Die Uhr tickt, die Kamera verzeiht nichts und die Fragen auf den Karteikarten stehen in keinem Verhältnis zur noch zu füllenden Sendezeit. Wie moderiert man eine Fernseh-Talkshow vor echten Kameras? Ein Selbstversuch im Nachtcafé.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Die Uhr tickt erbarmungslos. Der Aufnahmeleiter hält ein Schild hoch: noch eine Minute. Jetzt bloß nicht die Abmoderation verpassen, ohne den Redefluss von Talkshowgast Melanie Thamm-Beck zu unterbrechen. Noch 30 Sekunden. Ralf Püpcke, Talkshowgast Nummer 2, tippt hektisch auf seine Uhr. Florian Rieger, Gast Nummer 3, scheint froh, dass es gleich vorbei ist. Noch 20 Sekunden, Abmoderation mehr schlecht als recht gestottert, Punktlandung, Erleichterung, zaghafter Applaus und dann ab vors jüngste Talkshow-Gericht: Wieland Backes und Stephan Ferdinand haben sich den Selbstversuch genau angesehen und geben dem Schmalspur-Moderator Feedback.

 

Wieland Backes ist Moderatoren-Legende des SWR, Stephan Ferdinand Professor für Journalistik an der Hochschule der Medien (HdM). Als Direktoren stehen beide dem Institut für Moderation (imo) an der HdM vor. An diesem Wochenende durfte der achte Jahrgang des Qualifikationsprogramms Moderation ein kleines Nachtcafé im Studio der Landesschau in Stuttgart simulieren. Die Plätze sind begehrt: Zuletzt hatten sich 150 Bewerber um die 15 Plätze gestritten. Die aktuellen Absolventen des Programms sind zu gleichen Teilen Studenten der HdM, SWR-Mitarbeiter und Berufstätige, in deren Beschäftigungsfeld Moderatoren-Kenntnisse nicht schaden. Zum Beispiel Sarah Schmidt: Die 28-Jährige arbeitet als Politik-Redakteurin im Hauptstadtstudio von RTL und NTV in Berlin. „Das Programm war für mich eine spannende Spielwiese, bei der ich mich völlig frei ausprobieren konnte“, sagt Schmidt über das Imo.

Die Aufgabe lautet: ein kleines Nachtcafé vorbereiten und moderieren

Die Aufgabe an diesem Wochenende: sich auf eine halbstündige Sendung mit einem Thema und drei Gästen vorbereiten. Der StZ-Autor bekommt eine Wildcard und wird mittels Crashkurs vorbereitet.

Das Seminar zum Thema „monothematischer Gesellschaftstalk“ wird einige Wochen vor dem Selbstversuch von Nachtcafé-Redaktionsleiter Martin Müller gehalten. Müller, Abteilungsleiter journalistische Unterhaltung beim SWR, hat schon für Alfred Biolek gearbeitet und führt mit einer Mischung aus theoretischem Hintergrund und persönlichen Anekdoten gekonnt ins Genre Talkshow ein. Die Vorgabe für unser Mini-Nachtcafé klingt nach einem Klacks: „Das Tiefsinnige an der Oberfläche verstecken“, erklärt Müller mit Hugo von Hofmannsthal. Könnte man sich als Merkhilfe fürs Leben auf den Unterarm tätowieren, wenn man Tattoos gut fände.

Das echte Nachtcafé ist in unglaublichen 1,5-Minuten-Schritten durchgeplant

Müller verrät, dass das Nachtcafé in unfassbaren Eineinhalb-Minuten-Schritten durchgeplant ist. Jeder Gast muss durch zwei Vorgespräche, und trotzdem kann das Unvorhersehbare nie ganz ausgeschlossen werden. Die Grundregeln der Dramaturgie: eloquenter Gast nach vorne, der setzt den Ton, Problemgast im Auge behalten, den emotional Bedürftigen neben einen setzen. Und außerdem: den Schluss vorbereiten! Ideale Variante versus Notfall-Option! Synapsenstau im Moderatorenkleinhirn.

Es klopft an der Tür. Michael Steinbrecher, Ex-Mr.-Sportstudio und aktueller Nachtcafé-Talker, blinzelt freundlich in die Runde. „Ich wollte nur sagen, dass Wieland Backes da ist. Er wartet. Er hat Geduld.“ Starker Spannungsbogen. Auftritt Backes. Das Licht im Raum wird heller. Backes, vom Status her in der Sphäre von Meister Yoda schwebend, dabei über die deutlich bessere Syntax verfügend, gibt seinen Probanden letzte Tipps wie: „Moderation ist ein Spiel aus Nähe und Distanz.“

Die Fernsehkamera fängt die Mappussierung des eigenen Körpers gnadenlos ein

Diese und andere freundliche Anregungen werden beim Jüngsten-Talkshow-Gericht einige Wochen später wieder in Erinnerung gerufen. Backes und Journalistik-Professor Ferdinand spielen das Video des Selbstversuchs vor. Erste schreckliche Erkenntnis: die Fernsehkamera kennt noch weniger Gnade als Backes und Ferdinand zusammen. Die Stefanmappussierung des eigenen Körpers im Fernsehen betrachten zu müssen, ist ein schwerer Schlag. Obwohl der Proband vor der Aufzeichnung in der Maske ordentlich gepudert wurde, glänzt ein Totes Meer voller Angstschweiß im Gesicht. „Ihre Vorstellungsrunde ist bodenlos zu lang, das kann sich niemand merken. Da hätten die Zuschauer bereits reihenweise weggeschalten“, sagt Backes, und Ferdinand nickt zustimmend.

Die Kritik ist herrlich ernüchternd: Während man sich als Novize zitternd an die Fragen auf den eigenen Backes-Gedächtnis-Karteikarten geklammert hat, hat man den Gästen nicht richtig zugehört und viele Steilvorlagen nicht genutzt. „Die Kunst ist, sich nicht sklavisch an die Fragen zu halten“, sagt Stephan Ferdinand. Klingt einfacher als es ist, wenn man bei Minute 18 Angst hat, dass die eigenen Fragen niemals bis Minute 30 ausreichen.

Was vor dem Fernseher einfach aussieht, ist vor der Kamera höllisch anstrengend

Erstaunlich, wie anstrengend die Rolle vor der Kamera sein kann, die vor dem Fernseher doch so einfach aussieht. Beruhigend, dass es Menschen gibt, die sich um die journalistische Ausbildung von Moderatoren kümmern. Erleichternd, dass der eigene Selbstversuch zum Thema „Berufstätige Mütter/berufstätige Väter“ niemals ausgestrahlt werden wird. Der wandert in den Giftschrank und wird höchstens der nächsten Imo-Generation vorgeführt – als abschreckendes Beispiel.

Mehr Infos zum Programm:

Das kostenpflichtige Qualifikationsprogramm Moderation dauert ein Jahr und umfasst monatliche Workshops in den unterschiedlichsten Bereichen. Das nächste Programm startet im Oktober und endet mit der Moderation einer 90-minütigen Fernsehsendung, die beim SWR ausgestrahlt wird.

Anmeldung
Bewerbungsschluss für die nächsten 15 Plätze ist der 10. Juli. Mehr Infos gibt es hier.