Bisher ist die Adresse des Stuttgarter Frauenhauses unbekannt – um etwaigen männlichen Gewalttätern es unmöglich zu machen, ihre Opfer zu verfolgen. Das soll sich jetzt ändern.

Lokales: Sybille Neth (sne)

Stuttgart - Das Smartphone macht einiges möglich: Zum Beispiel kann ein Ex-Partner damit herausfinden, wohin sich Frau oder Freundin geflüchtet haben. Damit ist das Prinzip der Anonymität, nach dem der Verein Frauen helfen Frauen drei Jahrzehnte lang gearbeitet hat, lange nicht mehr so wirksam wie früher. Die Adresse des Frauenhauses soll deshalb nicht mehr länger geheim gehalten werden. Künftig soll es zwar ein gesichertes Haus sein, aber die Adresse wird nicht mehr verschwiegen. Die bundesweit bahnbrechende Neuerung nach holländischem Vorbild ist allerdings noch Zukunftsmusik, denn erst nach dem Umzug in eine andere Immobilie wird sie der Verein verwirklichen können.

 

Für die Bewohnerinnen des Frauenhauses und vor allem für deren Kinder wird das gesicherte Haus viele Vorteile für den Alltag bringen. So müssen die Bewohnerinnen bei ihrer Suche nach Job und Wohnung bisher eine Postfachadresse angeben. Das sei immer eine sehr schlechte Startposition, weiß Melanie Moll, die seit sechs Jahren im Frauenhaus als Sozialpädagogin arbeitet. Besonders schwierig aber ist es für die Kinder, die in der Schule nicht sagen dürfen, wo sie wohnen. Aber nicht nur das: Selbst den Schulweg im Stadtteil können sie nicht mit anderen Kindern zusammen zurücklegen, denn die Schulkameraden dürfen nicht mitbekommen, in welche Straße sie einbiegen – und eingeladen werden dürfen die Schulfreunde natürlich auch nicht.

Mehr als die Hälfte der Frauen kommt mit Kindern

Mehr als 60 Prozent der Frauen, die im Frauenhaus Schutz suchen, kommen mit Kindern dorthin. Oft werden die Kinder von den Vätern unter Druck gesetzt, die Adresse zu verraten. Häufig wird den Vätern per Gericht ein Umgangsrecht mit den Kindern gewährt, obwohl sie gewalttätig waren und die Kinder, wenn nicht sogar selbst direkte Opfer, doch zumindest Zeugen der tätlichen Übergriffe auf ihre Mutter waren.

„Für die Anonymität des Frauenhauses gibt es gute Gründe“, betont Moll. „Heute aber wird es immer schwieriger für uns, die Adresse geheim zu halten.“ Hin und wieder sei es auch schon passiert, dass auf den gerichtlichen Bescheiden an die Partner, beide Adressen – also auch die des Frauenhauses – aufgedruckt wurden. „Jeder, der das Haus betritt, muss eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben“, betont die Sozialpädagogin. Das gilt für Ärzte, Hebammen, Handwerker und Ehrenamtliche. Doch einmal passierte es auch, dass ein gewalttätiger Mann zufällig die vor ihm geflohene Frau in der Stadt sah und ihr heimlich auf ihrem Weg ins Frauenhaus folgte.

Der Eingang bekommt Sicherheitsschleuse

In dem späteren, gesicherten Haus könnten neben dem Büro des Vereins auch dessen Beratungsstellen einziehen: Die Fraueninterventionsstelle (Fis), die von Gewalt betroffene Frauen über einen längeren Zeitraum hinweg unterstützt, und die Stelle für „Beratung und Information für Frauen“ (Bif), die unter anderem bei der Scheidung sowie beim Start in ein eigenständiges Leben nach dem Frauenhausaufenthalt eine Anlaufstelle ist.

In dem neuen Haus wird es im Eingangsbereich eine Sicherheitsschleuse geben. Spezielle Fenster-und Türsicherungen und eine Sicherheitsschließanlage sorgen dafür, dass in den Wohnbereich für 40 Frauen und Kinder nur diese und das Fachpersonal kommen. Für akute Notlagen stehen zusätzlich Übernachtungsmöglichkeiten für Frauen und Kinder bereit. Außerdem wird das Haus über einen direkten Draht zur Polizei, eine Videoüberwachung und einen 24-Stunden Wachdienst mit geschultem weiblichem Personal gegen ungebetene Besucher gesichert. Für besonders gefährdete Frauen wird der Verein außerdem zwei streng geheime Wohnungen an anderen Standorten einrichten.

Das größte Frauenhaus in Baden-Württemberg

Bei der Konzeption des gesicherten Hauses haben die Stuttgarterinnen bundesweit Pionierarbeit geleistet, doch seit Mitte August ist ihr Traum von der raschen Realisierung vorerst geplatzt. Die Immobilie, die der Verein in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres beziehen wollte, steht jetzt nicht mehr zur Verfügung. So hätten die notwendigen Umbauten den Kostenrahmen gesprengt. Dies habe sich bei den jüngsten Verhandlungen mit den Vertretern der Eigentümer gezeigt, berichtet Moll. Nun wurde der Mietvertrag in der gegenwärtigen Interimsbleibe um ein weiteres Jahr verlängert. „Wir müssen uns jetzt auf eine längere Suche einstellen“, räumt die Sozialpädagogin ein.

Die Stadt Stuttgart unterstützt den Verein, der seit der Kündigung seiner früheren Räume im Herbst 2011 auf der Suche nach einer geeigneten Bleibe ist, in der er das größte Frauenhaus im Land langfristig betreiben kann.