Jedes Kind darf aufs Gymnasium. Doch nicht überall ist genügend Platz. Werden Bewerber abgewiesen, gibt es schon mal Tränen.

Stuttgart - Erstmals entscheidet nicht mehr die Leistung, sondern allein der Elternwille darüber, auf welche Schulart ein Viertklässler wechselt. Das bekommen die Gymnasien nicht nur in Form von Zuwachs zu spüren, sondern zuweilen auch in Form unschöner Szenen, so nach dem Motto: „Was, ihr nehmt auch Kinder mit schlechten Noten auf?“ Zuweilen hätten Eltern ganz unverhohlen davon gesprochen, dass Plätze nun von Kindern belegt würden, die auf einer anderen Schulart besser aufgehoben wären, wurde berichtet. Untermauert wird diese Annahme davon, dass nur noch zehn Prozent der Viertklässler (Vorjahr 20,8 Prozent) auf eine Haupt- oder Werkrealschule wechseln und die Realschule mit 26,6 Prozent (Vorjahr 27,2 Prozent) sogar leicht rückläufige Anmeldungen aufweist.

 

Auf den 26 städtischen Gymnasien wurden 2205 Kinder angemeldet – das sind 157 Schüler mehr als im Vorjahr, also eine Steigerung um sieben Prozent. Und das bedeutet fünf zusätzliche Gymnasialklassen in der Stadt – zwei davon in der Innenstadt, drei in den Außenstadtbezirken. Im nächsten Schuljahr werden 54,5 Prozent der insgesamt 4149 Stuttgarter Viertklässler (Vorjahr 4095) in die städtischen Gymnasien wechseln. Somit hat sich die Übertrittsquote auf diese Schulart um 3,1 Prozent erhöht – erwartungsgemäß, wie Regierungspräsident Johannes Schmalzl sagt. Allerdings können nicht alle Kinder an ihrer Wunschschule unterkommen.

Sechs Gymnasien müssen Bewerber abweisen

Sechs Gymnasien mussten aus Kapazitätsgründen Bewerber abweisen: das Eberhard-Ludwigs-, Schickhardt-, Neue Gymnasium, Eschbach-, Gottlieb-Daimler- und das Fanny-Leicht-Gymnasium. Letzteres ist dieses Mal mit 132 Bewerbern absoluter Spitzenreiter unter den 26 städtischen Gymnasien. Den Ansturm auf die Vaihinger Schule führt Schulleiterin Gerda Mendler auf mehrere Faktoren zurück. „Wir haben einen großen Zulauf durch unseren bilingualen Englischzug.“ Der starte im kommenden Schuljahr – „das hat uns eine ganze Klasse zusätzlich gebracht“. Auf Interesse stoße auch die Möglichkeit, von Klasse acht an Russisch als dritte Fremdsprache zu belegen, insbesondere auch, weil in Vaihingen viele Wissenschaftler mit osteuropäischen Wurzeln arbeiteten. Aber auch das musische Profil mit Chor, Orchester und Stimmbildung werde geschätzt. Eine weitere Besonderheit sei auch der Cafeteria-Verein mit 250 kochenden Eltern.

„Unser Angebot zieht auch Schüler aus anderen Stadtteilen an“, etwa aus Degerloch, Hohenheim und Möhringen, so Mendler. „Zwölf Kinder musste ich umlenken“, bedauert die Schulleiterin. „Das ist schon hart, und es gab auch Tränen.“ Denn die Familien hätten sich bewusst für dieses Schulprofil entschieden und seien nun enttäuscht. Ob alle der neuen Fünftklässler den Anforderungen im Gymnasium gewachsen sind, wisse sie nicht, so Mendler. „Unsere Arbeitsformen werden sich ändern müssen, wenn auch schwächere Schüler kommen.“ Allerdings sei ein individualisierter Unterricht bei Klassen mit 30 Schülern schwer umzusetzen.

Hochbegabtenzüge haben Zulauf: der jüngste Schüler ist acht

Für das Königin-Katharina-Stift am Hauptbahnhof kamen die 108 Anmeldungen „völlig überraschend“, wie Schulleiter Christof Martin einräumt. „Gott sei Dank musste ich niemanden umlenken.“ Denn man dürfe vier fünfte Klassen bilden. Die Schulsanierung sei zudem im Sommer abgeschlossen, und durch die neuen Schallschutzfenster der höchsten Kategorie höre man nichts von dem S-21-Baustellenlärm.

Besonders gefragt sei das „Katzenstift“, das montags bis freitags ein offenes Ganztagsangebot bis 17 Uhr biete, bei den Hochbegabten. „Wir hatten hier 40 Bewerber.“ Allerdings müssen diese neben einem Aufnahmegespräch auch einen IQ-Test absolvieren. „21 haben bestanden, 18 nehmen wir auf“, so Martin. „Der jüngste ist acht Jahre alt.“ Der Schulleiter vermutet, dass unter den Kindern der Regelklassen „vielleicht einige wenige“ nicht fürs Gymnasium geeignet seien. „Da war schon eine Angst da“, räumt er ein. Vor allem aber täten ihm diese Schüler leid. „Man will doch keine verkorksten Bildungsbiografien.“ Ein weiterer Hochbegabtenzug startet wie bisher am Karlsgymnasium an der Tübinger Straße – dort werden laut Regierungspräsidium 17 Überflieger aufgenommen.

Eltern wollen ihren Kindern eine Abweisung ersparen

Dass manche Schulen, etwa das Karls- oder das Dillmann-Gymnasium deutliche Bewerberrückgänge verzeichnen, muss vorsichtig interpretiert werden. Denn über die Zahl der Klassen entscheiden das Regierungspräsidium und die Stadt, die für die Raumressourcen verantwortlich ist. So erklärte etwa Manfred Birk vom Dillmann-Gymnasium: „Wir sind Opfer unserer sparsamen Raumverhältnisse – wir können nur zwei Klassen aufnehmen.“ Jahrelang habe man Schüler umlenken müssen. Doch viele Eltern wollten ihren Kindern eine Abweisung ersparen. Der deutliche Zulauf auf das Zeppelin-Gymnasium im Stuttgarter Osten mit insgesamt 83 Anmeldungen, 34 mehr als im Vorjahr, ist wohl auch auf den G9-Zug zurückzuführen. Es bekam den Modellversuch als einziges von vier Stuttgarter Gymnasien vom Land genehmigt.