Cenk Bertsch-Cidik bietet seit den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln Gratis-Selbstverteidigung für Frauen an. Im Interview erklärt der Degerlocher Kampfkunst-Trainer, warum er dies für nötig hält.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Degerloch - Frauen sind laut Cenk Bertsch-Cidik heute gefährdeter als noch vor zehn Jahren. In seiner Kampfkunst-Schule im Degerlocher Gewerbegebiet Tränke bietet der 42-jährige Mann aus Balingen – der zudem als systemischer Business-Coach arbeitet – neuerdings Gratis-Kurse in der Kampfkunst Wing Tsung (siehe Textenende) für Frauen an.

 
Herr Bertsch-Cidik, warum bieten Sie neuerdings kostenlose Kampfkunstkurse für Frauen an? Hat das mit den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln zu tun?
Köln war der Auslöser, aber die Idee hatte ich schon länger im Kopf. Ich weiß nicht, warum es so ist: Viele Damen, für die diese Kampfkunst geeignet wäre, kommen nicht zum Unterricht. Ich habe viel mehr Männer da als Damen, und deswegen wollte ich das einfach mal kostenlos anbieten. Damit sich auch die Damenwelt wehren kann, wenn es mal eng wird.
Besteht nicht die Gefahr, dass die Angst geschürt wird, wenn nach Ereignissen wie in Köln solche Kurse gratis angeboten werden?
Ich bin wirklich nicht der Meinung, dass ich die Angst schüre. Ich möchte den Leuten die Möglichkeit geben, dass sie sportlich aktiv werden, aber auch, dass sie Sicherheit bekommen. Es geht ja nicht nur darum, dass man kämpfen kann, sondern auch darum, dass man Selbstbehauptung und Selbstbewusstsein entwickelt, dass man eine gefährliche Situation erkennt und diese zu vermeiden lernt.
Was lernen die Frauen konkret bei Ihnen?
Na zum einen Gewaltprävention, und dann eben Gefahrensituationen zu erkennen und zu deeskalieren. Und dass man sich zur Wehr setzen kann, wenn das dann nicht mehr machbar ist. Zum Beispiel wenn man angefasst oder umarmt wird, dass man sich kurz, schnell und effektiv wehren kann.
Sind Sie der Meinung, dass Frauen heute gefährdeter sind als vor zehn Jahren?
Ja, absolut, ich höre das auch im privaten Umfeld. Es fängt an mit blöden Anmachen bis dahin, dass die Frauen angefasst werden. Das hat sich in den letzten zehn Jahren durchaus gewandelt, würde ich sagen.
Wie erklären Sie sich das?
Ich würde sagen, der Respekt und die Hemmschwellen sind gefallen. Vielleicht durch die Medien, was man im Fernsehen sieht und was man so liest, das beeinflusst. Man wertschätzt das Gegenüber weniger.
Sie haben zu Beginn gesagt, dass Sie mit den Gratis-Kursen Ihren Frauenanteil im Unterricht erhöhen wollen. Könnte es nicht sein, dass die Frauen nicht kommen, weil sie keinen Bedarf sehen, sich zu schützen?
Wenn es so wäre. Aber wenn ich mit den Damen rede, heißt es: Au ja, es wäre gut, wenn ich mal was machen würde, ich muss mich schützen können, ich habe schon Angst, wenn ich in der S-Bahn unterwegs bin. Der nächste Schritt, das Tun, fehlt aber. Da ist die Frage, woran es liegt. Aber der Bedarf ist schon da.
Das heißt, viele Frauen stecken den Kopf in den Sand?
Ja, oder sie haben die Hoffnung: Mir wird schon nichts passieren. Aber das geht so schnell, man kommt in irgendeine Sache rein, und dann ist die Situation plötzlich da.
Das Gespräch führte Judith A. Sägesser.

Wing Tsung

Wing Tsung ist eine chinesische Kampfkunst. Sie entstammt dem Taoismus und ist wohl im frühen 19. Jahrhundert entstanden. Es handelt sich dabei nicht um einen Wettkampfsport, sondern um eine Methode zur Selbstverteidigung. Bei Angriffen versucht man die aufkommende Energie des Gegners für sich zu nutzen und nicht mit eigener Kraft zu reagieren. Infos zur Degerlocher Wing-Tsung-Schule unter www.wing-tsung-school.de