Ein Daimler-Mitarbeiter rutscht in der Kantine auf Salatsoße aus und bricht sich den Arm. Jetzt kämpft er für eine Unfallrente, doch das Sozialgericht weist seine Klage ab.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Schwieberdingen - Die linke Hand spürt er teilweise nicht. Nach dem Unfall sind die Nerven nicht wieder zusammengewachsen, und würden es wohl auch nicht mehr, sagen die Ärzte. Den Arm kann der 50-jährige Daimler-Mitarbeiter nur eingeschränkt beugen und strecken. „Wenn ich Auto fahre, verkrampft meine Hand“, berichtet er den Richtern. Was problematisch sei, denn er müsse viel Auto fahren. Der Vorsitzende Richter nickt. „Das ist kompliziert“, sagt er, bevor er sich mit seinen zwei Kollegen zurückzieht, um eine Antwort auf die Frage zu finden: ist ein Sturz in einer Kantine ein Arbeitsunfall oder nicht?

 

Der Daimler-Mitarbeiter leidet an den Folgen des Sturzes

Am 18. Mai 2010 fällt der Daimler-Angestellte hin. Rutscht aus auf Salatsoße in der Daimler-Werkskantine in Sindelfingen. Der 50-Jährige kracht unglücklich auf den Ellenbogen, der Knochen bricht, der Mann fällt in Ohnmacht und kommt ins Krankenhaus. Die Krankenkasse übernimmt die Behandlungskosten, aber die Berufsgenossenschaft erkennt den Sturz nicht als Arbeitsunfall an – und gewährt dem Mann aus Schwieberdingen folgerichtig keine Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Und zwar mit der Begründung, die Nahrungsaufnahme sei grundsätzlich dem privaten Lebensbereich zuzuordnen, den die Versicherung nicht abdecke. Zwar sei der Weg zur Kantine versichert, doch dieser Schutz ende „mit dem Durchschreiten der Außentür“.

Der 50-Jährige will diese Argumentation nicht hinnehmen. Schließlich leide er noch immer an den Folgen des Sturzes und sei beruflich eingeschränkt, sagt er. Er kämpft um eine Unfallrente, es geht um mehrere tausend Euro. Der Mann legt Widerspruch ein, doch die Genossenschaft bleibt hart und zahlt keinen Cent.

Die Berufsgenossenschaft will keine Unfallrente zahlen

Am Montag treffen sich beide Parteien vor dem Heilbronner Sozialgericht, der 50-Jährige mit seinem Anwalt als Kläger und ein Vertreter der beklagten Berufsgenossenschaft. Nach einer einstündigen Verhandlung verkündet die Kammer ihre Antwort – und weist die Klage ab. Der Salatsoßen-Sturz ist kein Arbeitsunfall.

Die Richter verweisen in ihrem Urteil auf die gängige Rechtsprechung, auf die sich auch die Berufsgenossenschaft gestützt hatte. Demnach sei die Essensaufnahme eine private und daher nicht unfallversicherte Tätigkeit. Zwar gebe es Ausnahmen, etwa Geschäftsessen. „Aber solch eine Ausnahme liegt hier nicht vor“, erklärt der Vorsitzende Richter.

Genau diesen Punkt sehen der Kläger und sein Anwalt anders. Der 50-Jährige arbeitet in einer Leitungsposition für Daimler. Am Tag des Unfalls sei er in Eile gewesen. Vormittags ein Meeting in Sindelfingen, und schon um 14 Uhr habe er für eine weitere Besprechung in Untertürkheim sein sollen. Er habe folglich keine andere Möglichkeit gehabt, als in die Kantine zu gehen. Zumal Daimler Wert darauf lege, dass die Mitarbeiter zusammen essen. Insofern bestehe sehr wohl ein direkter Zusammenhang zwischen seiner beruflichen Tätigkeit und dem Kantinenbesuch.

Die Richter weisen die Klage ab, der Kläger geht in Berufung

Spielt keine Rolle, entgegnen die Richter. Essen ist Privatsache, ob in der Kantine oder nicht. Der Kläger hätte ja auch ein Schnellrestaurant nutzen können, und auch dort wäre der Boden eventuell verunreinigt oder glatt gewesen.

Unumstritten ist diese Einschätzung nicht. Der Richter weist in der Urteilsbegründung auch auf eine abweichende Rechtsauffassung unter Juristen hin, nach der alle Arbeitnehmer, wenn sie in subventionierten Kantinen ihres Arbeitgebers essen, versichert seien. „Man kann es so oder so sehen“, sagt er. „Wir sind dieser Minderheitenmeinung nicht gefolgt.“ Generell sei bei solchen Unfällen immer eine Einzelfallbetrachtung nötig. Das Salatsoßen-Urteil ist demnach nicht richtungsweisend für die Zukunft.

Aufgeben will der Daimler-Angestellte sowieso nicht. Nach der Verhandlung kündigt sein Anwalt eine Berufung an. Notfalls werde er diesen Fall bis zur höchsten Instanz, also bis zum Bundessozialgericht, bringen. Darüber hinaus will der 50-Jährige Schadensersatzansprüche gegen die Kantine geltend machen.