Knöchle und Stenkerkäs? Klingt nicht gerade verlockend, findet eine nach Bad Cannstatt gezogene Sauerländerin. Und was hat es mit den Besen überhaupt auf sich?  

Bad Cannstatt - Die kürzlich nach Bad Cannstatt gezogene Sauerländerin Maira Schmidt und die gebürtige Stuttgarterin Annina Baur waren zusammen in der Besenwirtschaft.

 

Maira Schmidt: Peitschenstecken, Knöchle oder Stenkerkäs – nach verlockenden Köstlichkeiten klingen diese Gerichte auf der Speisekarte von „Boskoops Besen“ in den Ohren einer gebürtigen Westfälin wirklich nicht. Kutteln vielleicht schon eher? Das hört sich irgendwie niedlich an. Was sich wohl dahinter verbirgt?

Annina Baur: Kutteln, ja das ist gleich mal was ganz Spezielles. Die in Streifen geschnittenen Vormägen widerkäuender Tiere, die in einem braunroten, sauren Sößle schwimmen, sind ja nicht einmal jedes Schwaben Sache. Für ihre erste schwäbische Mahlzeit rate ich der neuen Kollegin lieber zu Maultaschen oder einer zünftigen Vesperplatte – und schwärme gleich noch ein bisschen von Spätzle, Brezele und anderen Leckereien aus dem Ländle. Nicht dass sie vor lauter Schreck ob der hiesigen Küche gleich wieder Reißaus nimmt.

Maira Schmidt: Doch zurück zum Anfang der Geschichte: Vom Cannstatter Wilhelmsplatz geht es mit dem Bus zum Hallschlag hinauf. An der Kreuzung „Auf der Steig“ endet die Fahrt. Der Abend ist noch jung, doch die Straße ist wie leer gefegt. Die wenigen Menschen, die mit uns aus dem Bus gestiegen sind, verschwinden schnell zwischen den mehrgeschossigen Wohnblöcken. Nicht unbedingt die Gegend, in der ich als kürzlich zugezogene Wahl-Stuttgarterin den ältesten Cannstatter Besen vermutet hätte. Doch tatsächlich, keine 200 Meter von der Haltestelle entfernt, kündigt ein Schild „Boskoops Besen“ an.

Etwas merkwürdig war das schon, als ich den Lieben daheim am Telefon erzählte, dass ich heute Abend mit einer Kollegin in einen Besen gehe. Schließlich ist dieser im Rest der Republik eher als Reinigungsgerät bekannt. Und ich habe auch immer noch nicht so richtig verstanden, was es mit dem schwäbischen Besen eigentlich auf sich hat. Günstigen Wein würde es dort geben, haben mir die Kollegen erzählt – aber nur wenige Wochen im Jahr. Warum eigentlich?

Annina Baur: Die Besenwirtschaften sind aus einer Not heraus entstanden: Vor der Ernte mussten die Wengerter ihre Fässer leeren. Weil echte Schwaben nicht einfach etwas wegschütten, räumten sie kurzerhand ihre Wohnzimmer, Scheunen oder Garagen leer, stellten Tische und Bänke hinein und bewirteten Gäste mit eigenem Wein und einfachen, hausgemachten Speisen. Ein Reisigbesen an der Türe zeigte an, wann geöffnet war – und hat dem Besen seinen Namen gegeben. Von der Einrichtung her ähneln heute viele Besen gewöhnlichen Gaststätten. Geblieben sind die übersichtliche Speise- und Getränkekarte und die Öffnungszeiten: Weil ein Besen nicht als Gewerbe gilt, ist sein Betrieb erlaubnisfrei. Dafür dürfen die Weinbauern ausschließlich eigene Weine ausschenken und maximal vier Monate im Jahr öffnen.

Maira Schmidt: Es ist ein bisschen so, als wollten wir Familie Bauer persönlich besuchen. Durch die Hintertür betreten wir ihren Besen. Zwei kleine Räume, ein paar Holztische, das war’s. Vor der schwäbischen Verschlossenheit hatten sie mich daheim gewarnt. Ob auf der Arbeit oder bei Freunden – egal, wo ich erzählte, dass es mich nach Stuttgart verschlägt, bekam ich das Gleiche zu hören: „Das wird nicht leicht. Die Schwaben, die bleiben lieber unter sich.“ Und jetzt das: Wir sind noch keine zwei Minuten im Besen, da laden uns auch schon zwei Damen an ihren Tisch ein. Von schwäbischer Verschlossenheit keine Spur. Schnell kommen wir mit Anitta Maier und ihrer Tochter Anja Sachs ins Gespräch. Und es dauert nicht lange, da sitzt auch noch Besen-Chefin Monika Bauer mit bei uns am Tisch. Es wird „geschwätzt“, „geveschpert“ und „geschafft“ und die Zugezogene versteht schon wieder nur noch jedes dritte Wort.

Anekdoten aus 35 Jahren Besengeschichte werden ausgepackt. Als am Anfang nur ein einziger Tisch im Gastraum stand. Wenn viel los war, saßen die Gäste in drei Reihen um ihn herum. „Und die Männer hatten die Frauen auf dem Schoß“, erinnert sich Anitta Maier. Tochter Anja hat eine ganz besondere Verbindung zu „Boskoops Besen“. Seit 14 Jahren liegt ihr Ehering unter dem Fußboden. Damals wurde der Besen umgebaut. Das junge Paar saß an einem Tisch und betrachtete die frisch getauschten Ringe. Ein kleines Missgeschick und schon war das Schmuckstück unter die Holzdielen gerutscht. Ein neuer Ring wurde gekauft. Der Mann ist aber derselbe geblieben, verrät Mutter Anitta lachend.

Als der Wein serviert wird, erwartet mich bereits die nächste Überraschung. Kelche und Karaffen hätte ich im „Wohnzimmer“ eines Weingärtners erwartet, stattdessen steht jetzt ein bauchiges Glas mit Henkel vor mir auf dem Tisch.

Annina Baur: Das Henkelglas ist typisch für den Besen. Der Überlieferung nach soll es sogar dort erfunden worden sein: Früher brachten die Leute in die Besenwirtschaften Brot, Wurst und Käse von zu Hause mit. Weil sie beim Vespern fettige Finger bekamen, sahen die Stilgläser schnell unappetitlich aus. Deshalb, so heißt es, wurden die ersten Gläser mit dem grünen Henkel angefertigt. Hochwertige Weine werden aber auch hierzulande im Stilglas serviert.

Maira Schmidt: Und schon wird ein weiteres Vorurteil abgebaut. Für ihre Sparsamkeit sind die Schwaben weltberühmt, böse Zungen sprechen aber auch von Geiz. Für die Betreiber von „Boskoops Besen“ stimmt das jedenfalls nicht. Bis zum Rand sind die Weingläser gefüllt. 2,80 Euro kostet der Viertelliter. In der eher für ihr gutes Bier bekannten sauerländischen Heimat hätte ich dafür mindestens das Doppelte bezahlt.

Mein Fazit am Ende dieses Abends: An den meisten Vorurteilen, die im Rest der Republik über die Schwaben erzählt werden, ist nichts dran. Vermutlich sind sie einfach nur dem Neid auf über 1600 Sonnenstunden pro Jahr geschuldet. Ein Besuch im Besen sollte deshalb für jeden neuen Bürger im Schwabenland zum Pflichtprogramm gehören.

Annina Baur: Diesem Fazit schließt sich die Schwäbin ganz ausdrücklich an. Und empfiehlt all ihren Landsleuten, auch öfter mal mit Reigschmeckten einen Besen zu besuchen. Die sind nämlich nicht nur lustig, sondern auch wissbegierig – und bringen mit ihren neugierigen Fragen an die Wirtin spannende Besen-Interna ans Licht, die auch ein echtes Stuttgarter Kind überraschen und zum Schmunzeln bringen.

Diese Besen sind zurzeit geöffnet – eine Auswahl

Bad Cannstatt: Besenwirtschaft Gerhard Glock, Hochflur 22, bis 11. Februar täglich außer sonntags von 11 bis 23 Uhr.

Obertürkheim: Sonnen-Besen, Uhlbacher Straße 23, bis 1. April täglich außer montags von 11 Uhr an geöffnet.

Hofen: Besenwirtschaft Nerz, Schlierseestraße 46, bis 15. Februar täglich außer montags ab 11, samstags ab 14 Uhr.

FellbachSchmieg`s Besen, Porschestr. 8, Oeffingen, bis 12. Februar täglich außer montags ab 11, samstags ab 14 Uhr.

Lausterer, Neustädterstraße 55, Schmiden, bis 26. Februar täglich außer montags von 11 bis 23 Uhr.