Die Hauptfigur der Rottenburger Fasnet ist der Ahland. Die StZ-Mitarbeiterin Jessica Sabasch ist als Hästräger bei einem Umzug mitgelaufen.

Rottenburg - Abgesehen von meinem frühkindlichen Faschingstrauma, als rosa Kater mit Schlappohren neben glitzernden Prinzessinen bestehen zu müssen, kam ich 30 Jahre lang nicht mit der Fasnet in Berührung. Aufgewachsen im faschingsfernen Ho

 
Die Autorin als Fünfjährige inmitten von „Prinzessinnen“. Foto: privat
lzgerlingen, beschäftigte ich mich auch während meiner Tübinger Studienzeit nicht mit dem hiesigen Kulturphänomen. An Fasnetsumzugstagen mied ich die Altstadt und streute stattdessen Konfetti auf den Küchentisch.

Jahre später spüre ich eine Art närrischen Juckreiz, das traurige Kind im Katerkostüm zu rehabilitieren. Ich will die unbeholfenen, trübseligen Faschinge meiner Kindheit hinter mir lassen und mich der echten, schwäbisch-alemannischen Fasnet zuwenden. Ihr oft in Vergessenheit geratener Grundgedanke – die Plagen des Winters zu vertreiben und die Freude über den kommenden Frühling auszudrücken – macht mir anfangs Mut.

Als ich an einem sonnigen Februarsamstag mit eiskalten Füßen und eingeschränktem Blickfeld bei einem kleinen Umzug im Rottenburger Teilort Schwalldorf mitlaufe, wird mir klar: Draufgucken ist anders als Drinstecken. Zum Glück läuft vor mir Katharina Gries. Die 17-jährige Schülerin ist mein Rollenvorbild. Ich orientiere mich an ihren Schuhen und versuche im gleichen Takt wie sie zu hüpfen.

Eine Schaltzentrale der Rottenburger Fasnet

Aber von vorn. Die Idee, mich einem jungen Narren anzuschließen, führte mich zunächst in eine Schaltzentrale der Rottenburger Fasnet: ins Wohnzimmer der Kornmüllers.

Die Kornmüllers sind Ahlande aus Überzeugung. Der Ahland zählt zur Gattung der Weißbutzen und ist die Hauptfigur der Rottenburger Fasnet. Um 1570 entstand die teuflisch anmutende Maske, die sich ursprünglich in Stein gehauen an einem Gebäude in der Altstadt befand. In Anlehnung an den Junker Valand, dem „zu Fall bringenden“, ist es die Aufgabe der Ahlande, die Hexen zu verjagen. Ihr Ahlandlauf, ein Hüpfen im Takt des Rottenburger Narrenmarschs, dauert vom Schmotzige Dorschdich bis Fasnet-Dienstag, Punkt Mitternacht.

Peter und Dunja Kornmüller haben sich vor 18 Jahren in der Narrenzunft Rottenburg kennengelernt. Der traditionelle Verein wurde 1925 gegründet und gehört zur Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte, die sich der Pflege und Bewahrung des Kulturguts Fasnet widmet. Ende 2013 stellte der Verband bei der Unesco den Antrag, die Fasnet als Weltkulturerbe anzuerkennen.

Nachhilfeunterricht für eine Anfängerin

„Wir sind Traditionsmenschen“, sagt Dunja Kornmüller. „Sobald der Weihnachtsbaum draußen ist, spätestens am 6. Januar, beginnt die Fasnet auch in unserer Wohnung.“ Peter Kornmüller arbeitet im Schichtbetrieb bei Daimler und war sechs Jahre lang der Gruppenleiter der Ahlande. Der kräftige Mann kämpft zurzeit mit einer Erkältung. Auf dem Umzug in Schwalldorf kann er nicht mitlaufen. Ich werde ihn im Rahmen meiner Möglichkeiten vertreten. Seine Frau ist Architektin und Jugendgruppenleiterin der Ahlande. Zur Hauptfasnet von Donnerstag bis Dienstag nehmen sie und ihr Mann sich von der Arbeit frei. Und auch nach dem Aschermittwoch verlässt die Fasnet die Kornmüllers nicht. „Bei uns gibt es kein Loch“, sagt Peter Kornmüller. Die Zunft ist ein fester Bestandteil ihres Lebens.

Ich dagegen bin Anfängerin und muss Vokabeln lernen. „Im Kostüm geht man am Samstagabend in die Oper“, korrigiert mich Peter Kornmüller, als ich einmal vergesse, Häs zu sagen. Hitze steigt mir ins Gesicht. Die Masken an der Wand schauen schadenfroh auf mich herab, die Luftschlangen auf dem Tisch kräuseln sich noch mehr, als sie es eh schon tun, und Dunja Kornmüller runzelt die Stirn, während sie routiniert Milch aufschäumt und eine Kaffeekapsel in der Maschine versenkt. Sogar die Fische im Zimmeraquarium würden jetzt kichern, wenn sie könnten. Wie ein Mantra wiederhole ich das Wort vor meinem inneren Auge: Häs. Häs. Häs. Ich komme dabei nicht umhin, mir ein weißes, flauschiges Häschen vorzustellen. Flauschig ist an der historischen Figur des Ahland allerdings nur das Schaffell, das sich um seine Maske schmiegt und nebenbei, das erfahre ich später, den Hästräger warm hält.

„Entweder du läufst im Häs und mit Maske oder gar nicht“, entschied im Vorfeld Silvio La Monica, der neue Leiter der Ahland-Gruppe. Die Regeln der Zunft sind streng, vor allem für Neigschmeckte wie mich. Und so steige ich, schneller als ich „Narri, Narro“ oder auch nur „Oh“ sagen kann, in Dunja Kornmüllers erstes Ahlandgewand von 1997: eine von ihr bemalte weiße Latzhose mit zwei Rittern hoch zu Ross auf jedem Bein. Darüber ein Malerkittel, dessen Vorderseite Gräfin Mechthild von Hohenberg zeigt, die schon 1452 „große Höf“ abhielt und als Begründerin der Rottenburger Fasnet gilt. Auf den Ärmeln prangen Wein und Hopfen, damals bedeutende Erwerbszweige in der Region. Auf der Kittelrückseite das alte Rottenburger Stadtwappen. Formal abgerundet wird das Häs durch die Darstellung des Neckars als blaue Wellen am Hosenbein. „Passt“, meint Dunja Kornmüller, als ich angehäst vor ihr stehe. Das Häs ist mir viel zu groß, ich schwimme darin. Fehlt nur noch die Maske.

Es wird langsam ernst

Ich bekomme sie aus dem Leiharchiv im nah gelegenen Zunfthaus, wo am Abend der alljährliche „Ahlandkappenabend“ stattfindet. Sämtliche Häsmodelle aus rund 90 Jahren hängen auf der Kleiderstange des Archivs. Die Bemalungen wurden immer detaillierter, die Farben leuchtender. Die Lindenholz-Masken sind vom Stil des jeweiligen Holzschnitzers geprägt. Dass die Fasnet kein Kinderfasching ist, wird mir noch mal deutlich, als Dunja Kornmüller vorrechnet, was so ein Häs kostet: Für die holzgeschnitzte Maske 400 Euro, für das Schaffell 200, für die Glocken 170. Der Anzug kostet, wenn man ihn selbst bemalt, etwa 200, wenn man ihn bemalen lässt, bis zu 2000 Euro. Ungefähr 150 Arbeitsstunden daure die Bemalung des Häs.

Ehrfürchtig setze ich die Maske auf, sie drückt. Ich verwechsle die Nasenlöcher mit den Augen und wundere mich, dass ich kaum etwas sehe. Dunja reicht mir einen Stecken mit einem Kuhschwanz, an dessen Ende etwas baumelt: die „Saubloader“. Damit verhaue man die Zuschauer am Rand des Umzugs. Wie bin ich bloß hier reingeraten? Es wird langsam ernst. Ich habe Lampenfieber.

Der Samstag ist ein Umzugstag, wie er im Buche steht, sonnig und

Seit drei Jahren Ahland: Katharina Gries Foto: Gottfried Stoppel
klirrend kalt. Auf dem Rücksitz von Peter Kornmüllers funkelndem Mercedes sitzen Katharina, ihr Vater Stefan Gries und ich. Katharina reicht mir eine Handvoll Bonbons. „Dein Handy steckst du am besten in die Brusttasche der Latzhose.“ Seit 14 Jahren lebt die Familie Gries in Rottenburg, sie ist mit den Kornmüllers befreundet. Katharina war erst Bogges, ein geschminkter Laufnarr, dann wurde sie Ahland – „wie meine Familie“. Nur ihre 12-jährige Schwester Johanna ist noch Bogges. „Sie darf trotzdem mit bei uns im Haus wohnen“, scherzt Stefan Gries. „Wir sind integrationsfähig.“ Der IT-Berater ist in der ostwestfälischen Faschingswüste aufgewachsen, seine Frau Ariane kommt aus Nordhessen. Angesteckt von ihren Rottenburger Freunden, kam die Familie zur Fasnet.

Nachschenken statt Nachdenken

In meinem übergroßen Häs fühle ich mich neben der hübschen Katharina mit den geflochtenen Haaren ähnlich wie damals auf der Kindergartenbank. Die Straße vor dem Ortsschild ist dicht, ein Feuerwehrauto steht quer, wir steigen aus. Katharina deutet mir an, ihr zu folgen. Aufmunternd lächelt sie mir zu.

Die Gymnasiastin kommt mir unheimlich souverän vor. Das Mitlaufen beim Umzug ist heute nur ihr Aufwärmprogramm. Am Abend geht sie zum ersten Mal mit Freundinnen auf die Rottenburger Turnerfasnet – als Minion. Als was? „Na die kleinen gelben Figuren aus dem Film ‚Ich – Einfach unverbesserlich‘ .“ Ach so.

Katharina spielt Basketball beim TV Rottenburg und reist gerne. Sie war in diesem Jahr schon bei einem Schüleraustausch in Idaho. Ahland würde sie auch nach dem Abitur im nächsten Jahr gerne bleiben. „Irgendwas mit Wirtschaft und Sprache“ möchte sie studieren.

Hotpants und Saublase

An der Brennerei Arthur Moser biegen wir in Richtung Sportplatz ab. „Nicht stolpern“, denke ich und fürchte, trotz Latzhose, mein Häs zu verlieren. Gleich beginnt die Aufstellung. Eine Gruppe von Mädchen in Hotpants positioniert sich mit kleinen Schnapsfläschchen am Straßenrand. Auf der Rückseite ihrer schwarzen Pullis steht: „

Unsere Autorin Jessica Sabasch im Häs Foto: privat
Nachschenken statt Nachdenken“.

Mit der Saublase in der kalten Hand stehe ich jetzt mittendrin. Die Kapelle stimmt den Rottenburger Narrenmarsch an: „Hoi – hoi – hoi! Fasnet hemmr, Narre semer!! Ond des emmer – Narri , Narro!!!“

Insgesamt 46 Narrengruppen laufen in Schwalldorf mit. Darunter auch kleine Gruppen wie die Hopfen Hopser Kiebingen und die Wetzstoi-Beißer Neckarhausen. Von oben betrachtet, muss die Straße aussehen wie eine gemischte Tüte Süßigkeiten mit braunen Schokobrocken, Fruchtgummi und Zuckerwatte.

Bonbons und ein unsichtbares Lächeln

Neben mir steht ein kleiner Bub im Ahlandhäs und heult. „Mir ist schlecht“, sagt er zu seiner Mutter. „Mir auch“, will ich sagen und frage stattdessen Katharina, ob ich noch etwas beachten muss, wenn es gleich losgeht. Sobald wir die Masken aufsetzen, können wir nicht mehr reden. „Lauf mir einfach hinterher“, sagt sie und hilft mir dabei, die Maske aufzusetzen.

In Dreierreihen hüpfen die Ahlande los, und ich mit ihnen. Die schweren Glockengürtel, die ich trage, klingen mit jedem Schritt. Mit jedem Sprung, den ich wage, scheinen sie leichter zu werden. Einmal stolpere ich fast über eine Hexe, die sich vor mir auf dem Boden rollt. Der Gestank aus dem Hexenkessel dreht mir den Magen um. Katharina verhaut mit der Saublase im Vorbeigehen einen jungen Mann. Ich verteile Bonbons an Kinder am Wegrand, beuge mich zu ihnen runter. Sie sehen nicht, dass ich ihnen zulächle.