Die Schülerin Rui Wang hat beim Jugend-Lyrik-Preis der Stadt Stuttgart den vierten Platz erreicht. Vergangenes Jahr ist sie für ihre Gedichte mit dem dritten Preis ausgezeichnet worden. Ihre Poesie beschäftigt sich mit dem Thema Migration.

Vaihingen - Die erste Begegnung mit Lyrik hatte Rui Wang in der fünften Klasse im Fach Deutsch. „Ich fand die Gedichte grauenhaft langweilig.“ Deswegen hat sie beschlossen, spannendere Gedichte zu schreiben. Zunächst nur für sich selbst, später für ein Schulprojekt. Für dieses hat sie mehrere Gedichte zum Thema Migration geschrieben. Für die Schularbeit bekam sie eine Eins. Für die Gedichte wollte sie noch eine Rückmeldung von anderer Seite – und hat sie beim Jugend-Lyrikwettbewerb der Stadt Stuttgart eingereicht.

 

„Deutsch als Zweitsprache“

Die 16-Jährige lebt in Vaihingen und besucht das Königin-Katharina-Stift am Hauptbahnhof. Als Achtjährige ist sie nach Deutschland gekommen. Der Grund war der Job des Vaters. Ihre Familie stammt aus Changchun; das ist die Hauptstadt der chinesischen Provinz Jilin mit rund sieben Millionen Einwohnern.

„Als ich in Stuttgart in die Schule kam, hatte ich Glück“, erzählt Rui Wang. Sie durfte mit anderen ausländischen Kindern in eine gesonderte Klasse mit „Deutsch als Zweitsprache“. In dieser Gruppe konnte sie in Ruhe die ihr so fremde und andersartige Sprache lernen. Inzwischen kann die 16-Jährige sich perfekt ausdrücken. Ihre Ambitionen nach dem Abitur sind zweigeteilt: „Ärztin oder Bankerin. Ich habe mich noch nicht entschieden.“ Ob Medizin- oder Wirtschaftsstudium hänge auch von den Noten ab.

Diskriminierung, Einsamkeit, Heimweh

Wie kam sie zum Gedichte-Wettbewerb? „Ich liebe Herausforderungen“, sagt Rui Wang. Eine Freundin habe ihr im vergangenen Jahr vom Jugend-Lyrik-Preis erzählt. Diesen hat im Jahr 2007 die Lyrikerin Rosemarie Steinried gestiftet. Er wird jährlich vom Kulturamt ausgeschrieben; die jungen Autoren können sich in zwei Altersklassen bewerben. Da man jeweils nur zwei Gedichte einreichen darf, nahm Rui Wang auch in diesem Jahr wieder teil und schickte die restlichen während des Schulprojekts entstandenen Verse ein.

Das gewählte Thema Migration begründet sich in ihrer Herkunft. Es geht um das Gefühl, diskriminiert zu werden, um Einsamkeit, um Heimweh. Sie fühlt sich zwar wohl in Deutschland, sagt Rui Wang. „Aber es gibt Momente, in denen ich gerne in meiner Heimat wäre.“ Eine konkrete Inspiration für das Gedicht mit dem Titel „Ausmisten“ bekam sie durch die Absage für ein Praktikum, erzählt sie. „Ich war enttäuscht. Emotionen sind ein guter Motor für Kreativität.“ Deswegen ist es ihrer Erfahrung nach manchmal hilfreich, einen emotionalen Film zu schauen, um hinterher schreiben zu können.

„Erzwingen kann man es nicht“

An die Preisverleihung im vergangenen Jahr im Stuttgarter Rathaus kann sich die 16-Jährige noch gut erinnern. Zum ersten Mal musste sie ihre Gedichte vor einem großen Publikum vortragen. „Es war ein unbeschreibliches Erlebnis, das werde ich nie vergessen.“ Die angestrebte Rückmeldung von anderer Seite bekam sie aber nicht. Die Teilnehmer des Wettbewerbs gewinnen oder eben nicht. „Eine Begründung gibt es nicht“, sagt Rui Wang bedauernd. „Manchmal wäre eine negative Kritik fast besser, damit man sich entwickeln kann.“

Gedichte schreiben will sie weiter – sofern die Schule es zulässt. Denn es geht aufs Abitur zu, da zieht die Belastung an. „Aber in den Ferien habe ich sicher Zeit zum Schreiben.“ Die Inspiration kommt dann hoffentlich von allein. „Erzwingen kann man es nicht. Sie kommt, wenn sie kommt. Und dann sprudelt es einfach aus mir heraus“, beschreibt Rui Wang.