Kultur: Tim Schleider (schl)

Lernt man auf den Lese-Tourneen durch Deutschlands Städte und Provinzen etwas? „Ich habe aus vielen Fragen gelernt.“ Beispiel? In „Flut und Boden“ verschlüsselt Leo die Namen der Nazikinder durch Geschlechtskürzel und Geburtsjahr, sein Vater etwa heißt „M42“. „Dabei hatte ich mir natürlich was gedacht. Von den Lesern habe ich gelernt, dass es nicht funktioniert hat, verwirrend ist. Das würde ich heute anders machen.“

 

Die komplizierteste Lesung war aber zweifellos im Frühjahr 2014 bei „Otto und Sohn“ in der Breiten Straße in Bremen-Vegesack – eben dort, wo Leos Blut-und-Boden-Familiengeschichte spielt. Der „Weser-Kurier“, die Bremer Tageszeitung, hatte Leos Werk als Fortsetzungsroman gebracht. In der Vorstadt schlugen die Wogen prompt hoch – gar nicht so sehr wegen der Enthüllung mancher Naziverstrickung. Eher stieß der herablassende Tonfall auf, mit dem sich der junge Leo dem Lebensort seiner Vorfahren genähert hatte. Nur noch „gespenstische Leere“ erkennt er dort. Alles Wertvolle sei demontiert – die Bremer Vulkan ging 1997 in Konkurs –, alles nur noch Vergangenheit: „Wer nicht weggezogen ist, altert in der Fußgängerzone vor einem riesigen Eisbecher.“

Nun, immerhin 80 Vegesacker kamen nach Genuss ihrer Eisbecher zur Leo-Lesung, bei „Otto und Sohn“ hing ein „Ausverkauft“-Schild an der Tür. Gab es drinnen Verletzte? „Darauf war ich gefasst. Das muss man als Autor aushalten können, man hat es so und nicht anders geschrieben. Aber die Leute haben mir ruhig und interessiert zugehört. Und ich habe auch etwas gelernt. Ich denke mit Respekt daran.“

Die Fachkollegen sind interessiert

Vorfrühling 2015 – die Lesetour ist ausgeklungen. Es gibt längst ein neues Frühjahrsprogramm, neue Debütanten, die nächste Buchmesse steht an. „Jetzt kommen andere Einladungen. Jetzt wird es ganz anders spannend.“ Gerade am Vorabend ist Per Leo bei den Historikern der Humboldt-Universität zu Gast gewesen. „Kann man als Wissenschaftler auch auf eine seriöse Art zum Erzähler werden?“ Sein Bucherfolg interessiere die Fachkollegen. „Wo genau steckt in einem Roman etwas, das auch für Forschung relevant sein könnte?“ Die Fachdebatte hat ihn zurück.

Wird es also womöglich beim literarischen Debüt als Einzelfall bleiben? „Nein. Wie gesagt, ich bin jetzt ein richtiger Schriftsteller.“ Acht Jahre hat sich der Autorenkollege Sasa Stanisic Zeit gegeben, um nach seinem Debütroman im Jahr 2006 den Buchpreis-Gewinner „Vor dem Fest“ 2014 zu schreiben. „Für das nächste Buch haben der Verlag und ich und auf etwa vier Jahre Arbeitszeit verständigt.“ Man weiß in Stuttgart eben noch, wie man mit Talenten umzugehen hat. Im Jahr nach Per Leos Debüt beginnt die Suche nach dem nächsten Schritt. „Früher Abend, Winter“, so beginnt „Flut und Boden“. Der Autor ist inzwischen weiter. Irgendwann wird er nach dem nächsten ersten Satz suchen.

Zum Preis der Buchmesse hat es dann zwar nicht gereicht – Sasa Stanisic bekam ihn schließlich für eine Provinz-Expedition ganz anderer Art, „Vor dem Fest“. Aber der literarische Anschub war geschafft, der Per-Leo-Dichterwagen rollte. „Drei Lesungen pro Woche überall in Deutschland, Interviews und Porträts. Man hielt mich plötzlich für podiumstauglich. Der Schriftstellerberuf ist in seiner ganzen auratischen Aufladung über mich gekommen.“ Unter dem Vorwand, seinen Schreibtisch sehen zu wollen, macht sich die Reporterin eines großen Magazins in Leos Berliner Wohnung breit. „Ich bemerkte viel zu spät, dass diese Art von Journalismus von der Distanzlosigkeit lebt. Das zeigten auch die Fragen, die sie mir stellte.“ Im Jahr danach hat Leo Lehren daraus gezogen: Journalisten empfängt er nicht mehr daheim, sondern im Café Einstein Unter den Linden. Täuscht man sich, oder ziehen die Kellner tatsächlich ihm zuliebe das Reservierungsschild vom Tisch? Jedenfalls: „Ich kann die Himbeer-Tarte empfehlen.“

Verwirrende Kürzel

Lernt man auf den Lese-Tourneen durch Deutschlands Städte und Provinzen etwas? „Ich habe aus vielen Fragen gelernt.“ Beispiel? In „Flut und Boden“ verschlüsselt Leo die Namen der Nazikinder durch Geschlechtskürzel und Geburtsjahr, sein Vater etwa heißt „M42“. „Dabei hatte ich mir natürlich was gedacht. Von den Lesern habe ich gelernt, dass es nicht funktioniert hat, verwirrend ist. Das würde ich heute anders machen.“

Die komplizierteste Lesung war aber zweifellos im Frühjahr 2014 bei „Otto und Sohn“ in der Breiten Straße in Bremen-Vegesack – eben dort, wo Leos Blut-und-Boden-Familiengeschichte spielt. Der „Weser-Kurier“, die Bremer Tageszeitung, hatte Leos Werk als Fortsetzungsroman gebracht. In der Vorstadt schlugen die Wogen prompt hoch – gar nicht so sehr wegen der Enthüllung mancher Naziverstrickung. Eher stieß der herablassende Tonfall auf, mit dem sich der junge Leo dem Lebensort seiner Vorfahren genähert hatte. Nur noch „gespenstische Leere“ erkennt er dort. Alles Wertvolle sei demontiert – die Bremer Vulkan ging 1997 in Konkurs –, alles nur noch Vergangenheit: „Wer nicht weggezogen ist, altert in der Fußgängerzone vor einem riesigen Eisbecher.“

Nun, immerhin 80 Vegesacker kamen nach Genuss ihrer Eisbecher zur Leo-Lesung, bei „Otto und Sohn“ hing ein „Ausverkauft“-Schild an der Tür. Gab es drinnen Verletzte? „Darauf war ich gefasst. Das muss man als Autor aushalten können, man hat es so und nicht anders geschrieben. Aber die Leute haben mir ruhig und interessiert zugehört. Und ich habe auch etwas gelernt. Ich denke mit Respekt daran.“

Die Fachkollegen sind interessiert

Vorfrühling 2015 – die Lesetour ist ausgeklungen. Es gibt längst ein neues Frühjahrsprogramm, neue Debütanten, die nächste Buchmesse steht an. „Jetzt kommen andere Einladungen. Jetzt wird es ganz anders spannend.“ Gerade am Vorabend ist Per Leo bei den Historikern der Humboldt-Universität zu Gast gewesen. „Kann man als Wissenschaftler auch auf eine seriöse Art zum Erzähler werden?“ Sein Bucherfolg interessiere die Fachkollegen. „Wo genau steckt in einem Roman etwas, das auch für Forschung relevant sein könnte?“ Die Fachdebatte hat ihn zurück.

Wird es also womöglich beim literarischen Debüt als Einzelfall bleiben? „Nein. Wie gesagt, ich bin jetzt ein richtiger Schriftsteller.“ Acht Jahre hat sich der Autorenkollege Sasa Stanisic Zeit gegeben, um nach seinem Debütroman im Jahr 2006 den Buchpreis-Gewinner „Vor dem Fest“ 2014 zu schreiben. „Für das nächste Buch haben der Verlag und ich und auf etwa vier Jahre Arbeitszeit verständigt.“ Man weiß in Stuttgart eben noch, wie man mit Talenten umzugehen hat. Im Jahr nach Per Leos Debüt beginnt die Suche nach dem nächsten Schritt. „Früher Abend, Winter“, so beginnt „Flut und Boden“. Der Autor ist inzwischen weiter. Irgendwann wird er nach dem nächsten ersten Satz suchen.