Am Montagabend stürmt das Spezialeinsatzkommando das Haus eines Anwalts an der Gerokstraße. Im Keller des Hauses finden die Einsatzkräfte zwei tote Männer: den Juristen und seinen mutmaßlichen Geiselnehmer.

 

Stuttgart - Am Montagabend hat ein Spezialeinsatzkommando das Haus eines Anwalts an der Gerokstraße gestürmt. Im Keller des Hauses fanden die Einsatzkräfte zwei tote Männer: den 75-jährigen Juristen und seinen mutmaßlichen Geiselnehmer, einen 67-jährigen Mann aus dem Großraum Frankfurt/Main. Die Polizei habe nicht geschossen, so Polizeisprecher Stefan Keilbach. Man gehe davon aus, dass der Eindringling erst den Inhaber der Anwaltskanzlei und dann sich selbst erschossen habe.

Ein Mann, der mit einer Handfeuerwaffe ins Haus gegangen sein soll – mehr wusste die Polizei am Montagnachmittag über mehrere Stunden hinweg nicht. Diese Meldung hatte sie kurz nach 13 Uhr erreicht. Kurz nach 17.30 Uhr drangen dann Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) in das Haus ein und entdeckten die Toten. Eine Nachbarin hatte die Polizei verständigt, weil sie sah, wie ein Bewaffneter in das Haus Nummer 83 in der Gerokstraße ging – wo die Anwaltskanzlei ist. Die Polizei rückte mit großem Aufgebot an.

Der Anwalt war unter Kollegen bekannt wie ein bunter Hund: unter anderem wegen des sogenannten Fesselsex-Prozesses, bei dem sich vor zehn Jahren seine Schwiegermutter verantworten musste.

Nach dem ersten Notruf herrschte Stille

Gut 300 Beamte waren im Einsatz – viele von ihnen hoch spezialisierte Kräfte des Spezialeinsatzkommandos (SEK), vermummt und mit Werkzeug ausgestattet, um notfalls mit Gewalt das Gebäude stürmen zu können. Doch zunächst mussten sie lange warten in der schwülen Sommerhitze unter ihren Masken, Tarnkleidung und Schutzanzügen.

Die Kriminalpolizei versuchte zunächst, Kontakt mit den Personen im Gebäude aufzunehmen. Das gelang nicht. Auch vier Stunden nach dem Notruf meldete sich aus der Kanzlei noch immer niemand. So wusste draußen zunächst keiner, was geschehen war. „Wir gehen nur davon aus, dass der Anwalt und der Bewaffnete drin sind. Da wir mit niemandem sprechen konnten, können wir das nicht mit letzter Sicherheit sagen“, sagte Keilbach.

Nachbarn hatten früh einen Schuss gehört

Die Polizei konnte zunächst auch nicht bestätigen, was sich in der Nachbarschaft schnell herumgesprochen hatte: Es hieß, es sei kurz nach dem Notruf der Nachbarin ein Schuss in der Kanzlei gefallen. „Zumindest von Polizeiseite ist garantiert nicht geschossen worden“, so Keilbach. Ob ein Schuss aus der Waffe des Eindringlings gefallen sei, wusste die Polizei vor ihrem Eingreifen nicht.

Das lange Warten begründete Keilbach mit der gründlichen Vorbereitung des Einsatzes. Die SEK-Kräfte müssten vorher das Gebäude genau kennen. „Wir müssen wissen, wo Fenster, Türen, Eingänge, ein Durchgang zur Garage und dergleichen sind.“ Während des Einsatzes sperrte die Polizei die Gerokstraße und die umliegenden Straßenzüge ab. Die Stadtbahnlinie U 15 wurde umgeleitet, erst gegen 18.10 Uhr wurde die Sperrung aufgehoben.

Der Anwalt war kein Unbekannter

Als sich die Adresse des Anwalts am Nachmittag unter seinen Kollegen herumgesprochen hatte, ging ein Raunen durch die Zunft. Man weiß um die bewegte Vergangenheit des Juristen. Denn nicht immer trat er in den Gerichtssälen nur als Verteidiger in Erscheinung, sondern im Jahr 2006 auch als Opfer: als seine Schwiegermutter vor Gericht stand und im sogenannten Fesselsex-Prozess zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren wegen schwerer Körperverletzung verurteilt wurde. Die damals 69-Jährige hatte mit ihrem drei Jahre jüngeren Schwiegersohn ein Verhältnis gehabt. Das kulminierte in einem gefährlichen Spiel, bei dem die Frau ihn in seiner Kanzlei strangulierte, mit einer schweren Lampe schlug und knebelte. Der Anwalt wurde dabei schwer verletzt.

Die Anklage lautete auf versuchten Totschlag. Dem Fesselsex in der Kanzlei sollen gemeinsame Besuche in Pärchenclubs vorausgegangen sein, für die der Schwiegersohn die Frau bezahlt haben soll. Als der Sohn des Anwalts damals in die Szene platzte, wurde ihm ein Raubüberfall vorgegaukelt. Das andere Verfahren war eine Folge des Polizeieinsatzes wegen des besagten Zwischenfalls in der Kanzlei: Beamte sahen dort Bilder mit Nazisymbolen und eine Hitlergrafik und erstatteten Anzeige. Das Verfahren wurde gegen eine Geldauflage eingestellt.