Der Bund stellt fachfremdes Personal ein, um seine Beamten an den überlaufenen Grenzübergängen zur Schweiz zu entlasten. Gewerkschafter favorisieren beim Umgang mit dem Einkaufstourismus stattdessen die sogenannte Bagatellgrenze.

Konstanz - Der uralten „Was bin ich“-Aufforderung nach einer typischen Handbewegung kommen deutsche Zollbeamte mit der Faust nach. Zumindest wenn sie ihren Dienst an der Grenze zur Schweiz tun, klopfen sie immer wieder hart auf den Tisch. Schließlich nimmt derzeit die eintönige Stempeltätigkeit für viele Zollbedienstete zwischen Konstanz und Lörrach einen Großteil ihrer Arbeitszeit in Anspruch. Um die Bekämpfung von Schwarzarbeit beispielsweise, die auch in den Zuständigkeitsbereich der dem Finanzministerium unterstellten Beamten fällt, kann sich entlang des Rheins kaum noch jemand kümmern.

 

Schuld an der dramatischen Veränderung des Tätigkeitsprofils ist der exorbitant gestiegene Schweizer Einkaufstourismus in der deutschen Grenzregion. Der gegenüber dem Euro so starke Franken zieht die Schweizer in immer größer werdenden Massen ins Nachbarland. Und noch günstiger wird der eidgenössische Einkauf durch die Tatsache, dass die Mehrwertsteuer für die aus der EU ausgeführten Waren erstattet wird. Die deutschen Zollbediensteten müssen an der Grenze deshalb jeden Ausfuhrkassenzettel abstempeln (siehe dazu Infokasten). An einem Samstag kommen in Konstanz derzeit bis zu 25 000 solcher Bescheinigungen zur Vorlage. Eine Kontrolle ist da nicht mehr möglich, die Betrugsfälle häufen sich.

Waren es im Jahr 2006 insgesamt noch 3,76 Millionen der sofort zu bearbeitenden grünen Zettel, so ist die Anzahl zehn Jahre später auf 11,23 Millionen angewachsen. Mittlerweile sind die 150 betroffenen Zöllner an der Belastungsgrenze angekommen. Was die Gewerkschaftsvertreter im Hauptzollamt Singen veranlasst hat, einen Notruf an Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und die dafür im Detail zuständige Generalzolldirektion abzusetzen.

Frustrierte Zollbeamte, genervte Touristen

Die Schilderungen von langen Schlangen vor dem Zoll, von Wartenden, die ihren Nerven verlieren und frustrierten Zollbeamten zeitigten an höhere Stelle auch Wirkung. „Die Reaktion fällt aber nicht so aus, wie wir das für unsere Kollegen erhofft hatten“, sagt der Verdi-Vertreter Andreas Gallus, hauptberuflich Vorsitzender des Personalrats am Hauptzollamt in Singen.

Das Problem sollen nach Informationen der Stuttgarter Zeitung von 1. Juni an 49 Neueinstellungen provisorisch lösen. Während der Stempeljob bis jetzt von hochausgebildeten Fachkräften erledigt wird, soll er künftig von Bewerbern ohne entsprechende Ausbildung übernommen werden. Und das in Containern, die als Vorposten in Konstanz, Lörrach und Laufenburg geplant sind und dort die langen Staus an den Grenzübergängen auflösen sollen. Gewerkschaftler Gallus sieht sowohl die entstehenden „befristeten und prekären Arbeitsverhältnisse“ kritisch wie auch die Containerlösung: „Die Verkehrssituation bleibt unverändert angespannt, vielmehr entstehen neue Staus an anderer Stelle.“ Andreas Gallus und seine Singener Verdi-Kollegen Roman Fickler und Thomas Stocker wollen auch noch nicht besonders große Hoffnung in eine automatische Abfertigung setzen, die nach einer bereits verschobenen Einführung jetzt 2020 kommen soll. Per Smartphone und sogenannter Non-Stop-App könnte dann der Papier-und-Stempel-Krieg befriedet werden.

Bei den Zöllnern selbst wird ein ganz anderes Modell bevorzugt, und das heißt: Bagatellgrenze. Die soll bei einem Warenwert über 100 Euro greifen. Das hieße, Schweizer würden bei Einkäufen, die unter 100 Euro liegen, die Mehrwertsteuer nicht erstattet bekommen. Die meisten betroffenen Beamten versprechen sich davon deutlich weniger Stempelarbeit.

Gewerkschaft fordert Bagatellgrenze zur Probe

Bei Verdi hat man errechnet, dass die Lösung mit Neueinstellungen die Steuerzahler insgesamt rund drei Millionen im Jahr kosten wird. Die Bagatellgrenze als Gegenmodell verspräche laut Gewerkschaft dem Bund dagegen rund 20 Millionen Euro, die nicht als Mehrwertsteuer an Schweizer Einkaufstouristen zurückgezahlt werden müssten.

Auf der anderen Seite warnt die Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee vehement vor der Einführung einer Bagatellgrenze, wie sie es in anderen Schweizer Anrainerstaaten bereits gibt. In einer Stellungnahme der IHK heißt es: „Die Region ist stark von der Schweizer Kundschaft abhängig. Viele Einzelhandelsunternehmen wären ohne sie wirtschaftlich nicht mehr überlebensfähig. Die meisten Einkäufe liegen unter 50 Euro. Die geforderte Bagatellgrenze von 100 Euro wäre keine Bagatelle, sondern ein massiver wie unnötiger Eingriff in bestehende Strukturen.“ Dieser Argumentation hat sich auch immer das Bundesfinanzministerium angeschlossen.

Die Interessensvertretung der Zöllner schlägt nun eine zeitlich begrenzte Bagatellgrenze als Probelauf vor. „Sollte innerhalb eines halben Jahres deshalb auch nur ein Laden schließen müssen, würden wir unseren Versuch für gescheitert erklären“, sagt Verdi-Vertreter Andreas Gallus.