An einem Tag fast die ganze Sylter Westküste abschwimmen? Mit einem wasserdichten Gepäcksack im Schlepptau, der Geld, Fotoapparat, Kleider und das Handy transportiert? Geht das? Der StZ-Redakteur und ehemalige Insulaner Martin Tschepe macht den Selbstversuch.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Sylt - Die Nordsee ist kooperativ. Wie eine gute alte Komplizin, die gerne mitspielt. Dabei weiß doch fast jedes Kind: Sie kann auch ganz anders, wild sein, tosend, unberechenbar und gefährlich. Aber nicht an diesem strahlend schönen Sommertag auf Sylt.

 

Schon früh am Morgen lacht die Sonne vom Himmel, die Wellen sind klein, der Wind bläst ganz leicht aus Südwest. Beste Bedingungen also für das kühne Vorhaben: Ich will von Hörnum im Inselsüden immer nach Norden bis nach List kraulen, mit einem wasserdichten Sack im Gepäck, der die Klamotten, das Handy, den Fotoapparat, Geld und ein bisschen Verpflegung für einen Tag transportiert.

Viel schneller als erwartet

Es ist 7.26 Uhr, Start am Hörnumer Weststrand. Kaum eine Menschenseele ist auf den Beinen. Der Neoprenanzug sitzt hauteng, das Wasser ist angenehm warm – alles super. Eintauchen und ab geht’s. Im Nu ist der erste Kilometer herunter gespult. Der Hörnumer Campingplatz taucht auf – und sieht ein paar Minuten später beim Blick zurück auch schon wieder winzig klein aus, wie Spielzeug. Die Brise schiebt ein bisschen von hinten. Viel schneller als erwartet, nach ziemlich genau anderthalb Stunden, taucht die Sansibar auf. Eigentlich war der erste Stopp mit einem Besuch dieser beliebten Kneipe südlich von Rantum fest eingeplant. Doch der Magen meldet noch keinen Hunger. Also weiter kraulen, mit langen, ruhigen Zügen. Rechts, links, rechts, links.

Neun Uhr, Samoa Seepferdchen. Kurze Pause am Strand. Ein bisschen Apfelsaftschorle trinken, ein Schinkenbrot und eine halbe Tafel Schokolade futtern, dann der Neustart. Ab nach Westerland. Am Rantumer Hauptstrand applaudieren zwei Frauen und ein Mann. Jemand ruft: „Den Rest schaffst Du auch noch.“ Er hat vermutlich in der „Sylter Rundschau“ von meinem Plan gelesen, dem Schwimmen des ehemaligen Hörnumers von Hörnum bis nach List.

Nicht bestelltes Empfangskomitee

Lange vor der Ankunft in Westerland taucht am Horizont die Silhouette der Stadt auf, das übergroße Appartementhaus direkt am Wasser ist auch aus ein paar Kilometern Entfernung nicht zu übersehen. Ein Zwicken in der Wade, der erste Muskelkrampf. Na prima. Doch nach ein paar Dehnungsübungen in der Rückenlage ist das Problem erst mal behoben.

12.15 Uhr, Ankunft Westerland. Geschätzt 17 von circa 30 Kilometern sind geschafft. Am Strand wartet bereits ein nicht bestelltes Empfangskomitee. Ein Familienvater stürzt sich auf den Neuankömmling aus dem Meer und gratuliert überschwänglich. „Wir haben Sie vom Strand aus verfolgt, ganz toll. Meine Kinder wollen das auch mal machen.“ Kleiner Tipp: Sie sollten vorher ordentlich trainieren.

Kurzer Plausch mit einem anderen Schwimmer

Mittagspause auf der Hauptpromenade. Mit Pommes, Würstchen, Cola und Gesprächen mit Passanten, die wissen wollen: „Warum machen Sie das?“ Ich bin auf Sylt zur Schule gegangen, schwimme viel und hatte schon immer diese fixe Idee im Kopf. Ideen muss man halt irgendwann einmal umsetzen. Die Arme sind schon schwer, aber es hilft ja nichts: wieder rein ins Meer.

13.15 Uhr, auf geht’s nach List. Um 14 Uhr: Wenningstedt. Unterwegs mache ich Bekanntschaft mit ein paar Quallen, aber nur mit den blauen, die haben keine Tentakeln und brennen nicht. Kurz vor Kampen treffe ich einen Gleichgesinnten, der Mann kommt von Norden, trägt auch Neopren und Schwimmbrille. Ein kurzer Plausch – nein, er schwimme nicht so weit, nur ein paar Kilometer. Ob es nicht lästig sei, immer diesen orangefarbenen Sack hinterher zu ziehen? Nein, der stört kaum, bremst halt ein bisschen. Schwimmwanderer, die schon länger mit so einer Drybag losziehen, sagen, man verliere durch den Sack in der Stunde etwa 500 Meter. Wer normalerweise etwa vier Kilometer schafft, der sollte mit 3,5 kalkulieren. Aber Schwimmwandern ist ja kein Wettbewerb.

Ich hab die Schnauze voll!

15.30 Uhr, Kampen. Die Muskeln in den Oberarmen brennen, aber Aufhören ist keine Option. Alle Ausdauersportler erreichen früher oder später den Punkt, den Experten als Flow bezeichnen. Wenn es für einen Schwimmer nichts Wichtigeres zu geben scheint als das Einswerden mit dem Wasser. Wenn sich der Rausch einstellt, ein toller Rausch, denn es gibt keinen Kater, außer einen ordentlichen Muskelkater.

Immer wieder winken mir Menschen vom Strand aus zu. Gelegentlich sprechen mich Badende im Wasser an. Mitunter frage ich: „Wo sind wir denn hier?“ Gegen 16.30 Uhr antwortet ein Mann: „Hier ist das Jugendseeheim Kassel bei List.“ Und List ist das Zauberwort an diesem Nachmittag! Angekommen, nach geschätzt knapp 30 Kilometern im Meer. Nicht ganz oben im Norden, aber auf Lister Markung. Ende der Mission. Ich hab, ehrlich gesagt, die Schnauze voll. Auch wegen des Salzwassers in eben dieser.

Wasserdichter Transport

Autor
Der 49-jährige Redakteur ist Hobbylangstreckenschwimmer vom Schwimmverein Ludwigsburg. Martin Tschepe ist bis 1974 in Hörnum auf Sylt in die Grundschule gegangen. Er hatte schon als Grundschüler die fixe Idee im Kopf irgendwann mal so weit wie möglich am Strand entlang zu schwimmen.

Chillswim
Der britische Schwimmreiseveranstalter Chillswim verkauft die Drybags in vier Größen: S mit 20 Litern Fassungsvermögen, M mit 28 Litern, L mit 35 Litern und XL mit 50 Litern. Wir haben L getestet. Die wasserdichten Gepäcksäcke kosten 27 bis 34 britische Pfund (etwa 34 bis 43 Euro) plus Porto. Die Drybag wird mit einer Art Gürtel um den Bauch und einer Verlängerungsstrippe transportiert. Wenn keine Wellen sind, dann spürt der Schwimmer kaum, dass er den Sack zieht – allenfalls beim Blick auf die Uhr. Man ist etwas langsamen als ohne. Bei Wellengang indes wird die Drybag schnell zum Bremsfallschirm.