Der StZ-Redakteur Jan Georg Plavec ist regelmäßig auf Popkonzerten. Ein paar Dinge nerven ihn dabei gewaltig: unnütze Smartphone-Filmchen, Knutschen auf Knopfdruck und Dauerschwätzer. Aber zumindest gegen die gibt es ein ganz einfaches Mittel.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Jeff Tweedy versuchte es erst mit freundlichen Worten, er war aufgeschlossen und wollte „für euch so gut sein wie möglich und dass ihr glücklich seid“. Und dann wird der unter anderem als Sänger der Band Wilco bekannte Musiker ganz deutlich: „Ich will, dass wir das alle gemeinsam erleben. Könnt ihr einmal in eurem beschissenen Leben das Maul halten und ein bisschen Spaß haben, ohne dauernd zu quatschen?“

 

Der Mitschnitt dieser Ansage während Tweedys Solotour 2006 kann auf Youtube betrachtet werden. Tweedy wird erst bejubelt, dann bringt er die Menge dazu, für einige Sekunden zu schweigen, ehe er sein Konzert fortsetzt.

Zwei Beispiele aus Stuttgart

Jeff Tweedy ist beileibe nicht der einzige Popmusiker, bei dessen Konzert im Zuschauerraum geplaudert wird. Zwei willkürlich gewählte Beispiele aus dem jüngeren Stuttgarter Konzertgeschehen: als Dillon Ende 2011 das letzte Konzert im Club Rocker 33 an der alten Location in der Heilbronner Straße 7 gab, kam die schüchterne junge Sängerin schon lautstärkemäßig nicht gegen die Masse all jener Besucher an, die fürs Sehen und Gesehenwerden da waren, ganz bestimmt aber nicht wegen der  Musik. Beim Freikonzert am Pariser Platz Anfang August erklärte die Stuttgarter Band Sea + Air: „Ihr seid zwar scheiße, aber wir spielen trotzdem.“ Daraus sprach nicht die Hybris des aufstrebenden Folk-Pop-Duos, sondern der Ärger über die ziemlich uninteressiert dastehende und laut schwätzende Mehrheit der Besucher.

Es ist nicht so, dass nur die Musiker sich darüber ärgern, wenn im Publikum keiner so richtig zuhört. Schwätzen bei Konzerten nervt – nämlich all jene, die der Musik wegen da sind. Warum sonst geht man auf ein Konzert?

Gut, ein Popkonzert ist anders als ein Klassikkonzert immer auch ein Event, das man körperlich fühlen soll. Hier sind die Zwischentöne nicht ganz so fein, ruhig zu sein ist nicht erste Zuhörerpflicht. Für einen Konzertbesuch gibt es mehr Motive, als nur aufmerksam der Musik lauschen zu wollen. Man trifft sich auf Konzerten mit Freunden, will mitsingen oder wild herumtanzen, schwärmt für die Musiker oder ist des Events wegen da.

Trotzdem fehlt einem nicht unerheblichen Teil von Konzertbesuchern die Rücksicht auf all jene, die eben nicht den neuesten Tratsch der anderen mitbekommen wollen. Die wirklich wegen der Musik da sind oder wenigstens wegen der Musiker.

Besonders schlimm: Gratiskonzerte

Diese Geschwätzigkeit ist das Schlimmste, denn anders als wilde Tanzschritte oder Mitsingen drückt sie eine regelrechte Abneigung für das Geschehen auf der Bühne aus. Das ist unfair dem Künstler gegenüber, und es nervt jene, die sich der Show bewusst zuwenden wollen. Man erlebt dieses Verhalten auf Konzerten, für die alle Eintritt bezahlt haben. Es ist besonders ausgeprägt bei Events mit freiem Eintritt.

Das fällt denjenigen, die fröhlich vor sich hin plaudern, vielleicht gar nicht auf. Aber Popkonzerte sind heutzutage nicht mehr so laut wie früher. Es gibt gesetzesähnliche Regelungen, die von den Technikern auch eingehalten werden. In der Folge wird das Gehör geschont, die Nerven aber ziemlich strapaziert – falls man beim Konzert die falschen Leute um sich herum hat.

Der Oberlehrer-Trick hilft

Es gibt noch weitere nervige Verhaltensweisen. Darunter das (oft gescholtene) in die Luft gestreckte Smartphone oder, auch schon gesehen, der in die Höhe gereckte Tabletcomputer. Damit kann der begeisterte Konzertbesucher das Event fotografieren, filmen oder seinen Bildschirm als Feuerzeugersatz nutzen. (Wie war das eigentlich früher, als bei Balladen Feuerzeuge in die Höhe gestreckt wurden, hat das auch so genervt?)

Jedenfalls haben all die Hobbyfilmer und -fotografen über die Jahre wenig gelernt. Denn vom Ergebnis her ist es egal, welches Konzert man mitschneidet – die Bilder zeigen verlässlich einen undefinierten Lichtmatsch, der Sound ist schlecht, oder man hört – siehe oben – vorrangig die Gespräche der umstehenden Zuhörer. Und wenn Erinnerungsfoto, dann bitte ohne Blitz! Aus gutem Grund gilt diese Regel auch für die Profifotografen direkt an der Bühne. Der Blitz stört die Musiker, und wenn man ihn in den hinteren Reihen einsetzt, wird vor allem der Rücken des Vordermanns im Bild festgehalten.

Auch für alle jene Zuschauer, die gerade nicht ihr Smartphone hochhalten, ist der Nerv-Faktor erheblich. Gerade wenn eine Band ihre Hits spielt, kann man das Konzert teilweise nur noch indirekt, eben über die unzähligen Smartphone-Bildschirme, verfolgen. In gesteigerter Form gilt das beim Einsatz von Tabletcomputern wie dem iPad, denn die sind größer als noch der unförmigste Klotzkopf des Zuschauers ein paar Reihen weiter vorn.

Knutschen auf Knopfdruck

Noch eine dritte Art von Konzertverhalten ist mit der Umwelt nicht immer kompatibel: die absehbare Knutscherei bei Kuschelsongs. So erst kürzlich zu erleben beim Konzert von Max Herre im Ludwigsburger Schlossinnenhof. Eine Gruppe von drei Männern und genauso vielen Frauen; die Herren trinken eifrig überteuertes Bier und tanzen wie wild auf Herres Hip-Hop-Nummern, die Damen wippen engagiert mit und halten sich an einer Weißweinschorle fest. Und dann tritt Herres Frau Joy Denalane neben Herre auf die Bühne, setzt zum (wirklich schönen) Kuschelsong „Mit dir“ an – und schwupps hüpfen die Partner zu ihren Partnerinnen, nehmen sie von hinten in ihre Arme und züngeln los.

Achtung: es ist ganz wunderbar, wenn Menschen ihre gegenseitige Zuneigung öffentlich ausdrücken. Doch wenn es so vorhersehbar passiert wie in dem geschilderten Fall, muss an genau dieser Zuneigung ein wenig gezweifelt werden. Keiner kann es doch mögen, gewissermaßen per Knopfdruck von der Band in eine Art Kuschelmodus geschickt zu werden!

Ein einfaches Gegenmittel

Was tun? Gegen Tausende Smartphones kommt man nicht an. Tanzen und Mitsingen ist völlig okay. Knutschenden Pärchen fällt man nicht in den Arm. Stundenlang vor dem Konzert in der Halle oder im Club zu sein, nur um es in die erste Reihe zu schaffen und sich von diesen lästigen Phänomenen frei zu machen, ist zu aufwendig.

Zumindest gegen die Plauderei auf Konzerten gibt es ein nachweislich wirksames Mittel: Wenn schon nicht wie von Jeff Tweedy vorgemacht die Musiker selbst das Wort ergreifen, kann man das einfach selber tun. Ein kurzer, gar nicht mal unfreundlicher Hinweis an die nervigen Plappermäuler genügt. Man kommt sich dann zwar vor wie ein Oberlehrer („Ich möchte gerne das Konzert hören. Geht zum Reden doch bitte vor die Tür.“), aber die Zustimmung der Umstehenden ist in aller Regel sicher. Der Rest ist hoffentlich gute Musik.

Was die Wissenschaft herausgefunden hat

Ein Konzertbesuch vermittle einen „hohen Distinktionswert“, schreiben Rainer Dollase et al. 1985 in dem Handbuch „Musikpsychologie“. Man hebe sich mit dem Konzertbesuch entweder vom Geschmack der Masse ab oder schließe sich ihm gerade an – je nachdem, ob man als Bildungsbürger oder als Schlagerfan da ist.

Aufbauend auf einer Befragung unter Besuchern von Popkonzerten unterscheidet der Musikpädagoge Roland Hafen vier Gruppen von Zuhörern. Die „Enthusiasten“ kennen und mögen die Band, sie stehen ganz vorn und machen Stimmung. Die „Chaoten“ wollten dagegen vor allem „die Sau rauslassen“. Diese beiden Gruppen dürften mehr als alle anderen Handyfilme drehen und ekstatisch tanzen. Die „Distanzierten“ hingegen stehen weiter hinten, sie wollen eine gute musikalische Leistung, von der sie sich dann auch gern überzeugen lassen.

Die Dauerschwätzer schließlich finden sich am ehesten in der vierten Gruppe: Wie gut die Band spielt, ist unwichtig – Hauptsache, sie animiert das Publikum. Wenn nicht, wendet sich diese Gruppe ab. Und – noch ein Argument gegen das Schwätzen bei Konzerten – diese Zuhörer waren laut Befragung nach dem Konzert weniger zufrieden als andere.