Eine neu entdeckte Menschenhöhle im Lonetal und Reste eines Lagerplatzes aus der Steinzeit elektrisieren die Urzeitforscher der Universität Tübingen. „Wir beginnen zu begreifen, wie die Einzugsgebiete dieser Menschen waren“, sagt der Tübinger Archäologe Harald Floss.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Tübingen - Im Winter, als keine Blätter die Sicht behinderten und der Schnee sich auf die Talhänge der Lone gelegt hatte, war der Tübinger Biologe Hermann Glatzle losgegangen. Er suchte „verdichtete Trittspuren“, die auf die „Eingänge von Tierbauten hinwiesen“. Dahinter, so Glatzles Kalkül, liegen größere Höhlungen, am Ende solche, in denen Steinzeitmenschen siedelten. So wie in der Vogelherdhöhle von Niederstotzingen, die auch einmal verschüttet war und 1931 nur entdeckt wurde, weil der Heidenheimer Heimatforscher Hermann Mohn im Erdauswurf eines Daches „einige unscheinbare Silexsplitter“ erkannte. Aus den scharfkantigen Abschlägen von Silex, auch Hornstein genannt, fertigten schon die Neandertaler Geräte und Pfeilspitzen.

 

Glatzle ist vielfach fündig geworden. 145 Höhlen, Überhänge, Spalte und Versturzstellen entdeckte und kartierte der Biologe. 50 Stellen klassifizierte er als „archäologisch prüfenswert“. Das Material erhielt die Universität Tübingen. Bei einer Probegrabung in diesem Jahr fand Nicholas Conard, Leiter der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie, in einer von zunächst zwei näher untersuchten Höhlen sehr schnell Artefakte, die auf den frühen Menschen hindeuten. Nun soll eine groß angelegte wissenschaftliche Grabung organisiert werden. „Die nächste Menschenhöhle ist gefunden“, freut sich Hermann Mader, früherer CDU-Landrat von Heidenheim und derzeit Vorsitzender des Fördervereins Eiszeitkunst im Lonetal, der Conards Forschungen schon mit vielen tausend Euro unterstützt hat.

Ein Erfolg auch der ehrenamtlichen Helfer

Das Jahr 2013 hat noch mehr Überraschungen parat gehabt, und wieder haben sie in ihrem Ursprung mit einem Hobbyarchäologen zu tun. Der emeritierte Karlsruher Biologieprofessor Hans-Walter Poenicke hat bereits 2009 auf einem Acker bei der Ortschaft Börslingen (Ostalbkreis) spannende Stücke von Hornstein gefunden, die von Menschen bearbeitet waren. Der Tübinger Archäologe Harald Floss hat dort in diesem Jahr erstmals großflächig graben lassen und legte einen offenen Lagerplatz des frühen Menschen frei. „Man kann von einer Sensation sprechen“, sagt Floss. Eine Feuerstelle kam zum Vorschein, dazu Werkzeuge, Knochen und vieles mehr. Die vorläufige Grabungsausbeute, die sowohl auf die Anwesenheit des Neandertalers als auch später des modernen Menschen hinweist, umfasst gut 3000 Artefakte. Das Zentrum des Lagerplatzes, berichtet Floss, sei etwa 100 mal 100 Meter groß, doch über diese Grenze hinaus sei mit Sicherheit noch mehr zu finden. „Ich persönlich denke, dass auf jeden Fall in den nächsten vier, fünf Jahren dort gegraben werden wird.“ Floss will bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Finanzierung eines Forschungsprojekts beantragen.

Der Hobbyarchäologe Poenicke aus Pfinztal bei Karlsruhe hat dem Zufall nachgeholfen. Schon 1989 entdeckte er bei einer Feldbegehung bei Königsbach (Enzkreis) rund 30 000 Jahre alte Hornsteinklingen, die von Menschenhand gemacht wurden. Das Lager bei Börslingen entdeckt zu haben, sei „ein Riesenglücksfall“ gewesen, sagt er. Anders als frühere Höhlenlagerstätten seien Freilandflächen der Witterung und menschlichen Nutzung ausgesetzt, weswegen eine seltene Voraussetzung für Entdeckungen gegeben sein müsse: „Die Lössdecke muss abgetragen sein bis zur Sichtbarkeit – aber die Fundstelle selber darf noch nicht abgetragen sein.“

Mit Zelten und Waffen den Tieren hinterher

Seine gezielte Absuche der Albhochflächen startet Poenicke, immerhin 79 Jahre alt, „sowohl im Frühjahr nach der Schneeschmelze als auch im September, wenn die Felder aufgerissen sind, aber noch nicht bestellt.“ Seit 50 Jahren ist er auf solche Weise unterwegs, immer dort, wo sich nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit Eiszeitmenschen aufgehalten haben könnten. Die Eiszeitjäger aus dem Geißenklösterle bei Blaubeuren oder des Hohlen Felsen bei Schelklingen zum Beispiel hätten dem Wild nachziehen müssen, sagt Poenicke. „Sie konnten nicht warten, dass die Tiere in ihre Höhlen kommen und sich totschlagen lassen.“ Die frühen Jäger hätten wohl „gewusst, wo etwa die Tiere lang ziehen“ – und sich in Zeltlagern versammelt bereit gehalten.

Funde frühester Menschheitskunst wie die Mammutfiguren aus der Vogelherdhöhle oder die aus dem Geißenklösterle stammenden Flöten aus Schwanenknochen erwartet Poenicke nicht vom Freilandlagerplatz bei Börslingen. Dazu seien solche Stücke nicht robust genug. Auch Harald Floss hat Zweifel, ob die liebevoll „Zoo“ genannte Tiersammlung der Tübinger Universität von hier aus Nachwuchs bekommen kann. Darum gehe es diesmal aber gar nicht in erster Linie, sagt Floss. „Forschung kann nicht nur sein, Fundstücke anzuhäufen. Wir beginnen zu begreifen, wie die Territorien und Einzugsgebiete dieser Menschen waren, wie sie gelebt haben.“ Deren Leben in Höhlen sei „nur ein kleiner Ausschnitt der gesamten Siedlungsweise“.

Ein Schub für die Forschung auf der Alb

Floss glaubt, dass bald immer mehr Spuren frühester Siedlungsgeschichte auf der Schwäbischen Alb entdeckt werden. Schließlich habe sich auch die Suchmethodik verbessert. Freilager bedingen heutigen Kenntnissen zufolge die Existenz von Hornstein in der Umgebung. Zudem gebe es „Geländesituationen, die für den prähistorischen Menschen besonders wichtig waren“. Das gelte insbesondere für die Auswahl von Höhlen. „Spornlagen oberhalb von Tälern, wo ein Nebenfluss in einen größeren Fluss mündet“ seien immer wieder gewählt worden. Von so einer „Mittelterrassenstufe“ aus, im Rücken geschützt von Fels, sagt Floss, habe es sich gut beobachten lassen. Der Professor ist überzeugt: Die Funde dieses Jahres geben der Erforschung des frühen Menschen auf der Schwäbischen Alb eine völlig neue Dynamik.