Zweieinhalb Jahre ruhten die Verfahren zum „schwarzen Donnerstag“ vor dem Verwaltungsgericht. Nun endlich sollen sie weitergehen – gegen den erklärten Willen des Landes. Dessen Votum ließ das Gericht nicht gelten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - In den Wasserwerfer-Prozess vor dem Landgericht Stuttgart setzt auch Winfried Kretschmann hohe Erwartungen. „Aufklärung“, sagte der Ministerpräsident jüngst auf die Frage, was er sich von dem Verfahren gegen zwei Polizeiführer verspreche. Es gelte herauszufinden, wer für den eskalierten Einsatz am 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten „wirklich die Verantwortung trägt“.

 

Die grün-rote Koalition müsste daran ein ganz besonderes Interesse haben. Der so genannten schwarze Donnerstag und die Empörung darüber dürfte schließlich mit zum Machtwechsel im Südwesten beigetragen haben. Doch ausgerechnet Kretschmanns Regierung bremste jetzt bei der weiteren Aufarbeitung des Einsatzes durch die Gerichte – wenn auch vergeblich.

Zweieinhalb Jahre ging nichts voran

Neben dem Strafprozess laufen nämlich noch Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart. Mehrere Verletzte wollen dort feststellen lassen, dass das Vorgehen der Polizei – vor allem die Androhung und Anwendung „unmittelbaren Zwangs“ – rechtswidrig war. Ein solches Urteil hätte erhebliche Folgen für Schadenersatzforderungen, die ebenfalls noch die Gerichte beschäftigen dürften.

Doch die Kläger mussten sich mit Geduld wappnen, viel Geduld. Anfang 2012 setzte das Verwaltungsgericht die Verfahren allesamt aus. Begründung: man wolle zunächst abwarten, was bei den strafrechtlichen Ermittlungen wegen des Wasserwerfereinsatzes herauskomme. Die Staatsanwaltschaft brauchte indes länger als geplant, geschlagene zweieinhalb Jahre ging nichts voran am Verwaltungsgericht.

Irritation über Votum des Landes

Nun aber, praktisch zeitgleich zum Wasserwerfer-Prozess, werden die Verfahren wieder aufgenommen. Entsprechenden Anträgen dreier Kläger gab das Gericht statt. Begründung: So sei es vom Gesetz vorgesehen, wenn die Aussetzung länger als ein Jahr dauere und keine „gewichtigen Gründe“ dagegen sprächen. Dazu wurde auch das Polizeipräsidium Stuttgart angehört, das in dem Verfahren das Land vertritt.

Dessen Votum: gewichtige Gründe sprächen gegen die Fortsetzung, weil der Prozess vor dem Landgericht Stuttgart noch nicht abgeschlossen sei; terminiert ist er zunächst bis Jahresende. Das Land verzögert die weitere Aufarbeitung des „schwarzen Donnerstags“ – das sorgte allenthalben für Verwunderung.

Innenressort: keine doppelte Beweisaufnahme

Hatte das Polizeipräsidium da womöglich eigenmächtig agiert, ohne das fragwürdige politische Signal zu bedenken? Nein, widerspricht das Innenministerium von Reinhold Gall (SPD), man stimme sich eng ab. Sein Ressort und die beauftragten Anwälte hätten sehr wohl gewichtige Gründe gegen die Wiederaufnahme gesehen, genauer: einen Grund. „Aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit sollte eine doppelte Beweisaufnahme möglichst unterbleiben“, lautet die Begründung.

Das einzige Argument wurde indes vom Verwaltungsgericht zerpflückt. Gerade die Prozessökonomie gebiete es, „nicht weiter abzuwarten, sondern den Prozessstoff zielführend aufzuarbeiten“; angesichts des Umfangs der Akten werde das nämlich „erhebliche Zeit in Anspruch nehmen“. In diesem Jahr gebe es daher wohl keinen Verhandlungstermin mehr.

In vier weiteren Fällen, in denen ebenfalls die Fortsetzung beantragt wurde, läuft die Anhörung noch. Eine weitere Klatsche will sich das Innenministerium dabei nicht holen. „Dem Gericht wurde mitgeteilt“, sagt Galls Sprecher, „dass von einer Stellungnahme abgesehen wird.“