Ein neues Verfahren bei der Kapitalertragssteuer führt dazu, dass mehr Menschen die Kirchen verlassen. Viele von ihnen haben den falschen Eindruck, die Kirche wolle jetzt auch noch an ihr Erspartes heran.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Stuttgart - Der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart ist „entsetzt, verärgert“ und wohl auch ein kleines bisschen resigniert. „Ich komme mir manchmal wie Sisyphos vor“, sagt Gebhard Fürst angesichts der erneut steigenden Kirchenaustritte. Da hat der Geistliche vieles, wenn nicht sogar alles getan, um verloren gegangenes Vertrauen in die Religionsgemeinschaft zurückzugewinnen. Er hat sich akribisch um die Aufklärung der Missbrauchsfälle gekümmert und die Prävention vorbildlich gestärkt. Er hat einen aufwendigen Dialogprozess gestartet, um die Basis einzubinden, und er lässt auch bei den kirchlichen Finanzen die nötige Transparenz walten, um Württemberg scharf von der Affäre Limburg abzugrenzen. Doch trotz all dieser Anstrengungen kehren aktuell mehr Menschen der katholischen Kirche den Rücken als in den beiden Jahren zuvor.

 

Mehr als 10 300 Personen sind bis Juli bereits im Bereich der Diözese ausgetreten. Zum Vergleich: im ganzen Jahr 2012 waren es nur rund 10 000 gewesen. Ähnlich ist die Entwicklung in anderen Bistümern sowie bei der evangelischen Kirche. Die württembergische Landeskirche verzeichnet zum Beispiel für das erste Quartal 57 Prozent mehr Austritte, Bayern meldet in etwa den gleichen Wert. Der evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg haben sogar über 60 Prozent mehr Gläubige den Rücken gekehrt. Dabei beschädigen keine aktuellen Skandale und Affären das Image der Kirchen. Die Ursache für den gegenwärtigen Minustrend liegt nach Überzeugung der Fachleute ganz woanders, nämlich in einer Änderung des Steuerrechts. Von 2015 an wird auch die Kirchensteuer, die auf Kapitalerträge wie Zinsen und Dividenden schon seit langem fällig ist, mit der Abgeltungssteuer automatisch von den Banken eingezogen. Bisher galt diese Steuerpflicht zwar auch schon, sie kam aber nur zum Tragen, wenn jemand seinem Geldinstitut dazu seine Konfessionszugehörigkeit extra mitgeteilt hatte oder diese Einkünfte eben in der Steuererklärung entsprechend deklariert hatte.

Das Finanzministerium lobt den Bürokratieabbau

Das haben aber wohl bisher nicht alle getan, die dazu verpflichtet waren – teils bewusst, teils aus Versehen, räumt man im Bundesfinanzministerium ein. Künftig werde es aber schwerer, sich dem Obolus zu entziehen. Das Haus Schäuble wertet die Neuerung, die eine Übergangsregelung beendet, daher als Fortschritt. Für die Bürger werde es einfacher. „Im Ergebnis wird Bürokratie abgebaut“, sagt das Ministerium. Die Verantwortlichen in den Kirchen können sich dieser Bewertung gerade kaum anschließen. Durch die Mitteilungen der Banken an ihre Kunden über die Prozedur entstehe der falsche Eindruck, als wollten die Religionsgemeinschaften jetzt auch noch an die Sparbücher der Gläubigen heran, klagt der für Finanzen zuständige Generalvikar des Bistums Rottenburg-Stuttgart, Clemens Stroppel. Doch erstens gebe es keine neue Abgabe und zweitens gehe es gar nicht um Mehreinnahmen für die Kirchen, sondern um eine größere Steuergerechtigkeit. Schließlich müsse man garantieren, dass nicht nur Arbeitseinkommen effektiv belastet würden.

Die Initiative für die Umstellung geht laut Stroppel auf Hinweise aus dem Finanzministerium zurück. Dort heißt es allerdings, die Kirchen hätten gedrängelt. Beide Seiten haben jedenfalls gemeinsam in dreijähriger Arbeit das neue Verfahren entwickelt, das jetzt für Irritationen sorgt. Stroppel etwa vermutet, dass viele austreten, die gar nicht zahlen müssten. Denn fällig wird die Kapitalertragssteuer ja nur, wenn zum Beispiel ein Ehepaar jährlich mehr als 1602 Euro an Zinsen einstreicht. Dementsprechend trägt der Obolus auch kaum zum Kirchenetat bei.

In der Diözese Rottenburg floss 2012 gerade einmal ein Prozent des Etats aus dieser Quelle. „Umso ärgerlicher ist es, dass das bei den Austritten nun so zu Buche schlägt“, betont Stroppel. Der Theologe weiß aber auch, dass einem Austritt meist ein langer Entfremdungsprozess vorausgeht. Um dann endgültig die letzte Bindung zur Kirche zur lösen, reicht am Ende oft ein kleiner Anlass.