In Spanien protestieren Schüler gegen Einschnitte im Bildungswesen. Sie wollen mit Sitzstreiks auf die prekäre Lage aufmerksam machen. Nun ist die Polizei eingeschritten.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Valencia - In Spanien wird es unruhig. Die Sparmaßnahmen auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung treiben in diesen Tagen Hunderttausende Menschen zu Protesten auf die Straße. Meistens bleiben sie friedlich, so wie die Massendemonstrationen der Gewerkschaften am vergangenen Sonntag gegen die Arbeitsmarktreform der konservativen Regierung von Mariano Rajoy. Doch auf eine Sitzblockade einer kleinen Gruppe von Schülern in Valencia reagierte die Polizei mit Gewalt und trug damit dazu bei, dass sich die Flamme des Jugendprotests über ganz Spanien ausbreitet. Ministerpräsident Rajoy ist besorgt: „Wir Spanier dürfen nicht das Bild eines Landes abgeben, wie es nicht ist.“

 

Auslöser für die Proteste in Valencia sind die jüngsten Einschnitte im Bildungswesen. Die Mittelmeerregion Valencia, die seit 17 Jahren von der konservativen Volkspartei (PP) regiert wird, ist die höchstverschuldete Region Spaniens. Die Vorliebe der dortigen Politiker für teure Prestigeprojekte und der Hang vieler Lokalfürsten, in die eigene Tasche zu wirtschaften, haben die öffentlichen Kassen geleert. Die Rechnung dafür zahlen die Bürger. Symbolisch für ihre Misere stehen Dutzende Schulen, die kein Geld mehr haben, ihre Klassenräume zu beheizen. Anfang des Jahres sind den Lehrern die Gehälter gekürzt worden.

Um auf ihre prekäre Lage aufmerksam zu machen, versammeln sich seit vier Wochen ein paar Dutzend Valencianer Schüler jeden Mittwoch zu einer zehnminütigen Sitzblockade vor dem Gymnasium Lluís Vives in der Innenstadt. Am Mittwoch vergangener Woche schritt die Polizei ein. Etwas ruppig, aber im Allgemeinen nicht gewalttätig, schleppte sie die Blockierer auf den Bürgersteig, damit der Autoverkehr nicht behindert werde. Einen 17-jährigen Schüler, Andreu, nahm die Polizei fest, wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt. Eine Zeugin erzählte später, dass er sich für einen anderen Demonstranten eingesetzt habe, womit er die Polizisten gegen sich aufbrachte. Er musste vier Stunden in Handschellen auf der Wache verbringen.

Polizeichef rechtfertigt den Polizeieinsatz

Andreus Festnahme brachte eine Protestwelle ins Rollen, auf die die Polizei mit zunehmender Brutalität reagierte. Dutzende Videos zeigen Beamte, die auf junge Demonstranten einschlagen und sie mit roher Kraft zu Boden werfen oder gegen Hauswände drücken, um ihnen Handschellen anzulegen. Die gewalttätigsten Szenen spielten sich am Montagnachmittag ab. Ein Foto zeigt einen jungen Mannes mit blutig geschlagenem Gesicht, die Hände auf dem Rücken gefesselt, umringt von Polizisten. Ein Berufsschüler berichtete, wie er während seiner Festnahme „drei oder vier Faustschläge auf den Mund“ erhalten habe, danach wurde er für 30 Stunden in der Zelle einer Polizeiwache eingesperrt. „Sie gaben uns nichts zu trinken. Wir konnten noch nicht einmal auf die Toilette gehen.“

Auf einer Pressekonferenz am Dienstag rechtfertigte der Polizeichef Antonio Moreno den massiven Polizeieinsatz. „Das Plus an Aggressivität erfordert eine Antwort“, sagte er. Als er gefragt wurde, wie viele Beamte im Einsatz gewesen seien, antwortete er, jedes Wort mit einem Schlag auf den Tisch unterstreichend, dass er „diese Information nicht dem Feind zur Verfügung stellen“ wolle. Das Kriegsvokabular des Polizeichefs erschütterte offenbar auch die valencianische Regierungspräsidentin Paula Sánchez de León, die das Verhalten der Polizei anfangs rückhaltlos verteidigt hatte: Sie kündigte Untersuchungen wegen möglicher „Übergriffe“ an. Doch ihre Worte kamen zu spät. Am Dienstagabend gingen in Valencia wieder Tausende Schüler, Eltern und Lehrer auf die Straße; die Polizei hielt sich diesmal zurück.

In einem Dutzend anderer spanischer Städte gab es Solidaritätskundgebungen. In Madrid blockierten rund 3000 jugendliche Protestierer die Gran Vía, eine der Hauptverkehrsstraßen der Innenstadt. Am Mittwochabend kamen in Valencia erneut rund 10 000 Demonstranten unter dem Motto „Wir sind das Volk, nicht der Feind“ zusammen und forderten unter anderem den Rücktritt von Polizeichef Moreno und Regierungspräsidentin Sánchez de León. Die Kombination von Sparmaßnahmen und Polizeigewalt wird Spanien nicht so schnell wieder zur Ruhe kommen lassen.