Das Projekt Stuttgart 21 sei ein politisches Projekt, sagt der ehemalige Stuttgarter Polizeipräsident Siegfried Stumpf. Eine konkrete Einflussnahme auf den Termin zur Räumung des Schlossgartens habe es seitens der Politik aber nicht gegeben.

Stuttgart - Wenn der frühere Stuttgarter Polizeipräsident Siegfried Stumpf die Ereignisse des Septembers 2010 Revue passieren lässt, muss er nicht in großen Aktenstapeln suchen. Das Lesezeichen seines Dienstkalenders 2010 liegt in der Woche des 30. September, dem Tag des aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatzes gegen Stuttgart-21-Gegner. Rund um dieses Datum wird nun über Ereignisse spekuliert, die belegen sollen, dass die Politik Zeitpunkt und Vorgehen gesteuert habe. „Es gab keinen Einfluss auf die Polizei“, betont Stumpf – und legt im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung dar, wie er die nun in den Fokus gerückten Besprechungen sieht.

 

Ein 44 000 Seiten starker Aktenstapel hat am Freitag Aufsehen erregt: Unterlagen für den zweiten Untersuchungsausschuss zum „schwarzen Donnerstag“ erreichten die Abgeordneten. In einem Begleitschreiben nennt das Innenministerium Punkte, die für die Parlamentarier zur Frage der politischen Einflussnahme interessant sein könnten.

Die Sache mit dem Bagger

Am Rande erwähnt wird in dem Schreiben auch ein Gespräch im August 2010. Wie kolportiert wird, sei es dabei um den Transport von Abrissbaggern zum Nordflügel des Bahnhofs gegangen. Der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) soll zum damaligen Polizeipräsidenten gesagt haben, wenn die Stuttgarter Polizei nicht bereit sei, den Transport zu sichern, werde er eben Kräfte aus Bayern anfordern.

Er habe am fraglichen Abend Mappus nicht getroffen und nicht mit ihm gesprochen, sagt freilich Stumpf. Es hätten ihn mehrere Anrufe ereilt, aus dem Verkehrsministerium und dem Innenministerium. „Der erste, als ich gerade vom Präsidium weggefahren war“, berichtet er. Ihm wurde dabei klar, dass die Bahn und die Politik den Transport zu diesem Zeitpunkt wollten. Er habe gesagt, dass er den Zeitpunkt aus polizeilicher Sicht für „denkbar ungünstig“ halte. Das äußerte er gegenüber Bernhard Bauer, damals Ministerialdirektor im Verkehrsministerium, und dem damaligen Landespolizeipräsidenten Wolf Hamann.

„Der Satz, Mappus würde Kräfte aus Bayern holen, fiel. Aber er hat das nicht zu mir gesagt. Außerdem kann er das gar nicht tun“, ordnet Stumpf ein. Seine Gesprächspartner hätten die Worte des Ministerpräsidenten so wiedergegeben. Auch dass Mappus gesagt habe „Holt den Bagger rein!“ sei erwähnt worden. Stumpf sei bei seinem „Nein“ geblieben und habe dies am nächsten Morgen in einem Schreiben an alle Beteiligten festgehalten. Den Einsatz habe er auf Weisung des Landespolizeipräsidenten dann doch geplant.

Was präferiert die Polizei?

Am Vorabend des 30. September habe sich Mappus nicht in der Weise geäußert, wie er es im August getan haben soll. „Er fragte: ,Was präferiert die Polizei?‘“, so Stumpf. Erst habe Stumpf gesagt, er sei für einen Einsatz am 30., dann habe sich der Landespolizeipräsident auch so geäußert.

In den Akten werden zwei weitere Gesprächsrunden erwähnt. Die eine war eine Tagung in der Polizeihochschule Villingen-Schwenningen am 10. September 2010. Vor hohen Polizeiführern habe er das Einsatzkonzept der Stuttgarter Polizei rund um die Bahnhofsbaustelle vorgestellt. „Man ist da immer sehr nahe an der Politik“, gibt Stumpf sinngemäß seine Worte von damals wieder. „Ich habe dargelegt, dass es ein politisches Projekt ist. Die Politik beeinflusst den Baufortschritt, und der wirkt sich auf die Polizeiarbeit aus.“ Notizen von Teilnehmern, die seine Äußerungen als „enge politische Begleitung“ der Einsätze wiedergeben, seien zu hinterfragen, meint Stumpf. „Man muss mit den Leuten reden, die das geschrieben haben.“ Und: „Um den 30. September ging es nicht. Der Termin stand noch nicht fest.“

Am leichtesten tut sich Stumpf mit einer Besprechung in Göppingen am 28. September. Von „Meinungsverschiedenheiten zwischen der Leitung des Polizeipräsidiums und den Führungskräften der Bereitschaftspolizei“ wird berichtet. „Ich war bei diesem Termin nicht“, sagt Stumpf.

Erst der Anfang bei den Akten

Die am Donnerstag dem Untersuchungsausschuss überstellten Akten sind erst ein kleiner Teil des insgesamt avisierten Materials. So haben etwa das Justiz- und das Staatsministerium noch nicht geliefert. Auch das Innenministerium hat sieben weitere Ordner in Aussicht gestellt. Nicht in dem Paket enthalten sind auch Unterlagen des Polizeipräsidiums Stuttgart und des Landeskriminalamtes.

„Sämtliche Akten, Handakten, Dokumente in Dateien oder auf andere Weise gespeicherte Daten“ sollen dem Ausschuss zur Verfügung gestellt werden, so die Aufforderung an den Verwaltungsapparat. Vor dem Hintergrund des Untersuchungsauftrages ist dies verständlich. Der zweite Schlossgarten-Ausschuss ist ja installiert worden, weil Verdachtsmomente keimten, dem ersten, Ende 2010 bis Anfang 2011 tätigen Untersuchungsausschuss seien bewusst Dokumente vorenthalten worden.

Das umfassende Einsammeln von Dokumenten hat in den Behörden aber einige Unruhe ausgelöst. Die Aktion beschäftigt inzwischen auch den Datenschutzbeauftragten des Landes, Jörg Klingbeil. An ihn ist die Frage herangetragen worden, inwieweit die E-Mail-Accounts einzelner Beamter erfasst werden dürfen. Ende März will der Untersuchungsausschuss in einer nichtöffentlichen Sitzung mit Klingbeil die Problematik erörtern. Frühestens im April könnten erste Zeugen vernommen werden.