Der neue Gotthard-Tunnel,  57 Kilometern lang, sorgt schon vor seiner Eröffnung für frischen Wind.

Die spinnen, die Schweizer. Jahrelang bohren sie emsig den längsten Eisenbahntunnel der Welt durch das schweizerische Zentralmassiv, um so schnell wie möglich von Zürich nach Mailand zu kommen. Gleichzeitig werkeln Eisenbahnfans aus dem ganzen Land 28Jahre lang daran, die stillgelegte Zahnradbahnstrecke über den benachbarten Furkapass originalgetreu wiederherzustellen.

 

Seit August vergangenen Jahres keuchen zwischen Realp und Oberwald wieder Dampflokomotiven über den Berg. Wohlgemerkt, obwohl man in einem Bruchteil der Zeit durch den Basistunnel zwischen den Kantonen Uri und Wallis pendeln kann. Dieser faszinierende Spagat zwischen Tradition und Moderne ist aber nicht nur der Eisenbahnverrücktheit der Schweizer geschuldet. Er ist längst ein Markenzeichen des vielsprachigen Alpenlandes. Und diese hat ihren natürlichen Mittelpunkt in der Gotthard-Region. Hier grenzen mit Uri, Graubünden, Wallis und Tessin nicht nur vier Kantone, sondern auch vier Kulturen und drei Sprachgebiete aneinander.

Jahrhundertelang galt er als das Herzstück der Schweiz und als uneinnehmbar. Vom Militär und Zivilschutz zerlöchert wie ein Schweizer Käse, sollten sich am Gotthard potenzielle Widersacher die Zähne ausbeißen. Heute kapitulieren während der Sommermonate höchstens die Autofahrer vor den Wochenendstaus am Autotunnel. Wer sinnigerweise in Göschenen oder Airolo abbiegt, um alternativ die breit ausgebaute Passstraße über den Gotthard zu nehmen, kommt aus dem Staunen kaum heraus. In den luftigen Höhen des Urseren-Tals herrscht geschäftiges Treiben: Am Ortsrand des gemütlichen Bergdorfes Andermatt entsteht für Milliarden Franken das Andermatt-Swiss-Alps-Resort. Das Dorf im Dorf soll nach seiner Fertigstellung Ende des Jahrzehnts gleich sechs neue Hotels im 4- und 5-Sterne-Segment sein eigen nennen dürfen, rund 500 Ferienwohnungen, 25 Luxusvillen, eine Konzerthalle und neben diversen anderen Vergnügungen ein komplett modernisiertes Alpinzentrum dazu. Alles, was hier in der Initiative des ägyptischen Investors Samih Sawiri geschieht und entsteht, wurde allerdings mit der Lokalbevölkerung zuvor abgewogen, diskutiert und vereinbart.

Die Strahlkraft dieses Projekts verleiht der Region San Gottardo schon heute Flügel und ersten Aufwind gleich dazu. Zwischen dem Vierwaldstätter See im Norden, dem jungen Rhein im Surselva Graubündens, dem urigen Goms im Wallis und den Palmen im sonnenverwöhnten Valle Ticino entdeckt man plötzlich das enorme Urlaubspotenzial der Gesamtregion. Die Wiedereröffnung der Furka-Bahnstrecke ist nur ein Beispiel. Ein besonders grünes liefert das Projekt Elektromobilität. So lassen sich einige der zehn Pässe der Gotthard-Region, darunter so klangvolle Namen wie Nufenen und Grimsel, seit vergangenem Jahr ohne Schadstoffausstoß mit Elektroautos erkunden. Für diese Saison ist eine deutliche Ausweitung des Angebots vorgesehen, das unter dem Namen Alpmobil Schlagzeilen macht. Die Verzahnung der öffentlichen Verkehrsmittel wie Eisen- und Bergbahnen, Postbusse und Schifffahrtslinien ist an dieser Schnittstelle der Verkehrswege zwischen Norden und Süden, Osten und Westen ohnehin beeindruckend.

Dass sich das Leben in der Regio San Gottardo schon heute, acht Jahre vor der geplanten Eröffnung des Gotthard-Bahntunnels ändert, ist überall spürbar: Aufbruchstimmung.