Die Schweizer lassen nichts auf ihre Bahn kommen. Warum das so ist, versteht, wer als Tourist im Zug durch das Land gondelt.

Basel - Auf manche Dinge kann man sich in der Schweiz verlassen. Jeder zweite Satz endet mit „oderrr?“, und die Züge fahren pünktlich. In Stuttgart hat der ICE gen Basel zehn Minuten Verspätung, obwohl die Lokführer gerade nicht streiken. Bei den Eidgenossen fährt dagegen jeder Zug so exakt nach Fahrplan, dass man die Uhr danach stellen könnte. Und noch etwas ist anders als in Deutschland. Die Schweizer schimpfen nicht auf ihre SBB, sie mögen sie und nutzen das weit verzweigte Netz auch ausgiebig. Nur die Japaner können im Vergleich noch mithalten, was die jährlichen Bahnkilometer pro Kopf angeht. Basel ist der erste Halt. Vom Bahnhof geht es gleich weiter mit der Tram in die Altstadt. Für Touristen ist die Stadt am Rhein ein überschaubares Pflaster. Man kommt in einer Viertelstunde überall zu Fuß hin: Auf den Münsterplatz mit der Pfalz, einer Aussichtsoase über dem Fluss. Zum Museum der Kulturen mit seinem kühnen, geschuppten Faltdach, das sich unaufgeregt in das Ensemble der jahrhundertealten Prachtbauten fügt.

 

24 Gin- oder 80 Whisky-Sorten

Auf den Spalenberg, mit seinen kleinen „Lädeli“, wie Madeleine Wamister die Geschäfte nennt, in denen junge Modemacher geradliniges Design made in Switzerland verkaufen. Keine Ecke ohne Straßencafé. Stadtführerin Madeleine Wamister sitzt gerne am Garten des Kunstmuseums beim Tinguely-Brunnen für einen Apéro als Start in den Abend. Wenn sie ihre Gäste beeindrucken möchte, dann führt sie sie auf die Terrasse des Hotels Trois Rois: Dort können sie zwischen 24 Gin- oder 80 Whisky-Sorten wählen und beobachten, wie ein Boot über den Rhein setzt, das am Seil hängt. Vier dieser Seilfähren sind zwischen Groß- und Kleinbasel unterwegs, so heißen die Stadtteile diesseits und jenseits des Rheins. Die Seilfähren sind für Schweizer Verhältnisse unfassbar günstig: 1,60 Franken kostet die Fahrt, die auch ökologisch betrachtet kaum zu toppen ist. Der Fährmann schlägt das Ruder in die entsprechende Richtung, den Rest erledigt die Strömung. Großbasel ist prächtig, aber das Kleinbasler Ufer hat am Abend die Sonne.

Die Steinstufen am Rhein sind voll von jungen Leuten. Die einen haben sich ihr Bier selbst mitgebracht, die anderen kaufen sich ihren Apéro an den Buvetten - Schankstellen mit Selbstbedienung. Die Fahrt nach Luzern dauert ab Basel 73 Minuten. Dann ist man mittendrin in der Schweiz. Von ihrer zentralen Lage profitiert die kleine Schöne am Vierwaldstätter See schon seit Jahrhunderten, reich geworden als Handelsstadt auf der Route nach Italien gelegen, vom Tourismus früh entdeckt durch englische Lords und Queen Victoria und heute ein beliebtes Ziel von Reisenden aus Fernost. Die hölzerne Kapellbrücke, die sich so fotogen über die Reuss und vorbei am Wasserturm biegt, ist übervölkert. Es ist kaum ein Durchkommen auf dem überdachten, 200 Meter langen Steg.

Überall lächeln fröhliche Chinesen, Japaner und Koreaner in die Kameras oder fuchteln mit ihren Selfie-Sticks. Auch bei Bucherer am Schwanenplatz ist es am anderen Morgen ziemlich voll, obwohl es erstens Sonntag und zweitens gerade mal 9 Uhr ist. Das Traditionshaus direkt am Ufer des Vierwaldstätter Sees macht in Uhren. Die kosten von 20 000 Franken aufwärts und werden im Minutentakt verkauft. Um den Käuferfluss nicht stocken zu lassen, gibt es Rolltreppen zwischen den Etagen. Viele der Verkäufer sind Asiaten, die Kunden sowieso. Dass bei der Schifffahrt nach Vitznau viele Touristen aus Fernost an Bord sind, erstaunt nicht. Verwunderlich ist aber, dass das Zugticket auch für das Schiff gilt. Wer einen Swiss Pass kauft, der kann damit auch Boot und Bergbahnen fahren.

1300 Höhenmeter in 32 Minuten

In Vitznau startet eine Schweizer Pionierin: Die Rigi-Bahn ist die erste Bergbahn Europas, 1871 ging sie in Betrieb. 1300 Höhenmeter in 32 Minuten, mit besten Aussichten auf den See und Halt auf Verlangen. Zwar stoppt die Rigi-Bahn nicht fahrplanmäßig an jeder Bergbauern-Milchkanne, aber die Wanderer, die da auf dem kleinen Holzplateau stehen, die nimmt sie schon mit. Oben liegt noch Schnee, und prompt rutscht ein Chinese aus. Seine Mitreisenden lachen herzlich. Schadenfreude auf 1752 Metern. Die Rigi ist ein Scheidepunkt: Gen Süden der flache Teil der Schweiz, gen Norden ragen die weißen Gipfel in den Himmel. Von dort oben ist gut wandern, es geht ja nur noch runter. Die Engländer haben die Schweiz als Reiseziel entdeckt, und sie haben einer großartigen Bahnstrecke einen Namen gegeben. Der Goldenpass führt ab Luzern über Interlaken bis nach Montreux. Wer mit diesem Zug mit den großen Panoramafenstern reist, kommt an acht Seen und drei Gebirgspässen vorbei und sieht ganz großes Landschaftskino.

Goldenpass heißt die Strecke, weil wohlhabende Briten ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die Schweizer Riviera als geeigneten Ort zum Überwintern entdeckt haben. Bei der Fahrt über die Pässe zeigte sich der goldene Herbst. Von wegen Zugzeit ist Arbeitszeit. Hier kann man knapp vier Stunden aus dem Fenster schauen, ohne ein Buch oder einen Laptop aus der Tasche zu ziehen. Entschleunigender kann nichts sein, als zu rätseln, wie viele Schattierungen von Grün es wohl gibt. Flaschengrün hebt sich draußen der See vor den graugrün bewaldeten Felsen ab, maiengrün ist das Laub, grasgrün die Wiese. In Interlaken und in Zweisimmen steht ein Zugwechsel an, schmalspurig geht es weiter durch das Simmental, das auch Bilderbuch-Schweiz heißen könnte.

Ausladende Saanenhäuser aus dunklem Holz, denen man quasi durch den Vorgarten fährt, grasende Kühe, die die Ruhe weghaben und solche verbreiten. Dazwischen das mondäne Gstaad und tatsächlich steigt dort auch ein Amerikaner aus: Sonnenbrille, Polohemd, weiße Locken, barfuß, sehr lässig. Der uniformierte Chauffeur wartet am Bahnsteig. Spätestens in Chateau D’Oex merkt man, dass jetzt nicht mehr „oderrr“, sondern „n’est-ce pas“ angesagt ist. Hinunter bis nach Montreux schraubt sich der Goldenpass über Viadukte, vorbei an Wasserfällen und Weinbergen. Unten der Genfer See, eine Verheißung. Das Aussteigen wird sich lohnen.

Bahnfahren in der Schweiz

Swiss Pass
Für Touristen gibt es den Swiss Pass, gültig für vier, acht oder 15 Tage, auch einzelne Reisetage innerhalb eines Monats sind wählbar. Im Fahrpreis inbegriffen sind viele Panoramastrecken, Schifffahrten, Postbusse, Busse und Straßenbahnen in den Städten, ebenso die Fahrt auf die Rigi. Viele andere Bergbahnen gewähren 50 Prozent Rabatt für Swiss-Pass-Inhaber, 480 Museen freien Eintritt. Ein 4-Tages-Pass kostet für Erwachsene 251 Euro, mitreisende Kinder bis 15 Jahre sind frei. www.swiss-pass.ch

Grand (Train) Tour
Streckenvorschläge für reizvolle Ziele und Strecken mit der Bahn gibt es im Internet unter www.swisstravelsystem.com/grandtraintour

Wer die Schweiz mit dem Auto bereisen möchte, findet unter www.myswitzerland.com unter dem Stichwort „Grand Tour of Switzerland“ interaktive Karten und Ideen für Touren, in denen Strecken und Sehenswürdigkeiten für Autofahrer gelistet sind.

Golden Pass
Die Panoramastrecke Goldenpass verkehrt im Stundentakt, die Fahrt kann, etwa für Wanderungen, unterbrochen werden. www.goldenpass.ch