Der Regisseur Bent Hamer liebt das Absurde im Normalen. Mit amüsiertem Blick erzählt er von einer Frau, die in Norwegen für korrekte Maße und Gewichte verantwortlich ist, aber trotzdem schwer normierbare Gefühle hat.

Stuttgart - Wie viel wiegt ein Kilo? Was für eine merkwürdige Frage. Ein Kilo wiegt eben ein Kilo oder tausend Gramm! Schön, aber woher wissen wir, dass die Gewichte, die wir im Alltag verwenden, tatsächlich dieser Maßeinheit entsprechen?

 

Marie (Ane Dahl Torp) kennt sich mit solch vertrackten Fragen gut aus. Wie ihr Vater Ernst (Stein Winge) arbeitet sie an Norwegens Institut für Gewicht und Maß. Selbst im strömenden Regen vermisst Marie in Bent Hamers Spielfilm „1001 Gramm“ glitschige Skischanzen penibel Meter um Meter. Ihre Liebe zur mathematisch definierten Ordnung setzt sich in den Alltag hinein fort. Marie lebt in einem nüchternen Neubau, der zwischen anderen, gleich aussehenden Bauten in einer Reißbrettsiedlung steht.

Mehr als die Summe der Atome

Doch die schöne Gleichförmigkeit hat ein paar Macken. Maries Ehe ist gescheitert. Ihr Mann, von Beruf Pilot, räumt gerade das Haus leer. Und ihr Vater Ernst ist nicht mehr ganz auf der Höhe. Deshalb bittet er Marie, an seiner Stelle zum Kilo-Seminar nach Paris zu fahren. Dort werden die Nationalgewichte mit dem Ursprungskilo verglichen und bei Bedarf neu geeicht.

Der Auftrag kommt Marie nicht ungelegen. Mit der norwegischen Maßeinheit im Aktenkoffer begibt sie sich auf die Reise. In Paris angekommen, begegnet sie dem Gärtner Pi (Laurent Stocker), der ihre sauber vermessene Gefühlswelt in Wallung bringt.

Das norwegische Kilo ist hier weit mehr als die Summe seiner Atome. Das physikalische Gewicht, das Marie wie ein rohes Ei mit sich herumträgt, steht für emotionale Altlasten, ist im Vergleich zu denen aber federleicht. Trotzdem bekämpft Marie die Momente drohenden Kontrollverlusts tapfer. Ihre kaputte Ehe, die lebensbedrohliche Krankheit des Vaters, auch die tristen Abende im leer geräumten Haus nimmt sie meist stoisch hin. Anstatt zu explodieren, raucht sie lieber eine Zigarette.

Absurder heiliger Ernst

Hamer hat sich bereits in früheren Filmen wie „Kitchen Stories“ (2003) oder „O’Horten“ (2007) mit Menschen beschäftigt, die alles andere als außergewöhnlich sind. Doch gerade in der Darstellung überdurchschnittlicher Normalität findet der 1956 geborene Regisseur und Autor das Absurde, Schrullige und Außergewöhnliche. Die geordnete Welt in „1001 Gramm“ inszeniert er in symmetrisch komponierten Bildern, die Teilnehmer des Kilo-Seminars porträtiert er mit amüsiertem Blick.

Der heilige Ernst der Veranstaltung wirkt absurd, und auch Maries Fixierung auf den aus unserer Sicht eintönigen Beruf mutet kurios an. Zwar ist der Gedanke, dass Gefühle nicht berechen- oder kontrollierbar sind, etwas banal, trotzdem überzeugt die ruhige, mit feinem Humor erzählte Geschichte durch die Charakterdarstellungen. Marie lernt, dass die Schwere eines Gewichtes relativ ist und Maßeinheiten nichts weiter sind als mathematische Konstruktionen, die es zu hinterfragen gilt.

1001 Gramm. Norwegen 2014. Regie: Bent Hamer. Mit Ane Dahl Torp, Stein Winge, Laurent Stocker, Hildegun Riise. 93 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.