Privatdetektivin Claire DeWitt findet 17 Monate nach Hurrikan Katrina eine noch immer verwüstete Stadt. In ihrem Kopf sieht es allerdings kaum aufgeräumter aus.

Stuttgart - Hinter dem kriminellen Einzelfall, den ein handelsüblicher Privatdetektiv der Marke ‚Knitterseele in Zynismusöl’ bearbeitet, scheint gerne die Erkenntnis auf: der ganze Laden fällt langsam auseinander. In Sara Grans „Die Stadt der Toten“ muss da aber gar nichts mehr durchscheinen. Grans ganz und gar nicht handelsübliche Detektivin Claire Dewitt ermittelt 2007 in New Orleans, 17 Monate nach Katrina. Der Sturm hat die Stadt zerfetzt, aber die Menschen haben sie noch immer nicht wieder zusammengesetzt. Einige Viertel sehen so aus, als sei das Hochwasser gerade erst gewichen: Trümmerhaufen, Halbruinen, seltsame Graffiti, die von den provisorischen Adressen der Evakuierten künden.

 

Claire DeWitt, die das Verschwinden eines Staatsanwalts in den Tagen der Katastrophe klären soll, nimmt die Verwüstungszonen nicht als Beleg schleppenden Wiederaufbaus wahr. Für sie hat New Orleans nun endlich zum passenden Gesicht für seine innere Verwahrlosung gefunden.

Die schlimmste Stadt der Welt

Nirgends geht es so schlimm zu wie gerade hier: diese Überzeugung befeuert Krimis aus vielen Ecken der Welt. Für die Ich-Erzählerin DeWitt ist New Orleans das postsoziale Höllenloch schlechthin: die Reichen schamlos, die Funktionsträger korrupt, die öffentlichen Einrichtungen desolat, die Armen wachsender Verwahrlosung überlassen, die Kids ohne Perspektiven jenseits von Gangs und krimineller Kleinökonomie.DeWitt beobachtet junge Leute, die sich Mitempfinden und Heiterkeit regelrecht abtrainieren, weil sie diese seelische Selbstverstümmelung für einen Beweis des Erwachsenseins halten.

„Die Stadt der Toten“ ist aber nur auf einer Ebene eine Pestbeulenzählung der sozialen Fäulnis. Auf einer anderen spielt dieser Roman mit der Glaubwürdigkeit seiner Erzählerin. DeWitt ist eine seltsame Type, ihr dauernder Alkohol- und Marihuanakonsum sind noch das Normalste an ihr. Für die verbitterte Esoterikerin sind Träume so wichtig wie Wachbeobachtungen, weshalb Sara Gran DeWitts Kopfkino gleichberechtigt neben die Wacherlebnisse stellt. Manchmal braucht man eine Weile, um zu merken, was Realität ist und was nicht. Vor allem, weil DeWitt, die auch Omen und Orakel deutet, die Unterscheidung so nicht treffen würde.

Das Abgedrehteste an dieser von mehr als Schnaps besoffenen Ermittlerin ist der Kult, den sie um das obskure Handbuch „Détection“ des französischen Detektivs Jacques Silette treibt. Das Geraune und Gemunkle Silettes scheint eine kleine Anhängerschaft fiebrig zu ergreifen. Schon DeWitts Lehrmeisterin im Schnüfflergewerbe glaubte an Silettes Lehre, alle Ermittlungsarbeit sei existenzialphilosophische Welträtselumkreisung.

Die Nebel des Mysteriösen

Gran schreibt hier vielleicht eine martinitrockene Parodie des immer mehr Freunde gewinnenden Krimis mit irrationalem Einschlag. Sie genießt den Nebel des Mysteriösen aber auch, der ins Rationale des Romans kriecht. Man kann viel des Unheimlichen damit erklären, dass DeWitt nicht alle Kegel sauber aufgestellt hat und Gran dies demonstriert, indem sie ihr einfach das Wort überlässt. Aber „Die Stadt der Toten“ spottet nicht nur, sondern kostet das Surreale aus, ebenso wie die Bezüge zu den aufgeräumten, optimistischen Jungmädchenkrimis von dunnemals. DeWitt erinnert sich nämlich mehrfach an ihre ersten Detektivübungen zusammen mit zwei Jugendfreundinnen. Schon diese Beschattungs- und Bespitzelungsspiele blieben nicht lange heiter.

Sara Gran touchiert vertraute Muster und Motive vom girl detective à la Nancy Drew über den taffen weiblichen Mietling à la Kinsey Millhone oder V.I. Warshawski bis hin zum Okkultermittler à la Harry Dresden aber nicht, weil sie es den jeweiligen Fangruppen bei sich gemütlich machen will. Es geht ihr um einen Wirbelsturm in Zeitlupe, um eine Erzählung, die Seite um seit Gewissheiten des Genres aus der Verankerung löst. Selbst eine von Grans kleinen Unarten – die Wiederholung von Informationen am Anfang mancher Kapitel, als seien die Kapitel die Folgen eines Fortsetzungshörspiels – könnte als Verweis auf eine vorgestern extrem populäre Krimiform gemeint sein. Die Anschaulichkeit der Schilderung von New Orleans geht so einher mit der Infragestellung von Glaubwürdigkeit und Realitätsbeschreibungstauglichkeit der Krimiform mit ihren Klischeekrusten.

Keinen Moment wirkt das trocken akademisch oder abstrakt denkübungsstreng.Sara Gran hält den Text lebendig, spannend, auf verspielte Weise skurril. „Die Stadt der Toten“ ist ein Krimi, der auf die kollektive Krimiverschlingerei reagiert, aber nicht die Lektüre anderer Bücher empfiehlt, sondern die vorsichtigere Lektüre geschmeidig runtergehender Detektivgeschichten.

Sara Gran: Die Stadt der Toten. Droemer Klappenbroschur. 363 Seiten, 14,99 Euro.