass ein Kreis von Eingeweihten Nutzen aus Informationen ziehen kann, die anderen vorenthalten bleiben. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, wann im Fall Schrempp der richtige Zeitpunkt gewesen wäre. Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hatte im April 2009 entschieden, dass die Demission Schrempps, der sich die Kür seines Nachfolgers Dieter Zetsche anschloss, frühestens nach der Sitzung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrats am 27. Juli „hinreichend wahrscheinlich“ gewesen sei. Aus Sicht des OLG durfte Daimler mit der Veröffentlichung bis nach dem formalen Beschluss des Aufsichtsrats am 28. Juli warten, weil gewährleistet war, dass die Beteiligten die Information vertraulich behandeln. Daimler hatte aus Sicht des OLG also keinen Fehler gemacht, weshalb die Klage der Aktionäre abgewiesen wurde.

Der Generalanwalt bezweifelt jedoch, dass es auf die „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ ankommt. Er weist darauf hin, dass es bei dem Gesamtvorgang in der Zeit zwischen dem 17. Mai und dem 28. Juli Zwischenschritte gegeben habe. Nicht erst die Gesamtinformation müsse veröffentlicht werden, schreibt er, sondern jede einzelne Information, die präzise (im Sinne von: nicht nur ein Gerücht) und geeignet sei, den Aktienkurs bei Veröffentlichung erheblich zu beeinflussen. Die Frage einer prozentual zu beziffernden Wahrscheinlichkeit interessiert den Generalanwalt weniger; ihm reicht es, wenn ein Ereignis „nicht unwahrscheinlich, wenn auch unsicher“ ist. Mengozzi deutet an, dass der 17. Mai aus seiner Sicht ein plausibler Termin für eine Veröffentlichung gewesen wäre.