Ein Urlaub in der Schweiz gilt seit der Frankenfreigabe als fast unerschwinglich. Dass dieses Vorurteil nicht überall gilt, zeigt ein Familienurlaub im Bergdorf Bergün in Graubünden.

Bergün - Die vier wollen nicht mehr weiter. Keinen Schritt. Auch noch so gutes Zureden hilft nicht. Curdin, Tumasch, Baldin und Tschatschen haben sich ins Unterholz verkrochen. Dort haben sie einen Vogelbeerbaum entdeckt, dem jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit gehört. Sie zupfen, kauen, schmatzen. Erst ein sanftes Ziehen an der Leine und leichtes Schieben am Hinterteil bringt das Quartett wieder in Bewegung. Curdin, Tumasch, Baldin und Tschatschen sind Ziegen - genauer gesagt Wanderziegen, die Urlauber auf Spaziergängen begleiten.

 

Miete eine Ziege, heißt das Angebot, das im schweizerischen Bergdorf Bergün in Graubünden nicht nur Kinderherzen höher schlagen lässt. Seit Mai 2013 vermietet die Familie Heinrich vom Biobauernhof Plaschair ihre Saanenziegen für bis zu drei Stunden an Familien, zivilisationsmüde Städter oder einfach an Menschen, die gerne eine tierische Begleitung haben. Dabei wollen die Tiere nicht im Stall gehätschelt werden. Sie wollen raus, sich bewegen, die Natur erkunden und die Besucher auf eine Wanderung über die Wiesen und Hügel des kleinen Bergdorfs begleiten.

Es wird schnell klar, wer hier das Tempo bestimmt: Die Ziegen trotten gemächlich neben den Wanderern her, zupfen hin und wieder an Büschen und Sträuchern, schauen sich um und gehen weiter. „Entschleunigung“ ist hier keine abgedroschen Floskel, sondern Programm. Wir seien es heutzutage gewohnt, alles steuern zu können, alles unserem Willen untertänig zu machen, sagt Bauer Urs Heinrich.

„Das wäre ein ideales Programm für Manager“

Doch die Tiere belehren jeden eines Besseren: „Die Ziegen gehen ihr Tempo, nicht schneller oder langsamer, man kann es nicht steuern“, sagt Heinrich und fügt schmunzelnd hinzu: „Das wäre ein ideales Programm für Manager.“ Jede Ziege bekommt ein Halstuch mit dem Namen darauf. Ist der Dorfrand erreicht und keine Straße in der Nähe, dürfen die Tiere von der Leine. Springend und trabend stürzen sich die Jungböcke in die nächstbeste grüne Wiese. Entstanden sind die Ziegenwanderungen aus einem Ärgernis: Ein Jungtier ist immer wieder über den Zaun aus dem Gehege gesprungen und mit Passanten mitgelaufen.

Die Kontaktfreudigkeit ihrer Ziegen brachte Urs und Angela Heinrich auf die Idee, daraus ein Angebot für Feriengäste zu machen. Auf unzähligen Spaziergängen wurden die Tiere auf ihre Wandertauglichkeit getestet. Entscheidend ist für Urs Heinrich, dass die Vierbeiner ohne Zwang und mit Spaß dabei sind. „Für das Tier soll es stimmen“, sagt der 39-Jährige. Höchstens einmal am Tag gehen die bis zu 80 Kilogramm schweren Tiere mit Gruppen oder Familien auf Wanderschaft - mit großem Erfolg. „Anfangs haben wir gedacht, dass vielleicht zehn Touren im Jahr zustande kommen“, erinnert sich Heinrich, „dann wären die Futterkosten gedeckt gewesen.“

Doch mittlerweile haben sich die Tiere schon weit über hundertmal als Wanderführer bewährt. Für alle Fälle gibt es sogar eine „Ziegen-Hotline“. Doch von der haben die Besucher erst zweimal Gebrauch gemacht. „Da haben sich Leute nur verirrt“, berichtet Heinrich. Familien im Mittelpunkt Nicht einmal 500 Einwohner zählt die aus den vier Dörfern Bergün, Latsch, Preda und Stuls bestehende Gemeinde. Doch die einzigartige Landschaft lockt jährlich mehr als 60 000 Übernachtungsgäste nach Bergün. Etwa 23 000 von ihnen nächtigen im alterwürdigen Kurhaus, das 2012 als Historisches Hotel des Jahres in der Schweiz ausgezeichnet wurde.

Das Hotel wurde im Zusammenhang mit der 1903 in Betrieb genommenen Albula-Bahnlinie geplant und 1906 eröffnet. 1952 übernahm der Schweizerische Verein für Familienherbergen das Kurhus. Die Hotelzimmer wurden zu Ferienwohnungen umgestaltett und wochenweise vermietet. Dieses Prinzip besteht bis heute: In der Hauptsaison wird ein Teil der 127 Betten in den 62 Zimmern zu 33 Ferienwohnungen zusammengefasst. Noch mehr Gäste lockt das Reka-Feriendorf an - mehr als 28 000 Schweizer und ausländische Besucher verbringen hier ihre Ferien. Ferienanlagen, die speziell auf die Bedürfnisse von Familien zugeschnitten sind, das ist das Kerngeschäft der Schweizer Reisekasse (Reka). Gegründet wurde die Non-Profit-Organisation vor mehr als 75 Jahren von Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit dem Ziel, auch weniger finanzkräftigen Familien einen erlebnisreichen Urlaub zu ermöglichen.

Das Familienerlebnis steht im Mittelpunkt“

Mit einem Umsatz von mehr als 650 Millionen Franken und 1,1 Millionen Logiernächten im Jahr gilt die Reka heute als zweitgrößter Schweizer Anbieter von Ferienwohnungen. Neben Chalets, Häusern und Ferienwohnungen betreibt Reka 13 Feriendörfer mit jeweils 30 bis 60 Wohnungen. „Das Familienerlebnis steht im Mittelpunkt“, betont Karin Hausammann, Marketingleiterin der Genossenschaft. „Dazu gehört auch - noch - der gemeinsame Abwasch“, sagt Hausammann mit Blick auf die Tatsache, dass man in Reka-Ferienwohnungen eine Geschirrspülmaschine vergeblich sucht.

Fester Bestandteil jedes Reka-Dorfes ist dagegen ein Hallenbad mit Kinderplanschbecken, Spielangebote und ein Gratis-Mietservice für Babyartikel bis hin zum Kinderwagen oder Baby-Bett. Ein weiterer Höhepunkt ist die kleine Miniaturbahn, die jeden Nachmittag durch das Feriendorf in Bergün rattert. Herzstück der Albulabahn Als besonderes Bonbon im Feriendorf Bergün bekommt jeder Gast eine Wochenkarte für das gesamte 384 Kilometer lange Streckennetz der Rhätischen Bahn. So lässt sich ganze Kanton Graubünden mit dem Zug erkunden - von Landquart bis St. Moritz, von Scuol bis Tirano. Die Eisenbahn spielt seit jeher eine zentrale Rolle für Bergün. Die Region ist das Herzstück der Albulalinie, die seit 2008 offizielles Welterbe der Unesco ist und auf der auch der Glacier-Express verkehrt.

Noch heute gilt die 62 Kilometer lange Albulalinie mit ihren 144 Brücken und 42 Tunnels als Meisterleistung in Sachen Bahntechnik und Linienführung. 1903 eröffnete die Rhätische Bahn die Strecke zwischen Thusis und St. Moritz nach nur fünf Jahren Bauzeit. Die roten Züge klettern dabei über 1000 Höhenmeter hoch - dank Solisviadukt, Landwasserviadukt oder den Kehrtunnels zwischen Bergün und Preda ohne Zahnrad. Viermal wechselt der Zug die Talseite - der Blick aus dem Fenster wird zum Verwirrspiel. Ein Muss für Bahnfans und eine gute Schlecht-Wetter-Alternative ist auch das 2012 eröffnete Bahnmuseum Albula.

Multimedial gestaltete Räume und Originalexponate vermitteln Informationen zur Baugeschichte der spektakulärsten aller Schweizer Bahnstrecken und zu den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen durch den Bahnbau. Wandern von Pass zu Pass Wer nach so viel Bahnfahren selbst aktiv werden möchte, hat dazu Gelegenheit im Parc Ela. Mit 548 Quadratkilometern Fläche ist das 19 Gemeinden umfassende Gebiet der größte Naturpark der Schweiz. Er liegt in einer vielseitigen Landschaft um die Alpenpässe Albula, Julier und Septimer. Der schönste Fleck der Schweiz In Bergün beginnt auch der Albulapass, im Sommer der schönste Alpenübergang ins Engadin.

Etwa auf halber Strecke zwischen Bergün und der Passhöhe findet sich der „Schönste Flecken der Schweiz“. Zu diesem haben zumindest die Hörer des Schweizer Radiosenders SRF1 einmal den Palpuognasee gekürt. Und wer das Kleinod mit dem kristallklaren, blau-grün schimmernden Gewässer, umgeben von Wiesen und einem herrlichen Lärchenwald einmal entdeckt hat, wird nicht offensiv widersprechen. Von der Bahnstation Preda aus ist der „Lai da Palpuogna“ in einer 45-minütigen Wanderung zu erreichen. Für Kinder ist der See - wie die gesamte Region Bergün - ein einziger, großer Abenteuerspielplatz inmitten der Natur. Und für die Eltern ist es Entspannung pur.

Infos zur Schweiz

Anreise
Mit dem Auto über die A81 nach Konstanz und weiter über Chur erreicht man Bergün von Stuttgart in rund vier Stunden. Entspannter, aber etwas länger geht es mit der Bahn über Zürich und Chur in gut sechs Stunden, ab 68 Euro, www.bahn.de

Unterkunft
Eine Zwei-Zimmer-Wohnung im Reka-Feriendorf Bergün bietet bis zu fünf Personen Platz. Im Mietpreis inbegriffen ist ein Wochenpass für die Rhätische Bahn sowie die Gratisnutzung der Bergbahn Darlux , ab 795 Euro pro Woche, www.reka.ch

Kurhaus Bergün, 70 bis 100 Schweizer Franken, also 67 bis 96 Euro pro Person und Nacht, www.kurhausberguen.ch

Ziegenwanderung
Die Ziegen des Biohofs Plaschair können für eineinhalb oder drei Stunden als Wanderbegleiter gebucht werden. Die Ziegen werden mindestens zu zweit abgegeben, ab 60 Euro, www.hof-plaschair.ch

Allgemeine Informationen
Alles Wissenswerte über das Bergdorf Bergün unter www.berguen-filisur.ch

Die Rhätische Bahn bietet neben dem Streckennetz und Fahrplänen jede Menge Ausflugstipps unter www.rhb.ch

Schweiz Tourismus, 0 08 00 / 10 02 00 29 (kostenfrei), www.myswitzerland.com