Kaum hat die Kanzlerin ihre Atomwende vollzogen, beginnt Winfried Kretschmann, mit der Union bundespolitisch zu flirten.

Berlin - Er gilt nicht gerade als ein strikter Gegner von Schwarz-Grün. Deshalb ist es zunächst nicht erstaunlich, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann diese Variante nun wieder ins Spiel bringt. Die Frage, ob mit Angela Merkels Kehrtwende in Sachen Atomausstieg eine wesentliche Hürde für eine Koalition aus Christdemokraten und Grünen im Bund falle, beantwortet Kretschmann knapp und bündig mit: "Ja." Um sogleich anzuführen, dass damit diese Option für die Zeit nach der Bundestagswahl 2013 nicht zwingend sei.

 

Obwohl also der Ministerpräsident Schwarz-Grün keineswegs für eine ausgemachte Sache hält, hat seine Äußerung eine lebhafte Debatte ausgelöst. Parteichef Cem Özdemir betont, dass die Schnittmenge der Grünen mit der SPD größer sei als mit der Union. Und der Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin erklärt, dass es derzeit kein rationales Motiv gebe, mit der CDU zu koalieren. Es gebe zum einen mehr Gemeinsamkeiten mit den Sozialdemokraten. Und zum anderen müssten sich die Grünen in einer schwarz-grünen Koalition mit der Rolle des Juniorpartners begnügen, während sie mit den Genossen (beide Parteien liegen in bundesweiten Umfragen zurzeit nah beieinander) auf Augenhöhe lägen.

Neuauflage einer alten Debatte

Kretschmanns Hinweis auf die gefallene Hürde bewirkt somit eine Neuauflage der Schwarz-Grün-Debatte, die die Ökopartei seit Jahren von Zeit zu Zeit führt. Sie verläuft immer so, dass Politiker vom Realo-Flügel (er nennt sich inzwischen selbst "Reformer-Flügel") Schwarz-Grün weitaus offener gegenüberstehen als die Exponenten des linken Flügels. Als salomonische Kompromissformel gilt die Bekundung, wonach die Ökopartei eigenständig sei und vor Ort entscheide, mit welchem Partner sie mehr Anliegen ihres Programms umsetzen könne. Zur Bundestagswahl 2013 müssen die Grünen allerdings entscheiden, ob für sie eine gemeinsame Regierung mit der Union infrage kommt. War dies nach Angela Merkels Entscheidung vom Herbst 2009, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern, für alle Grünen hinfällig, ist die schwarz-grüne Option aufgrund Merkels Atomwende grundsätzlich wieder möglich.

Ob sie auch konkret angestrebt wird? Darüber wird sich die Ökopartei wohl mit der Verve streiten, zu der sie in Koalitionsfragen durchaus neigt. Vor der Wahl 2009 jedenfalls ernteten die Spitzenkandidaten Trittin und Renate Künast innerparteilich viel Kritik, als sie ein Ampelbündnis aus SPD, Grünen und FDP ins Spiel brachten. Die Ampel wurde nach einigem Hin und Her zwar nicht verworfen, sehr wohl aber "Jamaica", eine Regierung aus Union, FDP und Grünen. Kretschmann fand diesen Beschluss seinerzeit etwas seltsam: Die Union sei den Grünen doch in vielem näher als die FDP. Und dies ist durchaus der Fall.

Die schwarz-gelbe Ehe kriselt

Union und Grüne sind beide bürgerliche Parteien. In ethischen Fragen zum Beispiel ergeben sich viele Gemeinsamkeiten. Ein Verbot der Gentests an Embryonen befürworten die meisten Abgeordneten der CDU/CSU. Bei den Grünen spricht sich immerhin ein Drittel der Fraktion für ein Verbot aus, während die überwiegende Mehrheit der SPD- und der FDP-Parlamentarier eine begrenzte Zulassung anstrebt. Gerade im Süden der Republik gibt es zwischen Schwarzen und Grünen in einer wertkonservativen, bodenständigen Haltung viele Berührungspunkte. Die Tochter der bayerischen Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) ist ebenfalls Abgeordnete - für die Grünen.

Die Äußerung Kretschmanns weist nun auf Seiten der Union just der Politiker zurück, der bei den Grünen große Achtung genießt: Generalsekretär Hermann Gröhe. Gröhe weiß eben genau, dass die CDU/CSU ungeachtet der gerade im Süden ausgeprägten Nähe auch Wähler vertritt, die mit den Grünen gar nichts am Hut haben. Und richtig ist auch, dass die Christdemokraten bisher nicht profitiert haben, wenn sie in einzelnen Kommunen, wie zum Beispiel in Mülheim/Ruhr, mit den Grünen koalierten. Besonders harsch fiel das Urteil der Bürger über die schwarz-grüne Landesregierung in Hamburg aus. Während die Ökopartei bei der Wahl im Februar nur leicht zulegte, brach die CDU mit einem Verlust von fast 21 Prozentpunkten regelrecht ein. Diese Niederlage hatte gewiss mit dem Abgang des beliebten Bürgermeisters Ole von Beust zu tun. Trotzdem gilt vielen Christdemokraten das schwarz-grüne Wagnis an der Elbe nicht gerade als Modellprojekt, das dringend wiederholt gehört.

Doch so klar Gröhe nun Kretschmanns "Gedankenspielchen" als unnütz bezeichnet, so klar ist der Union auch, wie schwach ihr Koalitionspartner FDP derzeit ist. Und je länger ein schwarz-gelber Wahlerfolg 2013 als illusorisch erscheint, umso dringlicher wird die Frage, ob Schwarz-Grün wirklich das "Hirngespinst" ist, das Angela Merkel noch vor Kurzem darin sah.

Schwarz-Grüne Bundnisse in Ländern und Kommunen

Hamburg: 2008 ging die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene an den Start. Das Experiment funktionierte zunächst gut – auch wegen Bürgermeister Ole von Beusts (CDU) umgänglicher Art. Nach dessen Ausscheiden kündigten die Grünen Ende November 2010 die Koalition. Bei den Neuwahlen wurden beide Parteien abgestraft: Die SPD erhielt die absolute Mehrheit und regiert nun alleine.

Saarland: Die erste schwarzgelb-grüne Landesregierung amtiert seit Herbst 2009. Machte das saarländische Jamaika-Bündnis anfangs Aufsehen, ist das Regieren inzwischen unspektakulär. Als kleinster Partner spielten die Grünen oft das Zünglein an der Waage und konnten etwa die Abschaffung von Studiengebühren umsetzen. Beim Thema Bildungsreform mussten sie dagegen Abstriche machen.

Frankfurt am Main: Die Zusammenarbeit zwischen CDU und Grünen funktioniert. Beide Parteien haben sich im Mai auf die Fortsetzung der Koalition verständigt. Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) spricht von einer „Koalition der Nachhaltigkeit“. Die Stadt soll zur „Green City“ werden. Wichtige Punkte sind Klimaschutz, mehr Frauen an der Spitze städtischer Gesellschaften, Schutz vor steigenden Mieten.