Die Scorpions sind Deutschlands bekannteste Band. Nun gehen sie letztmals auf Tournee.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)
Frankfurt - Wie es sich für Rockstars gehört, verspäten sich die Scorpions natürlich ein wenig. Zwanzig Minuten nach dem vereinbarten Zeitpunkt rollen ein Minivan und eine dunkle schwere Limousine vor, es erscheinen der Sänger Klaus Meine, die beiden Gitarristen Rudolf Schenker und Matthias Jabs sowie eine kleine Entourage. Geduldig erfüllen sie die Wünsche einiger wartender Autogrammjäger, seelenruhig schütteln sie Dutzende Hände, routiniert werfen sie sich für Erinnerungsfotos in Rockerposen.

Es sind tausendfach geübte Gesten der ganz altbackenen Rockerschule, geballte Fäuste, triumphierendes Grinsen, Schenkers zum Victory-Zeichen geformte, den Objektiven entgegengereckte Hand. Alles breitbeinig vorgetragen von drei Herren, die allesamt hautenge Lederröhrenhosen, Stiefeletten, sehr undezentes Geschmeide und selbstverständlich auch an diesem verregneten Nachmittag Sonnenbrillen tragen. Weswegen man diese drei Männer, von denen der jüngste 54 Jahre alt ist und der älteste in wenigen Tagen 62 wird, vermutlich als skurrile Freaks belächeln würde, sähe man sie zum ersten Mal.

Scorpions zählen zum globalen Jetset


Gesehen oder zumindest gehört hat sie aber vermutlich fast jeder schon mal. Die Scorpions gehören zur raren Spezies internationaler deutscher Stars. Vor einer Woche begann ihre Abschiedswelttournee, am Freitag werden sie letztmals in Stuttgart spielen. Die Tournee wird sie danach durch Deutschland, Frankreich und Griechenland führen, ehe es im Sommer nach Kanada und die USA sowie im Herbst nach Südamerika gehen wird. 51 Konzerte sind allein für dieses Jahr schon terminiert, vom "Heimspiel" in Hannover über Paris, Toronto und Los Angeles bis zu einem Auftritt in Santiago de Chile, die Tour wird 2011 und 2012 im Rest der Welt fortgesetzt.

Die Scorpions zählen zum globalen Jetset. Wer sie kurzfristig treffen will, ist auf eine winzige Lücke im eng gestrickten Terminkorsett angewiesen: An diesem konzertfreien Tag trafen die Scorpions vormittags aus dem Ausland kommend am Frankfurter Flughafen ein, es folgten zwei Termine in Frankfurt und Ludwigshafen, ein privater Abstecher nach Mannheim (einer der Söhne der Musiker studiert dort), am Abend stand dann noch ein Besuch auf der Party zum sechzigsten Geburtstag des Tourneeveranstalters Ossi Hoppe an.

Ein Starkstromelektriker, ein Jurist und ein Elefantendompteur


Vor sehr langer Zeit hat sich Schenker passenderweise zum Starkstromelektriker ausbilden lassen. Jabs studierte Jura. Der Impresario Hoppe ist tatsächlich gelernter Elefantendompteur. Von ihm stammt das augenzwinkernde Bonmot "Zwischen dem Rockbusiness und dem Zirkus gibt es nur einen Unterschied: die Tiere im Zirkus sind nicht so gefährlich". Doch die skandalfreien Skorpione kann er damit schon deshalb nicht gemeint haben, weil sie nicht zu Dinosauriern mutieren wollen.

"Mit dem Tina-Turner-Spielchen hätten wir zehn Jahre eher anfangen müssen", sagt Klaus Meine, auf die Sängerin anspielend, die bereits diverse Abschiedstourneen hinter sich hat. Und es sei doch, ergänzt Rudolf Schenker, bei Musikern ähnlich wie bei Athleten: "Man fragt sich, wann der richtige Moment gekommen ist, um letztmals auf die Zielgerade einzubiegen? Das will man doch eher mit einem Höhepunkt verbinden, als wenn man am Boden liegt." Soll heißen: 45 Jahre nachdem die Scorpions ihre Karriere als Vorgruppe von damals bekannten Bands wie den Lords oder den Searchers begonnen haben, ist nach dieser Tournee nun unwiderruflich Schluss.

200 Konzerte in den nächsten zwei Jahren


Und was kommt danach? "Dann atmen wir erst mal tief durch", sagt Schenker. "Wir haben jetzt in den nächsten zwei oder zweieinhalb Jahren zweihundert Konzerte vor uns, insofern gilt es erst mal, dieses Ziel zu erreichen. Dann wird eine neue Seite im Buch des Lebens aufgeschlagen, dann wartet sicher auch die ein oder andere Herausforderung hinter der nächsten Ecke. Es ist erst mal ganz gut, das laufen zu lassen."

"Wir haben ja Zeit. Warum sollen wir also jetzt schon an morgen denken. Morgen ist sowieso alles anders", sagt Matthias Jabs, der mit seinen 54 Jahren quasi das Nesthäkchen der dreiköpfigen Stammbesetzung der Scorpions ist - Jabs, Meine und Schenker bilden seit 2003 mit dem Bassisten Pawel Maciwoda und dem Schlagzeuger James Kottak die aktuelle Formation. Jabs allerdings sieht man sein Alter so wenig an wie Meine und Schenker. Schenker, das einzig verbliebene Gründungsmitglied, betreibt seit seinem 18. Lebensjahr Yoga und Meditation, und wenn dieser extrem aufgeräumt wirkende 61-Jährige nicht schon einen Fulltimejob hätte, könnte er vermutlich mühelos weltweit als Werbeträger für die segensreiche Wirkung von Entspannungsübungen dienen.

Für die gelassene Herangehensweise spricht auch, dass das letzte Kapitel weder generalstabsmäßig vorbereitet noch zu Ende geplant ist. Lediglich für dieses Jahr steht der Fahrplan fest. "Im nächsten Jahr geht es ab Februar nach Asien, anschließend nach Russland, wie es dann weitergeht, wissen wir noch nicht", erzählt Matthias Jabs. Nennenswert geprobt werden musste für die Tour angesichts der hinreichenden Bühnenerfahrung nicht. "Wir haben neulich ein Konzert in Minsk vor 12.000 Leuten gespielt, das war unsere Generalprobe", so Meine. Auf die Frage, ob sie nach all den Jahren vor Konzerten noch immer nervös seien, sagt Schenker flachsend "für Nervosität haben wir keine Zeit". "Der Moment, in dem wir endlich auf die Bühne gehen, ist eigentlich der entspannendste Moment des Tages", ergänzt Meine. Und Jabs bringt es vielleicht am besten auf den Nenner: "Es ist eine entspannte Anspannung."

"Rentnerdasein ist für uns ein Fremdwort"


Sehr professionell, sehr konzentriert wirken die drei Musiker. Schenker schwärmt vom aktuellen Album "Sting in the Tail" als ihrem "musikalischen Vermächtnis" und erwähnt, dass sie "mit den Fans noch einmal eine richtig geile Party feiern wollen", Meine umreißt das Liveprogramm als "die Klassiker, die großen Hits, ein paar Songs aus alten Zeiten und natürlich Songs vom aktuellen Album". Das kann man natürlich als routinierte PR-Floskeln abtun, als gestanztes Modell, um Publikumserwartungen zu erfüllen. Und das mit der "geilen Party" kann man als das belächeln, wofür man die Scorpions schon immer nicht gemocht hat: für die musikalische Simplizität und Innovationsfreiheit, den abgedroschen "ehrlichen" Rockerhabitus, die grobschlächtigen "Powerballaden".

Oder andersherum: nur sechs deutsche Bands genießen überhaupt weltweit Renommee, die Einstürzenden Neubauten und Kraftwerk aufgrund ihrer ästhetischen Wirkung, daneben Modern Talking, seit einigen Jahren auch Tokio Hotel und Rammstein - sowie völlig unangefochten und mit weitem Abstand die Scorpions. Weltweit über tausend Konzerte, weit über hundert Millionen verkaufte Alben, "Wind of Change", die Hymne für Osteuropa: egal wie man zu den musikalischen Qualitäten der Scorpions steht, diese Lücke wird so schnell niemand füllen.

Ganz aus dem Geschäft zurückziehen wollen sich die Scorpions übrigens auch nicht. "Rentnerdasein ist für uns ein Fremdwort", sagt Matthias Jabs zum Abschied. "Wir sind alle Vollblutmusiker, und wir werden uns sicher weiter mit Musik beschäftigen, ob als Songwriter oder als Producer. Die Golfplätze dieser Welt müssen noch ein bisschen auf uns warten."
Aus Hannover in die Welt - die Scorpions in Stichworten


Gründung
Die Scorpions wurden 1965 in Sarstedt bei Hannover vom Gitarristen Rudolf Schenker und dem Schlagzeuger Wolfgang Dziony gegründet. Der Sänger Klaus Meine stieß 1969 dazu, Matthias Jabs 1979. Prominente Exmitglieder sind Schenkers Bruder Michael, der Gitarrist Uli John Roth und der Schlagzeuger Curt Cress.

Alben
Das Debüt "Lonesome Crow" erschien 1972, es folgten 16 Studioalben (zuletzt vor wenigen Wochen das bereits vergoldete "Sting in the Tail"), darunter auch 1976 "Virgin Killer", dessen Cover mit dem unbekleideten Kind den Scorpions ihren einzigen Skandal bescherte. Die internationale Popularität lässt sich auch an den vier Livealben ermessen – "World wide live" von 1985 wurde zum Beispiel unter anderem im Footballstadion von San Diego aufgenommen.

Hits
Auf die Singles "No one like you" von 1982 folgten "Still loving you", "Big City Nights" und "Rock you like a Hurricane" (alle 1984) sowie 1991 "Wind of Change" – um einige Welterfolge zu nennen.

Konzerte
Der Auftritt am Freitag in der Stuttgarter Schleyerhalle ist ausverkauft. Für den 12. November in Mannheim gibt es noch Karten.