Ingrid Boegler ist leidenschaftliche Gärtnerin. Seit etwa zwei Jahren zieht die Schwaikheimerin mit Samenpaketen, Blumenzwiebeln oder Vogelfutter los, um brachliegende Flächen wieder zum Blühen zu bringen. Auch ihre Mitmenschen möchte sie zum geheimen Gärtnern animieren.

Schwaikheim - Ingrid Boegler ist unter die Bombenbauer gegangen. Ihre Waffen gegen Stadtbrachen liegen im Wohnzimmer und warten auf den nächsten Einsatz. Sobald es dämmert, wird sich die 67-Jährige ihre Mütze überziehen und sich auf den Weg in Schwaikheims Ortsmitte machen. Ihr Ziel: die Bushaltestelle gegenüber dem Rathaus. „Da sieht es arg ärmlich aus“, sagt Ingrid Boegler. Um dies zu ändern, wird sie ihre Bomben dort verteilen. Nicht, um die Haltestelle in die Luft zu sprengen, sondern um sie zum Blühen zu bringen. Ihre Bomben enthalten neben Lehm, Ton und Erde nämlich allerlei Pflanzensamen. Und damit sich die Schwaikheimer auch schon im Frühling über bunte Farbtupfer freuen können, wird sie auch noch Blumenzwiebeln in den Boden stecken.

 

Ingrid Boegler ist eine Guerilla-Gärtnerin. Was sie antreibt? Eigentlich erübrigt sich die Frage beim Blick hinter ihr Haus. „Ich lebe von meinem Garten“, erzählt sie, die seit fast 20 Jahren im Gemeinderat sitzt, mittlerweile für die Grünen. Aber nicht nur Obst und Gemüse liegen ihr am Herzen, sondern auch die Blumen. „In meinen Hosentaschen habe ich eigentlich immer Samen. Sobald ich welche sehe, nehme ich sie mit.“ Ihre jüngsten Funde stehen in Gläsern auf dem Wohnzimmertisch. Sie sind für den eigenen Garten gedacht, aber auch für den Schulgarten, den sie in einer AG zusammen mit Kindern beackert. „Mir ist es ganz wichtig, ihnen ein Gefühl für die Natur zu vermitteln.“

Fruchtbarer Boden bleibt ungenutzt

Dass es viele gibt, die den eigenen Garten abschaffen und in Schotterflächen verwandeln, kann sie kaum nachvollziehen. „Und wenn ich draußen durch die Felder laufe, sehen ich fast nur noch Mais“, erzählt Ingrid Boegler, die sich im Gemeinderat lange für blühende Ackerrandstreifen eingesetzt hat. Schade findet sie diese Entwicklung zum einen, weil die Bienen kaum noch Nahrung finden. Zum anderen aber wegen der Güte der Schwaikheimer Erde: „Wir haben einen unheimlich nahrhaften Boden. Es macht wirklich Spaß, zu sehen, wie die Pflanzen hier gedeihen.“

Und aus all diesen Gründen hat die leidenschaftliche Naturfreundin vor etwa zwei Jahren beschlossen, ihr Tun auch auf fremde Flächen auszuweiten. Einer ihrer ersten Versuche mit dem heimlichen Gärtnern ging allerdings gründlich schief: „Ich habe Samen in die Mitte des Kürräckerkreisels gepflanzt – und wenige Tage später sind die Gemeindegärtner angerückt und haben alles umgegraben“, erzählt Ingrid Boegler, die am Anfang Samenbomben aus dem Katalog bestellt hat. „Die sind allerdings ziemlich teuer. Deswegen habe ich angefangen, sie selbst zu bauen.“ Eine Weile hat es schon gedauert, bis Ingrid Boegler das perfekte Mischungsverhältnis herausgefunden hatte: „Die Bomben müssen zum Beispiel so trocken sein, dass die Samen nicht sofort anfangen, zu keimen.“

Bevor sie diese einpflanzt, lockert sie den Boden an dem von ihr auserwählten Standort. Und wenn möglich, wartet Ingrid Boegler auch ab, bis es geregnet hat und die Erde nass ist. „Zehn Stück brauche ich, damit es eine schöne Fläche gibt“, erzählt sie.

Blumenwiese aus Vogelfutter

Ihren größten Erfolg hat sie allerdings nicht den Samenbomben zu verdanken. Weil der Winter mild war, konnte Ingrid Boegler im Frühjahr günstig einige Pakete Vogelfutter erstehen. Dieses verteilte sie großzügig auf jener großen Brache an der Bismarckstraße, auf der einmal die neue Ortsmitte entstehen soll. „Erst dachte ich, es wird nichts. Aber dann haben die Sonnenblumen toll geblüht. Sogar zwischen den Steinen sind sie aufgegangen“. erzählt Ingrid Boegler, die auch diese Samen nachts verteilt hat: „Ich möchte einfach nicht, dass mich jeder sieht.“

Sorgen müsste sie sich wahrscheinlich nicht machen – bisher waren die Reaktionen auf ihr Tun durchweg positiv. Deswegen möchte Ingrid Boegler auf jeden Fall weitermachen. Auch über Mitstreiter würde sie sich freuen, zumal der Aufwand doch beträchtlich ist. Genug triste Ecke fallen ihr auf Anhieb ein.

Mehr Infos über das Guerilla Gardening

Die Entwicklung

Das Guerilla-Gärtnern hat sich von Großbritannien aus verbreitet und war zunächst oft ein subtiles Mittel des Protestes im öffentlichen Raum. Ein wichtiger Akteur ist Richard Reynolds, der das Buch „Guerilla Gardening – ein botanisches Manifest“ geschrieben hat. Mittlerweile soll das heimliche Gärtnern schlicht triste Innenstädte verschönern.

Halblegales Tun

Alles, was sich außerhalb des eigenen Grundstücks befindet, ist fremdes Eigentum. Deswegen kann auch das heimliche Gärtnern als Besitzstörung oder Sachbeschädigung ausgelegt werden. Viele Gemeinden sehen jedoch von einer Strafverfolgung ab. Angesichts knapper Budgets für Stadtbegrünung gibt es sogar Kommunen, die die Aktionen begrüßen.

Tipps

Der Nabu Stuttgart rät dazu, für Samenbomben nur heimische Pflanzen zu verwenden, die zum Standort passen und sich nicht massensweise vermehren. Am besten ist es, Samen von nahe gelegenen Wiesen zu sammeln und diese auszubringen. Einen Bogen sollte um Naturschutzgebiete gemacht werden, um das sensible Gleichgewicht der Ökosysteme nicht zu stören. Zudem sollte man sich vergewissen, ob es sich bei der vermeintlichen Brache nicht um einen wertvollen Trockenrasenstandort handelt. Wer etwas für das Grün in der Stadt tun möchte, kann oft auch Patenschaften für kleine Flächen übernehmen.