Exklusiv Dreieinhalb Jahre nach dem sogenannten „Schwarzen Donnerstag“ müssen sich zwei Polizisten nun am 24. Juni vor dem Landgericht verantworten. Ihnen wird fahrlässige Körperverletzung im Amt vorgeworfen.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Fahrlässige Körperverletzung im Amt lautet der Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft gegen zwei Polizeibeamte erhebt. Sie waren Einsatzabschnittsleiter bei dem aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatz gegen Stuttgart-21-Gegner am 30. September 2010, dem „schwarzen Donnerstag“. Der Prozess gegen einen heute 41 Jahre alten Polizeioberrat und einen 48-jährigen Polizeidirektor soll am 24. Juni beginnen. Das Landgericht bestätigte diesen Termin auf Anfrage der Stuttgarter Zeitung. Bis zum 22. Dezember sind weitere Verhandlungstage vorgesehen.

 

Unter der Führung der beiden Polizisten waren an jenem Tag etliche Demonstranten vom Wasserstrahl und von Wasserstößen aus Wasserwerfern getroffen worden, einige trugen schwere Verletzungen an den Augen davon. Den beiden Beamten wird ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht vorgeworfen. Sie hätten demnach die Beschränkung auf Wasserregen, der mit deutlich weniger Druck abgegeben wird als Wasserstrahle und -stöße, nicht an die Beamten weitergegeben, die in den Fahrzeugen saßen. Die Polizei sollte damals einen Teil des Mittleren Schlossgartens absperren, in dem die Bahn für Stuttgart 21 Bäume fällen wollte. Nachdem sich in der Stadt herumgesprochen hatte, dass die Einsatzkräfte auf dem Weg in den Park waren, strömten Tausende dorthin, um dagegen zu protestieren. Nach Mitternacht fielen die ersten Bäume in dem Bereich, wo nun die Anlage für das Grundwassermanagement der Bahnhofsbaustelle steht.

Mehrere Verletzte werden in dem Verfahren als Nebenkläger auftreten. Dazu zählt auch der Stuttgarter Dietrich Wagner, den ein Strahl ins Gesicht traf. Er verlor dadurch sein Augenlicht fast völlig. Das Bild des Schwerverletzten erlangte nach dem 30. September traurige Berühmtheit. Mit Spannung wird erwartet, wer in den Zeugenstand gerufen wird. Beobachter gehen davon aus, dass höchstwahrscheinlich der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) und der ehemalige Polizeipräsident Siegfried Stumpf im Gerichtssaal auftauchen werden. Ein Verfahren gegen Stumpf war Ende 2011 eingestellt worden. Bis der Prozess beginnt, sind n mehr als zweieinhalb Jahre seit dem Einsatz vergangen.

Landgericht war nach eigenen Angaben stark ausgelastet

Gegen den 41-jährigen Polizisten hatten die Ermittlungen im November 2011 begonnen, der Fall des 48-Jährigen war von Anfang 2012 an untersucht worden. Die Anklage war Ende März 2013 erhoben worden. Damit begann das lange Warten auf den Prozess. Zunächst war man von Frühsommer 2013 ausgegangen, dann hieß es seitens des Landgerichts, dass das Verfahren nicht vor der Sommerpause, sondern erst im Herbst beginnen würde. Als nach den großen Ferien ein Auftakt eher für die Zeit kurz vor Weihnachten für wahrscheinlich gehalten worden war, dauerte es nicht lange bis zur Ankündigung, es werde erst 2014 Termine geben. Das Landgericht sei wegen zahlreicher Großverfahren – etwa den Prozessen gegen Mitglieder von rockerähnlichen Banden – immer stark ausgelastet gewesen, sagt der Presserichter Florian Bollacher. Hinzu komme, dass keiner der Beschuldigten in Haft sitze. Haftsachen müssten vorrangig abgearbeitet werden, um die Untersuchungshaftzeit der Angeklagten möglichst kurz zu halten.

Das Verfahren wird nicht nur wegen der womöglich auftretenden prominenten Zeugen mit Spannung erwartet. „Dieser Termin hat schon eine Bedeutung für die Polizei, insbesondere in Stuttgart, aber auch im ganzen Land“, sagt deren Sprecher Stefan Keilbach. Das Verfahren werde von vielen Kollegen aufmerksam beobachtet. Hans-Jürgen Kirstein, der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, hegt große Erwartungen an den Prozess: „Ich würde mich freuen, wenn herauskommen würde, dass es einen Einfluss der Politik auf die Polizei gegeben hat.“ Er sehe die Verantwortung beim ehemaligen Ministerpräsidenten Mappus, betont Kirstein. Er gehe davon aus, dass das Urteil in Zukunft die Einsatztaktik der Polizei beeinflussen werde: „Im Falle eines Schuldspruchs wird man über die Verwendung von Wasserwerfern diskutieren müssen.“