Die Seelöwen Eric und Marten schwimmen künftig im Dienste der Wissenschaft in der Ostsee. Am Samstag werden sie von der Wilhelma nach Rostock gebracht.

Stuttgart - Kaum betritt Sven Wieskotten mit dem blauen Eimer das Gehege, hüpfen Eric und Marten sofort aus dem Wasser. Die Seelöwenjungen in der Wilhelma wissen genau, dass das Gefäß mit dem Klappdeckel köstliche Heringe und Sprotten enthält. So schnell es an Land für die Tiere möglich ist, robben sie sich bellend über den Stein zu dem Zoologen. Er streckt die Hand aus und sie tippen mit den Nasen dagegen – dafür gibt es einen Belohnungsfisch, das wissen die beiden längst. Dass der 38-Jährige bei der Übung immer auch in eine dünne rosafarbene Pfeife bläst, interessiert die Jungtiere herzlich wenig.

 

Training in der Wilhelma

Das wird sich schon bald ändern. Stoisch wird der promovierte Wissenschaftler diese Übungen mit den noch nicht einmal ein Jahr alten Seelöwen künftig wiederholen. Bis sie irgendwann schon das reine Pfeifen als Belohnung anerkennen. Sven Wieskotten wird die beiden am morgigen Samstag mit an die Ostsee nehmen. Dort untersucht er mit Kollegen der Universität Rostock in der größten Robbenforschungsanlage der Welt das Verhalten der Meeressäuger. In der vergangenen Woche hat er mit den Tieren in der Wilhelma gearbeitet, um sie an sich zu gewöhnen.

Noch bekommen die Jungtiere von ihrer bevorstehenden Reise quer durch die Republik nichts mit. Für einen Fisch tapsen sie gehorsam in die Transportbox, an die sich sich auf diese Weise gewöhnen müssen. „Das klappt schon sehr gut, die beiden sind total entspannt“, sagt Wieskotten. Und es gibt noch mehr, woran sich Eric und Marten gewöhnen werden müssen. Bisher schwimmen sie in Cannstatter Mineralwasser, das das ganze Jahr über auf rund 15 Grad Celsius temperiert ist. Am Samstagabend springen sie erstmals in fünf Grad kaltes Salzwasser. Die Umstellung von Süß- auf Meerwasser macht den Tieren nichts aus, weiß der Experte. „Sie sind Säugetiere wie wir, und uns ist es ja auch zunächst egal, ob wir in Süß- oder Salzwasser schwimmen“, sagt Wieskotten. Wichtig sei lediglich, die Tiere ausschließlich mit Salzwasserfischen zu füttern. Amüsant wird der erste Tag in der Ostsee trotzdem, prophezeit Wieskotten: „Die Tiere gucken anfangs immer ganz komisch, weil sie im Salzwasser mehr Auftrieb haben.“

Reine Männer-WG im hohen Norden

Dass die Jungtiere ihre Mütter und das gewohnte Becken in der Wilhelma verlassen, ist notwendig. Seelöwen bilden einen Harem, der Bulle Unesco lebt mit fünf Weibchen im Stuttgarter Zoo – da ist kein Platz für andere Männchen. Vor einigen Jahren ist schon einmal ein in Stuttgart geborener Seelöwe in die Rostocker Forschungstation gezogen. „Marco ist inzwischen schon 33 Jahre alt, aber noch fit“, erzählt Sven Wieskotten. Dass sie im hohen Norden auf einen schwäbischen Artgenossen treffen werden, wissen Eric und Marten noch nicht. Ebenso wenig, dass sie in der reinen Männer-WG im Meer niemals Nachwuchs geschweige denn einen eigenen Harem haben werden.

Derzeit arbeiten die Rostocker Wissenschaftler mit neun Seehunden und einem Seebären im Marine Science Center, wie die Forschungsanlage heißt. „Die Tiere werden sich sicherlich gut verstehen“, sagt Sven Wieskotten. Eric und Marten werden vermutlich ordentlich Leben in die maritime Bude bringen. Während der Seebär sehr verspielt sei, sind Seehunde eher gemütliche Zeitgenossen, erklärt er. Und kalifornische Seelöwen wie Eric und Marten sind „doch eher schneller unterwegs“.

Die Forschungsstation ist ein 50 Meter langes Schiff

Während das Seelöwen-Becken in der Wilhelma nur begrenzt groß ist, können Eric und Marten ihren Bewegungsdrang im neuen Zuhause voll ausleben. Die Forschungsstation ist ein 50 Meter langes Schiff im Rostocker „Yachthafen Hohe Düne“. Die Robben werden direkt in der Ostsee gehalten – mit Netzen ist ein 30 mal 60 Meter großes und bis zu sechs Meter tiefes Unterwasser-Gehege abgesteckt. Bei dieser Größe sei es extrem wichtig, dass die Tiere auf Befehl zu den Trainern kommen, erklärt Wieskotten. „Die Ostsee können wir nicht einfach mal ablassen“, sagt er.

Geforscht wird im Marine Science Center spielerisch. Mit verschiedenen Experimenten versuchen die Wissenschaftler des Instituts für Biowissenschaften der Uni Rostock herauszufinden, wie sich die Meeressäuger orientieren. „Uns interessiert zum Beispiel, wie sie verhindern, sich auf Wanderrouten zu verirren oder wie sie Fische aufspüren, die noch nicht in Sichtweite sind“, sagt Wieskotten. Dafür wird getestet, wie die Tiere sehen, riechen, tasten oder hören. Unter Wasser ertönt etwa ein akustisches Signal. Wenn die Tiere erkannt haben, aus welcher Richtung es kommt, stupsen sie gegen einen der Bälle rechts und links von ihnen. Die Tiere machen gern mit, immerhin wissen sie, dass es eine Belohnung gibt. Genau das lernen Eric und Marten gerade. Schon bald werden sie erkennen, dass dies nicht nur mit dem blauen Eimer, sondern auch mit der rosafarbenen Pfeife zu tun hat.