Eigentlich galt das Projekt eines Mobilitätszentrums in Stuttgart als gescheitert. Doch jetzt engagiert sich Porsche-Chef Matthias Müller persönlich.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Stuttgart - Totegesagte leben länger - das gilt bisweilen auch für kommunalpolitische Projekte. Als aktuelles Beispiel für eine solche Erkenntnis taugt die seit vielen Jahren von Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) vorangetriebene Idee eines sogenannten Mobilitätserlebniszentrums. Erst im Februar hat der Stuttgarter Gemeinderat dem Projekt für einen Wissenspark direkt beim Cannstatter Wasen aus finanziellen Gründen den Garaus gemacht und eine damit verbundene europaweite Ausschreibung aufgehoben. Dank der Firma Porsche aber wird zumindest die Diskussion über eine solche Einrichtung, die sich insbesondere auch an Kinder und Jugendliche richtet, plötzlich wiederbelebt.

 

Die Gerüchte kursierten schon seit Monaten im Rathaus. Dieser Tage nun ist Porsche an die Öffentlichkeit gegangen. Das Unternehmen wolle sich an seinem Heimatstandort aktiv einbringen und einen "Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung des Mobilitätsstandortes" leisten. Deshalb werde nun ein Konzept erarbeitet, wie sich der Sportwagenhersteller neben den bereits bestehenden Bildungskooperationen in einem Science-Center einbringen könne. Ein neuartiges pädagogisches Konzept im Sinne eines lebendigen Klassenzimmers solle es ermöglichen , so heißt es, dass "naturwissenschaftliche, technische und gesellschaftliche Phänomene von Mobilität einem breiten Publikum, insbesondere Schülern, durch eigenes Erleben nahegebracht werden".

Stadt überlässt Bau und Betrieb des Science-Centers

Die Verlautbarung von Porsche ist das Ergebnis mehrerer Gespräche des neuen Vorstandschefs Matthias Müller mit Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU), dessen Lieblingsprojekt eines Mobilitätserlebniszentrums im Neckarpark damit eine neue Chance erhält.

In welche Richtung Porsche und die Rathausspitze denken, geht freilich aus einer bis jetzt nicht öffentlichen Vorlage von OB Schuster an den Stuttgarter Gemeinderat hervor, die der Stuttgarter Zeitung vorliegt - und die bereits am kommenden Mittwoch als Zielbeschluss auch offiziell vom Stadtparlament abgesegnet werden soll. Demnach knüpfen die Überlegungen exakt an jenes Projekt an, dem der Gemeinderat noch im Februar aus finanziellen Gründen eine Absage erteilt hatte. Neuer Ansatz nun: die Stadt überlässt Bau und Betrieb des Science-Centers - anders als bisher erwogen - einem Dritten, also möglicherweise dem Hause Porsche. In den Gesamtkomplex eines Wissenszentrums bringt die Kommune allerdings das Planetarium ein, das vom heutigen Standort am Schlossgarten wegverlegt werden könnte. Dafür müsste die Stadt insgesamt rund zwölf Millionen Euro aufbringen, von denen fünf Millionen Euro bereits etatisiert seien, wie es in der Schuster'schen Vorlage heißt.

Vier Bausteine sind vorgesehen

Nach Informationen der StZ gilt dies allerdings nur für 2,5Millionen Euro, so dass im nächsten Doppelhaushalt, der von Herbst an diskutiert wird, noch 9,5Millionen Euro zu finanzieren wären. Am grundsätzlichen Gedanken ändert dies aus Sicht des OB nichts: nämlich im Bereich der früheren Depots der Stuttgarter Straßenbahnenam Cannstatter Wasen "ein attraktives Gesamtensemble zum Thema Mobilität in all ihren Facetten" zu schaffen.

Vier Bausteine sind vorgesehen:

Erstens: das in einem Neubau entstehende, privat betriebene eigentliche Science-Center für Mobilität mit Ausstellungsflächen und Laborräumen für Schulklassen und Gruppen auf einer Fläche von rund 6500 Quadratmetern; zweitens: ein neues städtisches Planetarium, das an den Science-Center-Komplex angedockt werden könnte; drittens: das denkmalgeschützte Straßenbahndepot, in dem die "Straßenbahnwelt" bereits residiert und das durch eine Schauwerkstatt ergänzt werden könnte; und viertens schließlich: eine große Freifläche hinter dem Straßenbahndepot für Aktionen und Experimente.

Eröffnung für September 2014 geplant

Nach Ansicht von Schuster unterstreicht der Erfolg anderer Science-Center, die in den vergangenen Jahren entstanden sind, "die pädagogische Notwendigkeit, aber auch die wirtschaftliche Machbarkeit dieses Projekts", wie er in dem Papier an die Stadträte schreibt. Umso dankbarer sei er, wie er auf Anfrage sagt, "dass Porsche sich dieses Themas annimmt". Vom Gemeinderat erhofft sich der Rathauschef das Plazet dafür, mit dem Sportwagenbauer Verhandlungen über eine Realisierung aufnehmen zu können.

Porsche würde zeitnah einen Ideenwettbewerb und eine Machbarkeitsstudie durchzuführen, wie aus der Vorlage herauszulesen ist. Auf der Grundlage der dabei erzielten Ergebnisse werde Porsche im Blick auf eine Realisierung gegebenenfalls weitere Partner ansprechen, um die notwendigen sechs bis zehn Millionen Euro für eine pädagogische Ausstattung mit einzelnen Lernstationen zu finanzieren. Bei idealem Verlauf könnte, so Schusters Hoffnung, bereits Ende 2012 mit dem Bau begonnen werden. Eröffnung dann: zum Schuljahresbeginn im September 2014.

Science-Center

Die Idee: Wie fühlt sich ein Erdbeben an? Welchen Druck müssen U-Boote in der Tiefe aushalten? Kann man Töne sichtbar machen? Kinder und Jugendliche stellen solche Fragen - und erhalten von den Erwachsenen oft wenig befriedigende Antworten darauf. Vor diesem Hintergrund gibt es seit Jahren verstärkt Überlegungen, dem Nachwuchs solches Wissen auf ganz neue Art und Weise näherzubringen.

Die Vorbilder: Zuletzt haben viele Kommunen und private Betreiber Pläne für sogenannte Science-Center geschmiedet und realisiert, in denen Schülern die Möglichkeit gegeben wird, sich Antworten auf naturwissenschaftliche und andere Fragen durch eigenes Erleben zu erschließen. Das Technorama in Winterthur ist solch eine Einrichtung, ebenso wie das Universum in Bremen, dessen Betreiber einst der Favorit von OB Schuster für ein Stuttgarter Science-Center war. Daneben gibt es unter anderem das Dynamikum in Primasens, das Mathematikum in Gießen oder die Lern- und Erlebniswelt Experimenta in Heilbronn.