So packend hat „Alien“-Regisseur Ridley Scott schon lange nicht mehr erzählt: in „Der Marsianer“ muss ein gestrandeter Astronaut ums Überleben kämpfen. Fantasiephysik gilt hier nicht. Der von Matt Damon gespielte Pechvogel muss nachvollziehbare Problemlösungen finden.

Stuttgart - Blühende Landschaften zu schaffen, daran ist schon mancher gescheitert. Aber große Projekte erfordern es eben manchmal, dass man entschlossen in die Hand nimmt, was man sonst nicht antippen würde. Und Mark Watney, Botaniker, Nasa-Astronaut und Teilnehmer einer Mars-Expedition, ist bereit für diese Herausforderung. Er schraubt die Toilette der Gruppenunterkunft auf, kramt die abgepackten Kotbeutel hervor, schlitzt sie auf und rührt sich aus dem Inhalt Dünger an.

 

Diese Sequenz aus Ridley Scotts Film „Der Marsianer“ wird gewiss in die Kinogeschichte eingehen, mit ganz unterschiedlichen Interpretationen. Die einen werden sagen, hier bekenne sich Hollywood endlich zu seinem Glauben, aus Kot ließe sich Gold machen, die anderen werden loben, so frei von Pathos sei menschlicher Erfindungsreichtum und Durchhaltewillen selten gefeiert worden.

Versehentlich zum Pionier

Der von Matt Damon gespielte Watney ist irrtümlich allein auf dem Mars zurückgelassen worden. Seine Kameraden hielten ihn für ein Opfer jenes Sandsturms, der die Evakuierung der Station nötig machte und den Notstart der Rakete zurück zur Erde. Die nächste reguläre Erkundungstruppe wird erst Jahre später eintreffen, die Funkeinrichtung der Station ist zerstört, und Watney hat nun von allem zu wenig: zu wenig Sauerstoff, zu wenig Wasser, zu wenig Nahrung. Er müsste kein besonders defätistisches Gemüt haben, um zu beschließen, sofort den Helm zu öffnen.

Watney aber nimmt die Robinson-Crusoe-Herausforderung an: alleine in einer fremden Umgebung zu überleben, mit einem lückenhaften Kleinbestand an Werkzeugen, als ginge es nun darum, den Aufstieg des Menschen zur Krone der Schöpfung am Einzelbeispiel nachzuvollziehen und zu rechtfertigen.

Ein Mars ohne Klischee-Aliens

Man nimmt wohl niemandem die Spannung, wenn man verrät, dass keine Aliens auftauchen werden, Watney auch keine Duplikate seiner selbst aus einem hochgeheimen Androiden-Programm, analog zum Plot von Duncan Jones’ „Moon“ aus dem Jahr 2009, entdecken wird. Er muss sich wirklich alleine und auf Grundlage der uns bekannten Naturgesetze und -verhältnisse durchschlagen.

„The Martian“ basiert auf einem Roman des Amerikaners Andy Weir, eines Software-Entwicklers, der jene Science-Fiction liebt, die mit dem Ernst einer Ingenieurfacharbeit künftige Lösungen für künftige Probleme ertüftelt. Vor solcher SF haben Filmemacher lange Reißaus genommen, aber der Erfolg von „Gravity“ hat gleich zweierlei gezeigt: man kann das Publikum für ein realistisches Bild der Raumfahrt begeistern, und ein Mensch alleine in Not kann die Aufmerksamkeit fesseln.

Raus aus dem irdischen Schlamassel

Aber Watney ist nicht der männliche Abklatsch von Sandra Bullocks Figur in „Gravity“, sonst könnte „Der Marsianer“ auch gar nicht funktionieren. Die dichte Einheit von Raum und Zeit, die der Überlebenskampf im Erdorbit in Beinahe-Echtzeit in „Gravity“ bietet, geht Watneys Abenteuer ab. Das greift nach anderem aus, zitiert den tatkräftigen Optimismus des alten amerikanischen Kinos und schließt an die Raumfahrtbegeisterung von einst an.

Das Rennen ins All in den Fünfzigern und Sechzigern war für Politiker und Militärs ein hochsymbolischer Teil des Kalten Krieges. Aber für viele Menschen war Raumfahrt die Abkehr vom Kalten Krieg. Plötzlich gab es da eine Ausstiegstür, durch die man sich hinausträumen konnte aus dem irdischen Schlamassel, gab es amorphe Hoffnung, es könne anderswo einmal einen Neuanfang geben.

Der Mars könnte mit seiner Lockung zu menschlicher Erkundung solche Gedanken wiedererwecken. Und Scott, in seinen besten Zeiten ein Schöpfer lang wirkender Kinomythen wie „Blade Runner“ und „Alien“, liefert im Vorgriff eine große Geschichte vom Sich-etwas-Zutrauen, als Individuum wie als Zivilisation.

Es gibt noch viel zu erobern

So schafft es Watney nach und nach, einen zunächst rudimentären Funkkontakt zur Erde herzustellen, sich Wasser, Sauerstoff und Energie zu verschaffen, und auch im Zelt Nahrung anzubauen, mit Kot und Erfindergeist gedüngt. Er ist ein Mann nicht ohne Humor und nennt das Kolonisierung. Scott und Andy Weir aber meinen das ernst: wir können noch viel erobern, sagt ihr Film.

Vor allem aber zeigt diese Fantasie über das nicht ganz Unmögliche, dass so eine Eroberung erstmals nichts mit Wegnahme zu tun hätte, dass sie kein Ökosystem zerstören, sondern eines schaffen würde. Wie John Fords Westernfilme zeigt „Der Marsianer“ ein wartendes hartes Land, das dem Menschen jenen Rahmen gibt, in dem er sich erst zu Größe aufrichten kann. So entfaltet „Der Marsianer“ auch eine Wirkung, die nichts mit dem Plot zu tun hat. In immer neuen Szenarien, auch solchen der Rückschläge, fragt die Kamera uns: Wäre es nicht faszinierend, einmal hier zu stehen und das mit eigenen Augen zu sehen ?

Der Marsianer. USA 2015. Regie: Ridley Scott. Mit Matt Damon, Jessica Chastain, Jeff Daniels, Kate Mara. 144 Minuten. Ab 12 Jahren.