Uwe Wössner von der Universität Stuttgart ist Experte für Computersimulationen. Ob Gebäude, Kraftwerke oder Biergläser – beim „Science Pub“ in der Stuttgarter Rosenau zeigt er, wie virtuelle und reale Welt verschmelzen können.

Stuttgart - Natürlich hat die Veranstaltung „Science Pub“ etwas mit Bier zu tun – schließlich geht es darum, anschaulich Wissenschaft in lockerer Kneipenatmosphäre zu vermitteln. Und so hat Uwe Wössner zu seinem Vortrag „Virtuelle Realität zum Anfassen“ in der Stuttgarter Rosenau auch das passende Requisit mitgebracht: ein leeres Weizenbierglas. Dies gilt es virtuell zu füllen – für den Leiter der Abteilung Visualisierung am Höchstleistungsrechenzentrum der Uni Stuttgart eine Routineaufgabe, mit der sich gleichwohl das zahlreich erschienene, teilweise recht junge Publikum beeindrucken lässt.

 

Ein schwarz-weißes Bild mit verschiedenen Markierungen hilft dabei dem System aus Kamera und Computer, sich auf dem Tischchen zurechtzufinden, auf dem sich neben dem Weizenbierglas noch weitere Objekte befinden. Sobald das geschehen ist, kann es losgehen: Wie von Zauberhand füllt sich auf der Leinwand das abgefilmte echte Glas mit einer gelben Flüssigkeit, die von einer weißen Schaumkrone gekrönt wird. Und genauso schnell leert es sich auch wieder.

Erweiterte Realität nennen das die Wissenschaftler, wenn sich virtuelle und reale Inhalte miteinander mischen. Das kann man mit einem Bierglas machen, das kann man auch mit einem Turm machen, wie Wössner an einem weiteren Beispiel demonstriert: dem 246 Meter hohen Forschungsturm, den der Aufzugsbauer Thyssen-Krupp derzeit in Rottweil baut. Den hat der Stuttgarter Computerspezialist schon mal en miniature nachgebildet und demonstriert nun eindrucksvoll seinem Publikum, wie an diesem in der Kneipe aufgebautem Modell virtuelle Windströmungen entstehen.

Sogar ein Mord wird virtuell rekonstruiert

Uwe Wössner geht es an diesem Kneipenabend insgesamt weniger darum, die hinter solchen virtuellen Welten stehende Computerwissenschaft oder die entsprechenden Rechenvorschriften zu vermitteln. Vielmehr will er mit zahlreichen Beispielen verdeutlichen, was man alles mit virtuellen Welten im Computer veranschaulichen kann. Dazu entführt er seine Zuhörer mit Bildern und Filmen in die Cave: Dieses dreidimensionale Visualisierungszentrum am Stuttgarter Höchstleistungsrechenzentrum erstreckt sich über drei Stockwerke und verfügt über fünf Projektionsflächen – drei Wände, Decke und Boden, insgesamt ein Würfel von 2,7 Meter Kantenlänge.

Eine hohe Priorität haben hier technische Simulationen, etwa zur Optimierung von Wasserkraftwerken. So berichtet Wössner nicht ohne Stolz, dass die Ingenieure bei der Modernisierung der Turbinen eines Neckarkraftwerks des Energieversorgers EnBW 30 Prozent mehr Leistung aus derselben Anlage herausgekitzelt haben – dank der Erkenntnisse, die in dem Stuttgarter Visualisierungszentrum gefunden werden. Wichtig sind auch Simulationen zur Aerodynamik, wie Wössner am Beispiel eines Lastwagens demonstriert. Ein ganz anderes Einsatzgebiet sind architektonische Fragestellungen, wobei man sich in Gebäuden oder ganzen Stadtteilen virtuell bewegen kann. Auch archäologische Ausgrabungsstätten werden so auf ungeahnte Weise „lebendig“. Immer wieder wird bei bei diesen Beispielen deutlich, wie wichtig es ist, das Ganze anschaulich räumlich erleben zu können – und wie hilfreich dabei die Möglichkeit ist, dass mehrere Menschen gleichzeitig in der Cave zusammen die Visualisierung erleben und darüber diskutieren können.

Für leicht gruselige Pubatmosphäre sorgt dann abschließend Wössners Ausflug in die virtuelle Kriminalität – genauer in die Rekonstruktion von Straftaten. Besonders anschaulich schildert er eine Zusammenarbeit mit Amsterdamer Kriminalexperten, bei der es um die Flugbahn von Blutströpfchen geht. Aus dem Muster der dreidimensional eingescannten Blutspritzer an einer Wand können die Experten auf deren Ursprungsort schließen, wobei so Feinheiten wie der Luftwiderstand in die mutmaßlichen Flugbahnen der Tröpfchen mit einberechnet werden. So lässt sich der Tatort auf wenige Zentimeter genau lokalisieren – bei einem Mordprozess ein unter Umständen entscheidender Punkt.