Ob der Konzern zu spät über den Abgang von des Ex-Chefs Schrempp informiert hat, wird nun nicht gerichtlich geklärt. Über die Summe des Vergleichs herrscht Stillschweigen.

Stuttgart - Elf Jahre nach dem Abgang von Jürgen Schrempp als Vorstandschef von Daimler-Chrysler ist eine juristische Odyssee von Aktionären des Autokonzerns beendet worden. Das Stuttgarter Unternehmen und die klagenden Anteilseigner haben sich auf einen außergerichtlichen Vergleich geeinigt, wie das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart mitteilte. Sämtliche Klagen in den Ausgangsverfahren seien zurückgenommen worden. Das Musterverfahren sei damit beendet. Der für den 22. Februar angesetzte Entscheidungstermin sei aufgehoben worden.

 

Die Aktionäre hatten dem Autokonzern vorgeworfen, die Öffentlichkeit im Sommer 2005 zu spät über den Rücktritt informiert zu haben. Deshalb hätten sie Kursverluste erlitten. Rund 100 Kläger, darunter auch institutionelle Anleger, machten damals einen Schadenersatz von insgesamt 6,5 Millionen Euro geltend. Schrempp hatte schon am 17. Mai 2005 mit dem damaligen Aufsichtsratschef Hilmar Kopper über seine Rücktrittspläne gesprochen. Bekanntgegeben wurde der Abgang erst nach dem offiziellen Beschluss des Aufsichtsrats am 28. Juli 2005. Die Veröffentlichung löste einen Kurssprung aus. Weil Aktionäre schon zuvor ihre Papiere verkauft hatten, konnten sie nicht von dieser Wertsteigerung profitieren. Sie warfen dem Unternehmen vor, dass es schon vor dem offiziellenBeschluss der Kontrolleure eine Ad-hoc-Mitteilung nach dem Wertpapierhandelsgesetz hätte veröffentlichen müssen.

Verfahren wurde mehrfach an das OLG Stuttgart zurückverwiesen

In den folgenden Jahren befassten sich mehrere Gerichte mit dem richtigen Zeitpunkt für eine Pflichtmitteilung. Um die Klagen zu bündeln, begann vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht ein Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMuG), in dem zentrale Fragen am Beispiele eines Klägers geklärt werden sollten. Das Oberlandesgericht befand im Februar 2007, dass das Unternehmen alles richtig gemacht habe. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hob diese Entscheidung jedoch auf, worauf sich das Oberlandesgerichts erneut mit dem Streit befassen musste, wo das Unternehmen erneut gewann. Das Verfahren ging dann bis zum Europäischen Gerichtshof, der 2012 die Informationspflicht weit auslegte. Nach Ansicht der Luxemburger Richter muss eine Aktiengesellschaft Informationen, die den Aktienkurs beeinflussen können nicht erst beim förmlichen Beschluss, sondern schon bei Zwischenschriten veröffentlichen. Die europäischen Richter gaben dem Kläger damit im Grundsatz recht. Am Ende landete der Streit zum dritten Mal in Stuttgart. In der Verhandlung in diesem Februar indes wurde deutlich, dass die Aktionäre nunmehr auf einen Schadenersatz hoffen konnten. Das Oberlandesgericht ließ in einer vorläufigen Auffassung erkennen, dass bereits nach dem Gespräch zwischen Aufsichtsratschef Kopper und Vorstandschef Schrempp eine Pflicht zur Information der Öffentlichkeit entstanden sein könnte.

Der Konzernchef habe in diesem Gespräch erstmals die Absicht geäußert, zurückzutreten, der Aufsichtsratschef sei dem nicht entgegengetreten. Seit dieser Unterredung sei mit einem Führungswechsel zu rechnen gewesen.

Die Daimler-Anwälte dagegen argumentierten erneut, es habe sich nur um einen „Gedankenaustausch“ zwischen Schrempp und Kopper gehandelt; Beide hätten lediglich „erste Überlegungen“ angestellt. Solche Gespräche müssten möglich sein, ohne dass gleich eine Pflicht zur Veröffentlichung entstehe.

Zur Höhe der Abfindung will sich keine Seite äußern

Das Gericht unterbreitete den beiden Parteien einen Vorschlag zur gütlichen Einigung und bezifferte den möglichen Schadenersatz auf eine Spanne zwischen 2,50 Euro und 3,50 Euro je Aktie, je nachdem, welchen Zeitpunkt für die Veröffentlichungspflicht man zugrunde lege. Weder Daimler noch die Münchner Kanzlei Rotter als Vertreter des Musterklägers wollen sich dazu äußern, wieviel Geld die rund 100 Aktionäre nun insgesamt erhalten. Beide Seiten haben Stillschweigen vereinbart.

Daniel Bauer, Vorstandsmitglied der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) schätzt, dass der Schadenersatz für den Autoriesen „verschmerzbar“ ausfällt. Der Aktionärsschützer wertet den Ausgang des Rechtsstreits als einen „ersten kleinen Erfolg“. Lieber wäre ihm allerdings statt eines Vergleichs ein Urteil zugunsten der Aktionäre gewesen. „Es muss in Zukunft noch deutlicher werden, dass Verstöße gegen die Ad-hoc-Pflicht schadenersatzpflichtig sind“, sagte Bauer. Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz, wies darauf hin, dass die Vorschriften mittlerweile verschärft worden seien. Nach dem heutigen Recht, so Tüngler, hätte Daimler den Abgang von Schrempp viel früher veröffentlichen müssen.